Prozess um Relief

In der ersten Instanz, am Landgericht Dessau-Roßlau, hatte Kläger Michael Düllmann keinen Erfolg. Richter Wolfram Pechtold entschied im Mai 2019, dass die evangelische Stadtgemeinde das „Judensau“-Relief an der Wittenberger Stadtkirche nicht beseitigen muss. Am Dienstag verhandelt das Oberlandesgericht Naumburg über die Berufung von Düllmann.

Es geht dem Kläger nicht um Strafe, er hat die Kirchenleute nicht angezeigt. Er hat nur zivilrechtlich auf Beseitigung des Reliefs geklagt. Doch obwohl Zivilrichter entscheiden, ist die Kernfrage strafrechtlicher Art: Liegt hier eine Beleidigung Düllmanns durch die evangelische Kirchengemeinde vor?

Das Delikt Beleidigung ist von der Rechtsprechung definiert als „Angriff auf die Ehre durch Kundgabe von Missachtung“. Die Beleidigung kann nicht nur durch gesprochene und geschriebene Wörter erfolgen, auch ein Bild oder (wie hier) eine Plastik kann einen beleidigenden Inhalt haben. Möglich ist auch eine Kollektivbeleidigung, wenn die Gruppe überschaubar und abgegrenzt ist. Die Rechtsprechung hat schon lange anerkannt, dass die Gruppe der in Deutschland lebenden Juden kollektiv beleidigt werden kann. Gemeint ist dann jeder Einzelne, das heißt, es kann sich auch jeder Einzelne dagegen wehren.

Das Landgericht hat aber im Fall der Wittenberger „Judensau“ das Vorliegen einer Beleidigung verneint. Die Kirchengemeinde drücke durch das Relief an ihrer Kirche keine eigene Missachtung von Juden aus. Weder habe sie das Relief selbst hergestellt, noch habe sie es angebracht. Sie habe das Relief vielmehr mit einem Mahnmal und einer Gedenktafel kommentiert und zum Bestandteil einer Gedenkkultur gemacht. Ob das ein angemessener Umgang sei, so Richter Pechtold, sei eine gesellschaftspolitische Frage, keine juristische.

Auch die Sanierung des Reliefs im Jahr 1983 sei nicht als Beleidigung zu werten, so Richter Pechtold, da sie keine ehrverletzende Zielsetzung hatte. Es bestand auch keine Beseitigungspflicht für die Kirchengemeinde. Auch ein ­Hauseigentümer mache sich nicht wegen Beleidigung strafbar, wenn er ein fremdes Schmähgraffito an seiner Hauswand stehen lasse, argumentierte der Richter.

Ob eine Beleidigung vorliegt, müsse objektiv beurteilt werden, so das Landgericht. Es genüge nicht, dass sich Düllmann subjektiv beleidigt fühle. Vielmehr müsse ein „verständiger Dritter“ das Handeln der Kirchengemeinde als Kundgabe von (eigener) Missachtung von Juden verstehen.

Weil das Landgericht schon keine Beleidigung erkennen konnte, ließ es andere spannende Fragen offen, etwa ob das Denkmalschutzrecht einer Beseitigung des Judensau-Reliefs entgegenstehen würde.

Kläger Düllmann will in der Berufung erreichen, dass das Relief doch noch als Beleidigung gewertet und beseitigt wird. Christian Rath