Frauen trauen ihren Augen nicht

GRUSEL Drei Heldinnen, drei Spukhäuser: Gestern begann in Hamburg das Fantasy Filmfest. Drei Filme beleben das in die Jahre gekommene Haunted-House-Subgenre

Sind die unheimlichen Phänomene nun menschen- oder, eben, hausgemacht, wo endet das Dies-, wo beginnt das Jenseitige?

VON THOMAS GROH

Die fast aggressiv dicht geblümten Tapeten verplomben diese knapp kleinbürgerlich, gerade so über White-Trash-Niveau eingerichtete Wohnung förmlich von innen, als hätten sie was zu verbergen. Die Kamera tastet sich langsam mit gesenktem Blick durch den engen Flur: Alltägliche Banalität, doch ein, zwei Grad zu weit von den Parametern der Verlässlichkeit entfernt, die Sicherheit bedeuten. Insbesondere für die taffe Annie (Caity Lotz) ist das ein buchstäblich unheimlicher Ort, vertraut und doch nicht ganz geheuer. Hier ist sie aufgewachsen, dann geflohen, um nun wegen der Formalitäten eines Todesfalls zurückzukehren. Und weil ihre Schwester kürzlich aus dem ungut knarrenden Haus spurlos verschwunden ist.

Der Film „The Pact“ von Nicholas McCarty ist nicht in jeder Hinsicht gelungen. Doch die minimalistischen Grusel-Setpieces dieses ambitionierten, kostengünstig entstandenen Geisterhausfilms im amerikanischen Suburb-Ambiente bestehen. Sie sind gelungene, kleine, vor allem schwer effektive Handwerksminiaturen, die dem plärrenden Bombast mancher Gruselgroßproduktion aus Hollywood formelles Geschick und eine ökonomische, präzise Inszenierung entgegenstellen.

Vielleicht liegt auch gerade in dieser formalen Herausforderung und im Zwang zur Konzentration die Konjunktur von Filmen über heimgesuchte und unheimliche Häuser begründet, die im Horrorkosmos gegenüber Metapher-Zombies, Handkamera-Sausen, Torture-Splattereien und keuschen Funkel-Vampiren lange im Hintertreffen lagen.

Letztes Jahr hatte Ti West (dieses Jahr im Anthologiefilm „V/H/S“ vertreten) mit dem schönen „The Innkeepers“ ein aufregendes kleines Meisterwerk im Programm des Fantasy Festivals, das sich so charmant lässig wie intelligent um die zentrale Frage des Haunted-House-Subgenres (und en passant auch der gängigen Fantastiktheorien etwa von Tzvetan Todorov) dreht: Sind die unheimlichen Phänomene nun menschen- oder, eben, hausgemacht, wo endet das Dies-, wo beginnt das Jenseitige? Auch abseits von „The Pact“ besteht an solchen Haunted Houses, die das Realitätssystem ihrer Gäste auf die Probe stellen, in diesem Jahr kein Mangel: Im spanischen Film „The Hidden Face“ bilden die sonnendurchfluteten, weiten Räume eines prächtigen Anwesens den unwahrscheinlichen Akteur eines zunächst dezent irisierenden, schließlich klaustrophobischen Gruselns, das mit einer geschickten Perspektivverschiebung einen Blick hinter die Kulissen einer gescheiterten Liebesbeziehung wirft.

Klassisch-gediegen und von einem Hauch altbritischer Strenge durchzogen ist hingegen die in den Zwanzigern angesiedelte BBC-Produktion „The Awakening“. Dort wird das Weltbild der vom Scheitel bis zur Sohle skeptischen Spurendeuterin Florence Cathcard (Rebecca Hall), deren Nachname manchmal wie „Kafka“ klingt, bei der Untersuchung paranormaler Phänomene in einem Internat auf die Probe gestellt.

Die Frage nach ihrem fantastischen Gehalt beantworten die Filme zwar je anders und mit teils schwankender Eindeutigkeit. Eigen ist allen dreien – neben der Tatsache, dass es in allen Frauen sind, die ihren Augen nicht mehr trauen – ein profundes Misstrauen gegen die räumlichen Gegebenheiten. Zwar weist jedes Geisterhaus, das auf sich hält, eine Krypta auf und ist klar nach Unheimlichkeitspotenzialen kartografiert. Doch beziehen diese drei Filme – mal mehr, mal weniger zentral – ihren Reiz auch daraus, dass Räume zuweilen über ihre Begrenzungen hinausreichen.

Die Frage nach der Beschaffenheit der Realität gewinnt bei solcher Unterwanderung des ersten Anscheins im Nu einen drängenderen, ungleich bodenständigeren Klang: Wie sich überhaupt orientieren im Kampf gegen Gespinste und Gespenster? Dass der Horrorfilm stets aufs Neue zum so sympathisch angestaubten, wie – Hand aufs Herz – höchstens auf Texturebene modernisierbaren Geisterhausfilm und dessen Bewährungsproben für das Realitätsgefüge zurückfindet, liegt vielleicht auch daran, dass dessen Setting ein loses Verhältnis zum Kino selbst unterhält. Zu Beginn von „The Awakening“ sprengt Florence mit Aplomb eine durch und durch fingierte spiritistische Séance, von der sich eine alte Dame einen tröstlichen Kontakt zu ihrer verstorbenen Tochter erhofft. Vor die Wahrheit des Betrugs gestellt, hat sie für ihre Beglückerin bloß Ohrfeigen und Empörung übrig.

Man kann das gut nachvollziehen: Auch im Kino, jenen großen Häusern mit ihren dunklen Räumen, die man aufsucht, um Geister zu sehen, wird man nicht gern an den Projektor im Vorführraum erinnert.

Das Fantasy Filmfest läuft noch bis zum 29. August im Cinemaxx Dammtor in Hamburg, Programm unter www.fantasyfilmfest.com