Der Hausbesuch: Mülllos glücklich

Für viele ist Milena Glimbovski eine Vorreiterin der Zero-Waste-Bewegung. Sie gründete 2012 einen Unverpackt-Laden. Seit Kurzem schreibt sie Bücher.

Eine Frau hebt ihr Kind hoch und beide lachen.

Die Betreuungszeiten für ihren Sohn haben Milena Glimbovski und ihr Freund klar aufgeteilt Foto: Julia Baier

Früher ist sie viel Skateboard gefahren, aber mit 16 hat Milena Glimbovski aufgehört. Jetzt fährt sie nur noch einmal im Jahr, „denn die Verletzungsgefahr ist echt hoch“. Dieses eine Mal dann immer „so lang, bis ich mir richtig weh tue, und dann gehe ich heim“.

Draußen: Gründerzeitarchitektur dominiert die Straßen im Berliner Bergmannkiez. Gegenüber einem Holzspielplatz mit „FCK AFD“-Aufkleber hat jemand eine Regenbogenfahne aus dem Fenster gehängt. Etwas weiter die Straße runter steht ein ockerfarbenes Haus. Im Innenhof stehen Fahrräder, wild durcheinander geparkt. Die sieht Glimbovski, wenn sie aus ihrem Küchenfenster blickt.

Drinnen: In der Küche viele Bügelgläser gefüllt mit Reis, Linsen, Quinoa. Die hat die 29-Jährige in ein Regalbrett nach oben geräumt, als ihr kleiner Sohn angefangen hat, sich aufzurichten. Im Schlafzimmer ein Matratzenlager, hier schlafen sie zu dritt: Milena Glimbovski, ihr Freund Paul und der 16 Monate alte Sohn. Noch ein Zimmer gibt es. Das ist zugleich Wohnraum mit Couch und Bücherregal, Spiel­ecke und „je nach Bedarf und Laune“ Homeoffice. Die Wohnung hat ihr Freund mit seiner ehemaligen Freundin eingerichtet. Nach der Trennung ist diese aus- und Glimbovski eingezogen. „Sie wohnt um die Ecke, wir waren auch alle zusammen im Urlaub.“ Vor über einem Jahr war das, in Südschweden.

Auf dem Boden bleiben: Ebenfalls 2018 haben Glimbovski und ihr Freund entschieden, nicht mehr zu fliegen, gar nicht mehr. („Wir wissen doch, wie schlimm es ist.“) Eine wirkliche Einschränkung sei das für sie nicht. Als sie beruflich nach Slowenien musste, ist sie mit dem Zug hingefahren. In Schweden hat sie sich fünf Wochen lang eine Auszeit genommen, auch von Instagram. Auf einer kleinen grünen Insel, wo niemand war außer Glimbovski mit ihrer kleinen Reisegruppe, fiel ihr auf, dass sie früher oder später rausziehen will aus der Stadt. „Klischee“, sagt sie, „aber das gibt mir mehr zum Aufladen.“

Unverpackt: Glimbovski hat 2012 gemeinsam mit einer Freundin den Laden „Original Unverpackt“ gegründet. Seit 2014 verkaufen sie in Berlin-Kreuzberg Lebensmittel und Dinge des täglichen Gebrauchs ohne Plastikverpackung, im Oktober 2019 kam ein zweiter Laden hinzu. In den letzten Jahren gab es einen regelrechten Boom solcher Läden in Deutschland. Von vielen wird Glimbovski als Vorreiterin der Zero-Waste-Bewegung bezeichnet („Voll das Kompliment“).

Eine Lebenseinstellung: Die Umwelt und das Klima sind die Themen, die Glimbovski am meisten beschäftigen. Letztlich ist „Original Unverpackt“ auch nicht einfach ein Laden, sondern transportiert eine Lebenseinstellung. Glimbovski verzichtet auf Plastik, sie besitzt nur so viele Kleidungsstücke, wie sich an drei Händen abzählen lassen, oft war sie auf den Fridays- for-Future-Demonstrationen, gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn. Der dann mit Ohrenschützern.

Bewusstseinswandel: Als sie ihren Unverpackt-Laden gegründet hat, habe Glimbovski immer erst erklären müssen, warum Plastik überhaupt „böse“ sei. „Wenn ich damals einen Vortrag gehalten habe, stand auf der ersten Powerpoint-Folie immer zunächst, was überhaupt ein Weichmacher ist“, sagt sie. Das sei heute anders, das Thema sei viel weiter in der Öffentlichkeit und im Bewusstsein angekommen. Aber das Klima ist so noch nicht gerettet. „Wenn ich Nachrichten schaue, ist mir nach Heulen“, sagt Glimbovski. Denn sie habe gemerkt, dass das, was wir tun, nicht reiche: „Wir sind auf einem katastrophalen Weg.“ Deshalb sei sie heute radikaler, dogmatischer. Ihre Einstellung, dass jeder kleine Schritt ein bisschen helfe, habe sie über Bord geworden. Sie findet, dass die Verantwortung natürlich beim Konsumenten liegt, „aber vor allem bei der Regierung“.

