Tanz der Waren

Logistik als Choreografie der Dinge: Die Performance-Ausstellung „The Great Report“ präsentiert Ergebnisse dreier Recherchereisen auf den Spuren von Müll, Öl und Wasser

Labyrinthisches Archiv: Die Verbindungspunkte der Einzelteile muss man sich in „The Great Report“ selbst suchen Foto: Robin Hinsch

Von Robert Matthies

Alles nur ein wunderbarer Tanz beweglicher Dinge? Ein Tanz der Waren, des Kapitals, der Informationen und menschlicher Arbeitskraft? Gern vergleichen sich Logistikunternehmen selbst mit Choreografen. Sehen sich als Choreografen globaler Bewegungen des Kapitalismus, die sie ausgehend von der Warte größtmöglicher Just-in-time-Effizienz und immer häufiger gestützt auf Algorithmen anleiten.

Aus dem Blick geraten dabei, so die These des Hamburger Choreografen, Performers und Theoretikers Moritz Frischkorn, die ökologischen und sozialen Kosten der globalen Bewegungen, jegliche Form von Spannungen darin und die Besonderheiten konkreter Orte und Realitäten. Aber ließe sich auch eine andere Form von Logistik denken, eine Ethik des Umgangs mit Material und Zeichen finden, die die lokalen Realitäten in ein anderes Verhältnis setzt? Welche Konsequenzen hat das Verständnis von Logistik als Choreografie andererseits für das choreografische Arbeiten und andere künstlerische Praktiken?

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, hat Frischkorn für sein ambitioniertes künstlerisches Forschungsprojekt „The Great Report“ ein interdisziplinäres Team von Künst­le­r*in­nen versammelt und während dreier Recherchereisen Material gesammelt.

Gemeinsam mit dem Fotografen Robin Hinsch ist Frischkorn auf den Spuren des Handels mit Gebrauchtwaren vom Hamburger Hafen nach Lagos in Nigeria gereist. Zusammen mit dem nigerianischen Klimaaktivisten Fyneface Dumnamene haben die beiden Künstler dort die Verschmutzungen durch die Ölwirtschaft im Nigerdelta sowie klandestine Praktiken der Öl­aneignung dokumentiert.

Im libanesischen Beirut ist in Zusammenarbeit mit der libanesischen Klangkünstlerin und Filmemacherin Nour ­So­khon eine Sound-Collage entstanden, die sich mit dem Zusammenhang von Müll- und Bauwirtschaft auseinandersetzt. In Kreta schließlich ist gemeinsam mit der Filmemacherin Paula Hildebrandt ein poetisch-versponnener Film über die Suche nach dem Paradies auf der Urlaubsinsel Kreta entstanden.

Die Ergebnisse des Projekts will Frischkorn auf einer Internetseite dokumentieren, in der aktuellen taz-Futurzwei ist gerade eine Reportage von Frischkorn und Hinsch über ihre Nigeriareise erschienen, bereits im Herbst druckte der Guardian einen Fotoessay von Hinsch ab. Und auf Kampnagel ist nun noch bis zum Sonntag eine begehbare Installation nebst Live-Performance zu erleben, die einen Teil der Ergebnisse der ausufernden Recherche präsentiert.

Die sind zunächst ganz klassisch präsentiert. An Gurten, wie sie zur Befestigung von Fracht benutzt werden, hängen Wasserbehälter, Secondhandwaren oder erläuternde Texte auf transparenten Folien. Wer sich Hildebrandts Film ansehen möchte, setzt sich in ein kleines Kino, in einem Bau aus Transportsäcken erklingt ­So­khons Klangcollage. Hinschs Fotos wiederum hängen auf Gardinen gedruckt von der Decke oder liegen in Dunkelkammerwannen in einem Regal. Auf einem Tisch daneben lassen sich Notizbücher durchblättern, die während der Reise entstanden sind. Hier kann man die Reportage lesen, sind Chat-Protokolle oder Abrechnungen ausgelegt.

All das steht unverbunden nebeneinander, erst allmählich überlagern sich Bilder, Klänge und die in ihnen aufgerufenen Themen: ein fragmentarisches Archiv, dessen Verbindungspunkte man sich selbst zusammensuchen muss.

Denn die rund halbstündige Performance von der Tanzkünstlerin Maria F. Scaroni, die doch all das Installierte erfahrbar verknüpfen soll, ist der schwächste Teil des Abends und wirft mehr Fragen auf als Antworten zu geben: Zunächst befreit sich Scaroni aus einem Pappmaché-Berg, oszilliert auf dem Boden kauernd zwischen Lachen und Klagelauten, erzählt sentimental von einer Liebe zwischen Chicago und Hongkong und fährt schließlich auf Rollschuhen durch die Installation und die Zu­schaue­r*in­nen. Ein wenig mehr Rückbindung an die Ausgangsfragen hätte man sich da schon gewünscht.

„The Great Report“: Sa, 18. 1., 19 und 20.30 Uhr, sowie So, 19. 1., 18 und 19.30 Uhr, Kampnagel Infos: www.greatreport.net