die woche in berlin
: die woche in berlin

Checkpoint Charlie: Der jetzt beschlossene Bebauungsplan zeigt, dass Politik nicht mehr bei jedem Investor einknicken muss. Arabischer Architekt: Aktive Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt funktioniert nur, wenn genug Bewerber*innen ohne die stigmatisierten Zugehörigkeiten da sind. Fridays for Future: Neue Protestformen sind richtig und wichtig

Der Wind
hat sich
gedreht

Bebauungsplan für den Check-­
point Charlie beschlossen

Um kein anderes Bauvorhaben ist in Berlin zuletzt so sehr zwischen öffentlicher Hand und Investor gerungen worden wie um das am Checkpoint Charlie. Der Bebauungsplan für den ehemaligen Grenzübergang, den am Mittwoch der Stadtentwicklungsausschuss des Abgeordnetenhauses durchgewunken hat, hat also eine gewisse Symbolkraft. Vor allem ist er ein Hinweis darauf, dass sich die Gewichte zwischen den einzelnen Akteuren von großen Bauvorhaben verschoben haben könnten.

Gerade bei paradigmatischen Entscheidungen ist manchmal ein kurzer Rückblick hilfreich. Als nach dem Fall der Mauer der Potsdamer Platz aus dem Dornröschenschlaf geweckt werden sollte, hatte der damals rot-grüne Senat einen städtebaulichen Wettbewerb ausgelobt. Dessen Ergebnisse freilich interessierten Daimler und Sony als Investoren nicht die Bohne. Stattdessen bauten sie, wie und was sie wollten. Das Ergebnis ist eine Retortenstadt, die von Finanzjong­leuren seitdem weiter und weiter verkauft wird.

Großer Mist war das also oder klassisches Staatsversagen. Kapital schlägt öffentliche Hand. Wäre das Gleiche damals am Checkpoint Charlie passiert, wo der Senat einem Investor bereits den Teppich ausgerollt hatte, würde es dort nicht anders aussehen als am Potsdamer Platz.

Das war das Hintergrundrauschen am Checkpoint, als im Sommer 2018 ein Brandbrief den Ausschlag gab, noch einmal auf den Deal zu schauen, den der Senat mit dem Investor Trockland in einem Letter of intent festgezurrt hatte. Ein Glück also, dass es einer Allianz von Architekten, Denkmalschützern, Grünen und Linken (die sich gegen den eigenen Kultursenator stellten) gelang, den Deal zu stoppen. Denn wäre er umgesetzt worden, wäre das Erwachen ähnlich böse geworden wie zum Beispiel rund um die Mercedes-Benz-Arena, wo erst zwanzig Jahre nach der Baugenehmigung zu sehen ist, wie öde Investorenstadt sein kann.

Natürlich ist so ein Versuch, das Blatt noch einmal zu wenden, nie ganz ohne Risiko. Was, wenn Trockland nun hinschmeißt, weil das Hardrock-Hotel nicht gebaut werden darf? Zieht der Senat dann das Vorkaufsrecht und entwickelt das Areal selbst?

Kann passieren, muss aber nicht. Denn anders als etwa bei Großinvestitionen wie Tesla in Brandenburg ist das Interesse an Eins-a-Lagen in der Berliner City groß. Selbst am Pankower Tor blieb Investor Krieger bei der Stange, als Bezirk und Senat mehr Wohnungen verlangten.

Die Drohungen hinzuschmeißen verfangen also nicht mehr so einfach. Und die Politik knickt nicht mehr bei jedem Investor ein. Das ist gut so. Danke für die Lektion. Uwe Rada

Bitte mehr Araber!

Eine E-Mail zeigt Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt. Gut so!

Bitte keine Araber“: Das war mal eine ehrliche Absage, die ein Berliner Architekturbüro da, wie diese Woche bekannt wurde, an einen Bewerber ägyptischer Herkunft geschickt hat. Versehentlich, wie das Büro später in einer Entschuldigung mitteilte – schade! Denn man möchte der Firma wünschen, dass eineR der dort Beschäftigten den Mut hatte, die Diskriminierung öffentlich zu machen. Die Person verdiente eine Auszeichnung.

Es ist nämlich trotz aller Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgesetze, -trainings und -handreichungen immer noch viel zu einfach, bei Einstellungen zu diskriminieren. Denn es ist ja, wenn man seine Kriterien nicht so klar formuliert wie die Berliner Architekten, kaum nachzuweisen, warum jemand nicht eingestellt wird.

Deshalb ist es gut, dass genau diese interne Mail bekannt wurde. Männer arabischer und afrikanischer Herkunft sind (neben Kopftuchträgerinnen) vom Aussortierungsbedürfnis privater wie öffentlicher Arbeitgeber*innen am härtesten betroffen.