Die Gründerin: Die Idee für den plastikfreien Laden hatte Glimbovski, als sie zu Beginn ihres Studiums mit einer Freundin gekocht hat: „Es blieb viel zu viel Verpackungsmüll auf dem Küchentisch liegen.“ Sie hat den Müll runtergebracht, dann haben sie sich unterhalten, irgendwann gesagt: „Lass uns das mal machen“ und einen Business-Plan geschrieben. 22 Jahre alt war sie damals. Ihre Eltern haben gesagt, sie solle nicht gründen, zu riskant. „Ich habe es trotzdem gemacht, weil es in dem Moment richtig war.“ Über die Dimensionen der Gründung hat Milena Glimbovski damals, und eigentlich zu keiner Zeit, nachgedacht: „Wir haben immer nur bis zum nächsten Schritt geschaut. Sonst hätte ich mir das nicht zugetraut.“ Da ihr Laden erfolgreich war, hat sie ihr Studium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation dann abgebrochen.

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Zu viel: Sie hat viel gearbeitet – und dann war ihr alles zu viel. Um ihren Burn-out zu bewältigen, hat sie sich mit einem Freund verschiedene Strategien und Techniken erarbeitet. Diese haben sie dann später in einem Lebensplaner veröffentlicht, der dabei helfen soll, achtsam zu sein und Stress zu vermeiden. Für den Verkauf haben sie einen eigenen Verlag gegründet – Glimbovski ist somit zweifache Gründerin, zweifache Geschäftsführerin. Beide Teams sitzen gemeinsam in einem Büro. Wenn sie vor Ort ist, ist sie also gleich für beide Unternehmen da. Und sie kann mit dem Fahrrad hinfahren.

Privilegien: Jetzt arbeitet sie zwischen 25 und 30 Stunden pro Woche. Das funktioniere, weil sie selbstständig und beide Firmen rentabel seien. „Ich weiß, dass ich krass privilegiert bin“, sagt sie. Ihre Eltern sind mit ihr aus Russland nach Deutschland gekommen, als Kontingentflüchtlinge, sie hat zunächst in einem Flüchtlingsheim gewohnt. „Jetzt kann ich in Kreuzberg leben, kann selbstständig sein, habe genügend Zeit für meine Familie.“

Arbeitsteilung: Zur Zeit des Hausbesuchs war ihr Freund für zwölf Monate in Elternzeit, inzwischen arbeitet er wieder. Die Betreuungszeiten für das Kind haben die beiden nach einem strikten Plan, die Aufgaben im Haushalt nach einem genauen Schema aufgeteilt. Viele würden das Einhalten eines solchen Plans vielleicht zu anstrengend, zu wenig spontan finden. Aber: „Der Raum für Sponta­neität geht oft auf Kosten der Frau“, sagt Glimbovski. Wenn sie sich an die ganz genau festgelegten Zeiten halten, kann sie sicher sein, dass es fair aufgeteilt ist. Und: „Wir haben Spontaneität, als Familie, am Wochenende.“

Das gute Leben: Sie findet, dass all die ein „gutes Leben“ haben, die entsprechend ihren Werten leben können, „denn dann lebt man konfliktfrei“. Besonders wichtig sind ihr Familie, also Liebe, Gesundheit, und „dass ich an der Weltverbesserung arbeite“ – wenn diese Dinge laufen, dann ist sie zufrieden. Oft denkt Glimbovski auch darüber nach, wie sie ihr Leben finden wird, wenn sie alt ist und darauf zurückblickt. Sie glaubt, aus der Perspektive würde ihr die Beziehung am wichtigsten sein. „Deshalb versuche ich, an meinen zwischenmenschlichen Beziehungen zu arbeiten.“

In Gläsern verpackte Lebensmittel in einem Küchenregal.

Eine Lebenseinstellung: „Zero Waste“ beginnt bei Glimbovski im eigenen Küchenregal Foto: Julia Baier

Chefin sein: Zu Beginn ihres neues Daseins als Unternehmensgründerin sei es ihr schwer gefallen, negatives Feedback zu geben. „Ich war total geprägt von dem Bild, das gerade Frauen mitgegeben wird, dass alles harmonisch sein muss“, sagt Glimbovski. Dann habe sie realisiert, dass sie über ihren Schatten springen müsse, „denn es hilft ja niemandem, wenn ich Ärger oder negative Gedanken in mich reinfresse“. Auch Anweisungen zu geben, musste sie erst lernen. Denn schließlich habe sie zunächst einmal gegründet, weil sie eine Idee hatte, die sie umsetzen wollte, nicht weil sie unbedingt leiten wollte. „Ich habe gelernt, unangenehm zu sein“, sagt sie.

Vorbilder: Bestärkt hat sie in ihrer Gründung ein Buch des amerikanischen Gründers und Investors Ben Horowitz. Darin beschreibt er verschiedene Herausforderungen und wie er sie gemeistert hat. „Ich finde es inspirierend zu lesen, wie andere das geschafft haben – denn natürlich haben wir am Anfang auch sehr gekämpft, um profitabel zu werden.“ Was Glimbovski in diesem Zusammenhang am meisten stört: „Dass es so wenige Bücher von Gründerinnen gibt.“ Deshalb schreibt sie jetzt auch selbst welche. Gerade in der Gründungswelt gebe es nur wenige Frauen – „dabei braucht es Vorbilder“.

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