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Von exotisch bis politisch

Während sich die Internationale Grüne Woche mit Rekorden und ausgefallenen Speisen präsentiert, beziehen Demonstranten mit ökologischen und politischen Forderungen Gegenposition

Tierschutz wird groß­geschrieben Foto: Stefan Boness/Ipon

Von Alina Schwermer

Wenn von der Grünen Woche die Rede ist, dann gerne von kulinarischen Exoten. Von Mehlwurm-Burgern, die zuletzt ein absoluter Renner waren, von schmackhaften Heuschrecken, und von all dem, was man bei der Internationalen Grünen Woche (IGW) sonst so probieren kann. Weniger häufig ist die Rede von den zwölf Tonnen übrig gebliebenen Lebensmitteln, die die Berliner Tafel etwa 2018 auf der Messe einsammelte, weil die Aussteller sie nicht los wurden. Oder von den Ausstellern selbst, größtenteils VertreterInnen der konventionellen Landwirtschaft, die sich dort versammelt und ihre Produkte anpreist.

Vom 17. bis zum 26. Januar findet die Grüne Woche, die wichtigste internationale Messe für Ernährungsindustrie, Landwirtschaft und Gartenbau, zum 85. Mal in Berlin statt. Wieder werden etwa 400.000 BesucherInnen erwartet, und die Zahl der AusstellerInnen ist gestiegen, auf rund 1.800 aus 61 Ländern. Sie bieten vor allem Nahrungs- und Genussmittel an. Zeitgleich findet in Berlin mit „Wir haben es satt!“ zum zehnten Mal die Demo gegen industrielle, und für bäuerlich-ökologische Landwirtschaft statt. Eine Woche mit zwei völlig unterschiedlichen Konzepten.

„Wir haben es satt!“ stellt sich in einen Gegensatz zu vielem, was bei der IGW eine Plattform bekommt. Denn die Grüne Woche nennt sich zwar grün, ist aber vor allem dem Agrarbusiness verpflichtet. „Das Davos des Agrarbusiness“, so tituliert sie sich vielsagend selbst auf ihrer Webseite. Etwa 100.000 Produkte werden ausgestellt, es sind RepräsentantInnen des Groß- und des Einzelhandels vor Ort, und es geht vor allem um Genuss und Marketing, trotz der Beteuerung, dass Bio eine zunehmend wichtigere Rolle spiele.

Die Demo „Wir haben es satt!“ am 18. Januar setzt sich dagegen für artgerechte Tierhaltung, gegen das Insektensterben und für globale Solidarität mit fairen Arbeitsbedingungen ein. Ein zentrales Thema sind die hohen staatlichen Subventionen, die an alle bäuerlichen Betriebe gehen, ganz gleich, ob sie ökologisch wirtschaften oder nicht. „Fördergelder nur noch für Bauernhöfe, die die Tiere gut halten, Umwelt- und Klima schützen und gutes Essen für uns alle herstellen“, so eine zentrale Forderung der DemonstrantInnen.

Gerade in einer Stadt wie Berlin verfängt das durchaus: Rund 35.000 TeilnehmerInnen waren zur Demo im vergangenen Jahr erschienen. Spätestens, seit 1994 hier der erste Bio-Supermarkt von LPG eröffnete, ist die Stadt eine Pionierin neuer ökologischer Wege. Um die Demos nachhaltig zu machen, fehlt allerdings eine angemessene Reaktion der Politik. „Wir haben es satt!“-Sprecherin Saskia Richartz klagt: „Seit zehn Jahren entwickeln wir im breiten Bündnis Ideen, wie die Landwirtschaft wieder mit Umwelt, Tierwelt und letztlich auch mit der Gesellschaft in Einklang gebracht werden kann. Aber unsere Vorschläge stoßen im Agrarministerium auf taube Ohren, weil dort die wichtigen Zukunftsaufgaben konsequent ignoriert werden. Alle Landwirtschaftsminister der letzten zehn Jahre haben sich geweigert, die Probleme der industriellen Landwirtschaft zu benennen und belastbare Vorschläge zum Umbau der Landwirtschaft vorzulegen.“

Global denken, lokal kaufen – das ist noch die einfachste Forderung der Demo

Laut Aussagen der OrganisatorInnen mussten seit 2005 rund 130.000 landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland schließen. Die vergangenen Sommer mit Dürren und Starkregen haben die Höfe noch heftiger unter Druck gesetzt, doch auf das neue Agrarpaket folgte statt Zustimmung für Umweltmaßnahmen vor allem ein reaktionärer Backlash seitens des Bauernverbandes und vieler LandwirtInnen. Lieber Glyphosat verwenden, als finanziell noch stärker unter Druck zu geraten – obwohl gerade Unkrautvernichter mit ihrer schädlichen Wirkung auf Insekten und Pflanzen langfristig Klima, Wasser und Umwelt immer weiter zerstören. Richartz lässt sich dazu eher diplomatisch zitieren: „Die Sorge der Bäuerinnen und Bauern, sie könnten mit dem notwendigen Umbau der Landwirtschaft alleine gelassen werden, sind durchaus berechtigt. Die Landwirte brauchen verlässliche Vorgaben und finanzielle Unterstützung für die notwendigen Veränderungen.“ Die Demo fordert gezielte Unterstützung für Klima-Maßnahmen sowieso angemessene Produktpreise, die der Verbraucher eben auch zahlen müsse.

Am 18. Januar um 12 Uhr startet die „Wir haben es satt!“-Demonstration mit einer Auftaktkundgebung am Brandenburger Tor und endet um etwa 14.30 Uhr am selben Ort mit Essen, Musik und Kundgebungen. „Agrarwende anpacken, Klima schützen“, fordern die LandwirtInnen und anderen TeilnehmerInnen.

Wer aber einfach nur zur IGW möchte, kann sich dort eine Woche lang durch die Welt der (nicht nur) konventionellen Landwirtschaft bewegen und von Afghanistan bis Vietnam allerlei Leckereien verköstigen, ob exotisch oder konventionell. Auch Organisationen wie die Welthungerhilfe, der WWF, Fair Trade, Brot für die Welt und Misereor sind mit Ständen vor Ort. Neben der Verkostung lässt sich etwa lernen, wie fair zertifizierter Kaffee hergestellt wird oder wie die Cashew in Afrika Arbeitsplätze geschaffen hat. Dazu gibt es Kochshows und Livemusik aus den Herkunftsländern. Und ja, natürlich auch wieder Insekten.

www.gruenewoche.de

www.wir-haben-es-satt.de