Das verwundert nicht. Denn an deren schlechtem Image arbeiten unterschiedliche Akteur*innen perfekt zusammen: Medien und Polizei etwa, wenn sie gemeinsam in Shishabars Flaschen konfiszieren, auf die verbotenerweise kein Pfand erhoben wurde, Politik und Polizei, wenn sie im Görlitzer Park schwarze Dealer besuchen – und deren weiße Kundschaft, nicht unwichtig für das kriminelle Business, dabei stets übersehen. „Schwarze“ sind Dealer, „Araber“ clankriminell (und auch noch Muslime, ein weiterer Diskriminierungsfaktor). Dass junge Männer aus beiden Bevölkerungsgruppen teils gar keinen Sinn mehr in einer Berufsausbildung sehen, da sie keine fairen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt erwarten, hängt auch mit dieser massiven öffentlichen Stigmatisierung zusammen.

Gutmenschengerede? Ich versuche es mal anders herum: Dass viele der jungen syrischen Flüchtlinge ausgesprochen bildungs- und aufstiegsorientiert sind, könnte darauf hinweisen, dass es vielleicht gar nicht an der arabischen Herkunft liegt, wenn hier Aufgewachsenen diese Motivation fehlt. Sondern daran: Anders als hiesige Arabischstämmige sind die neu Eingewanderten eben nicht von klein auf mit massiven Stigmatisierungen und Vorurteilen nachhaltig demotiviert und gedemütigt worden.

Menschen können so lange nach ethnischer Herkunft und/oder Religionszugehörigkeit aus dem Arbeitsmarkt aussortiert werden, wie das Angebot an Be­wer­ber*innen ohne die stigmatisierten Zugehörigkeiten groß genug ist. Ist das, wie heute bereits in vielen Berufsbereichen, nicht mehr der Fall, kommt man vielleicht irgendwann dahinter, was nötig, richtig und wichtig wäre: Bitte mehr Araber! Alke Wierth

Dynamik statt Rituale

Fridays for Future will neue Protestformen probieren

Jetzt ist es also definitiv vorbei mit dem freitäglichen Ritual, den Demonstrationen von Fridays for Future vor dem Wirtschafts- und Verkehrsministerium am Invalidenpark in Mitte. Der Inner Circle der Berliner Gruppe hatte sich am vergangenen Wochenende in Klausur begeben und beschlossen, dass es besser sei, andere Formen des Protests gegen die Klimakrise und ihre VerursacherInnen zu erproben. In den Bezirken wollten sie künftig streikdemonstrieren, so Organisatorin Franziska Wessel, vielleicht auch vor Unternehmen wie Siemens. „Unser Adressat ist jetzt mehr die Öffentlichkeit“, sagte sie der taz, „die wollen wir besser informieren, wie schlimm die Klimakrise ist – und wir wollen sie mehr mobilisieren.“

Dass es nicht allzu lange weitergehen konnte mit dem Freitagsstreik, war jedem klar, der in seinem Leben schon ein paarmal die Gelegenheit hatte, das Entstehen und Vergehen sozialer Bewegungen zu beobachten. Sorry für die altersbedingte Abgeklärtheit! Aber die Dynamik eines schnellen und massiven Wachstums – im vergangenen September demonstrierten in Berlin Hunderttausende – lässt sich eben nicht in einen Status quo überführen. Und für die ganz große Revolution ist die Welt wohl doch noch nicht reif.

Wenn aber die Mobilisierungskraft einer Bewegung von Woche zu Woche kleiner wird, ist das ein ebenso starkes Bild wie in der Boomphase, nur ins Negative verkehrt. Wer wächst, gewinnt, wer schrumpft, fährt auf dem Loserticket. In einer Gesellschaft, die sich sekündlich medial bespiegelt und bewertet, kann das letztlich ein Todesurteil sein. Insofern ist die Entscheidung, sich neu zu sortieren, goldrichtig.

Überhaupt: Invalidenpark! Im Normalfall eine zugige Einöde und nur zur Hochzeit von „Fridays“ ein lebendiger Ort. Mehrere tausend SchülerInnen vor einen Bezirksrathaus, das fühlt sich dann schon wieder nach Masse an, mobilisiert Menschen und beruhigt für ein paar Stunden den klimaschädlichen Verkehr. Auch Sit-ins oder Demos vor Konzernzentralen dürften ausreichend mediale Aufmerksamkeit erzeugen. Und wie wäre es beispielsweise, würden Horden gut informierter Menschen im schulpflichtigen Alter die bräsigen HauptstädterInnen einer Massenbekehrung zu Ökostrom unterziehen? Vieles ist denkbar, und bisweilen soll es ja auch mal wieder ganz groß werden können.

Eines sollten sich die KlimaaktivistInnen aber gehörig abschminken: dass sie nichts erreicht hätten. So mickrig und halbherzig die ganzen Klimapakete und Kohlekompromisse sein mögen – ohne die Fridays wäre gar nichts passiert. Auch in Berlin ist jede Menge in Bewegung geraten, gerade erst hat der Senat die Klima­notlage erklärt. Auch nur ein dünner Halm, aus dem aber noch etwas wachsen kann – und wird. Jedenfalls, wenn wir alle und vorneweg die Klima-SchülerInnen weitermachen und nicht locker lassen. Claudius Prößer

Wer wächst, gewinnt, wer schrumpft, fährt auf dem Loserticket

Claudius Prößerüber die Fridays-for-Future-Bewegung