Klimakrise auf der Weide

Muslimische Hirten und die meist christlichen Bauern lebten lange friedlich zusammen. Das ist vorbei. Der Klimawandel hat eine mörderische Konkurrenz um Land entfacht

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ist Redakteur beim Kode Radio International in Abuja.

Die Folgen der Erderwärmung sind in Nigeria schon heute klar zu sehen. Eine dieser Folgen sind Kämpfe zwischen den Viehzüchtern und Bauern im Land. Diese haben sich in den letzten zehn Jahren stark ausgeweitet. Ein großer Teil der rund 200 Millionen Ni­ge­ria­ne­r*innen lebt von der Land- und Viehwirtschaft. Und mehr als 90 Prozent der Besitzer der etwa 20 Millionen Rindern im Land leben nomadisch. Sie gehören zu dem Volk der Fulani, die im Sahelstreifen Westafrikas beheimatet sind.

Ihr Pastoralismus, die nomadische Weidewirtschaft, ist das wichtigste System der Viehzucht in Nigeria. Die Fulani wandern auf der Suche nach gutem Land mit ihren Herden von einem Ort zum anderen. Diese Lebensweise, der meist muslimischen Hirten im Norden, gerät nun in Konflikt mit jener der überwiegend christlichen Bauern in den zentralen und südlichen Landesteilen, die an einem bestimmten Ort verwurzelt sind und diesen regelmäßig bewirtschaften.

In der Vergangenheit haben die beiden Gruppen friedlich zusammengelebt. Doch weil der Klimawandel es immer schwerer macht, im trockenen Norden Nigerias Vieh zu züchten, ziehen die Fulani heute in ihnen teils unbekannte Regionen im Zentrum und im Süden des Landes. Vor allem in der fruchtbaren Zentralregion gibt es deshalb immer wieder schwere Konflikte.

Dörfer wurden zerstört, viele Bauern und Hirten haben ihr Leben und ihren Besitz durch wahre Orgien der Gewalt verloren. Die Kämpfe stellen nicht nur eine Bedrohung für die Existenzgrundlagen des Landes dar, sondern sie gefährden auch den nationalen Zusammenhalt. Das landwirtschaftliche Produktionssystem ist in Gefahr.

Allein zwischen 2015 und 2018 starben mehr als 3.600 Menschen bei Auseinandersetzungen zwischen Viehhirten und Bauern, schätzt Amnesty International. In manchen Monaten haben die Ausschreitungen mehr Tote gefordert als Anschläge der Terrormiliz Boko Haram (siehe Text links).

Im Februar 2018 entschied die Regierung, zur Befriedung der tödlichen Kämpfe um Weideland das Militär einsetzen. Soldaten wurden in sechs betroffene Bundesstaaten im Zentrum des Landes verlegt. Genutzt hat es wenig. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warf den Sicherheitskräften vielmehr „unverhältnismäßige Gewaltanwendung“ bei der Bekämpfung der Konflikte um Weideland vor.

Böden: „Sahel-Syndrom“ ist einer der Begriffe für die Verschlechterung des Bodens in trockenen Regionen, für die der Klimawandel eine Ursache ist. Die Ackerbaugrenze im Sahel hat sich seit 1970 um 100 Kilometer nach Süden verschoben. Zwischen 1970 und 2010 ist die Temperatur im Sahel mit 0,6 bis 0,8 Grad schneller als im weltweiten Durchschnitt gestiegen.

Regen: Umgekehrt haben die Niederschläge zwischen 2000 und 2009 zwischen 8 und 15 Prozent abgenommen. Der Regen verteilt sich auf weniger Tage, und die Pausen dazwischen werden größer. Dadurch können die Böden leichter austrocknen. Gleichzeitig kommt öfter zu Überschwemmungen. Die Anzahl besonders intensiver Gewitter im Sahel hat sich in den letzten 35 Jahren verdreifacht. Zuletzt starben dabei im September 2018 in Nigeria über 200 Menschen.

Maßnahmen: Im Februar 2019 haben die 17 Sahelstaaten in Niger einen Zwölfjahresplan und Milliardeninvestitionen beschlossen, um die Klimaziele des Pariser Abkommens umsetzen. „Wir tragen nach wie vor die Konsequenzen einer Situation, für die wir nichts können“, sagte Nigers Präsident Mahamadou Issoufou.

Das Versagen der Regierung, Schutz zu gewährleisten und die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen, trage zur weiteren Eskalation bei, heißt es im Amnesty-Bericht mit dem Titel „Harvest of Death“ (Ernte des Todes). Im Konflikt um die Landnutzung versuchten beide Seiten zunehmend, den Lebensunterhalt der anderen zu zerstören – teils mit organisierten Angriffen. Trotzdem sei von den Behörden nur wenig unternommen worden, was Prävention, Verhaftung und Strafverfolgung betrifft, selbst wenn Informationen über die mutmaßlichen Täter vorlagen.

In manchen Gegenden werde der Wettbewerb um die Ressourcen zudem von Regierungsbeamten dazu genutzt, den Konflikt entlang ethnischer und religiöser Linien zu politisieren. Amnesty rief die nigerianischen Behörden auf, das in internationalen und afrikanischen Menschenrechtsabkommen verankerte Recht auf Leben zu schützen. Die nigerianische Regierung müsse unverzüglich unabhängige Ermittlungen zu allen Menschenrechtsverletzungen einleiten.