Programmierer über Umweltbewegung: „Privatsphäre stiftet Zusammenhalt“

Öko­ak­ti­vis­t*in­nen und IT-Community rücken zunehmend zusammen. Julian Oliver hilft Umweltprotestbewegungen beim Aufbau ihrer digitalen Infrastruktur.

ein Mann schwenkt eine blaue Fahne mit dem Symbol der extinction rebellion-bewegung

Extinction-Rebellion-Proteste in Nantes im Dezember 2019 Foto: Jérémie Lusseau/imago-images

taz: Herr Oliver, wie sind Sie als Hacker für Umweltthemen sensibilisiert worden?

Julian Oliver: Der Grundstein dafür wurde bei mir wohl sehr früh gelegt, während meiner Kindheit in Neuseeland. Wir lebten inmitten von subtropischen Regenwäldern, die noch nie gefällt worden waren. Wenn ich nicht gerade an den elektronischen Geräten und frühen Computern meines Vaters herumexperimentierte, vertrieb ich mir die Zeit in diesem Wald. Ich sah auch mit an, wie die angrenzenden Wälder gerodet wurden, um Ackerland zu schaffen, wurde Zeuge der Degradierung dieses blühenden Naturraums.

Als ich dann anfing, mich mit Antiüberwachungstechnik zu beschäftigen, sah ich eine sinnvolle Überschneidung: Dort, wo Individuen oder Organisationen der Umweltbewegung Hilfe brauchten, ihre Kommunikation zu sichern und ihre Methoden an das zunehmend feindliche politische Klima anzupassen. Seit circa acht Jahren bin ich nun sehr aktiv in diesem wichtigen Bereich.

So eine naturnahe Biografie entspricht nicht gerade dem gesellschaftlichen Stereotyp vom Computer-Nerd. Ist die Nähe dieser beiden Welten eine Ausnahme oder beobachten Sie das derzeit vermehrt innerhalb der Tech-Community?

In den letzten Jahren fällt mir zunehmend auf, dass viele Programmierer zur Umweltbewegung stoßen – etwa bei Extinction Rebellion (XR). Einige haben Biologie studiert und jetzt Programmieren für sich entdeckt. Andere sind technikaffin, aber lieben bestimmten Outdoor-Sport – es gibt da eine große kulturelle Überschneidung. Außerdem wächst die Skepsis gegenüber Tech-Solutionismus. Viele von uns glaubten am Anfang das Versprechen, dass wir ein besseres Morgen schaffen können und dass die Technologie uns retten kann. Doch in den vergangenen Jahren ist klar geworden, dass wir planetare Grenzen überschreiten.

Auf dem Chaos Computer Congress (CCC) Ende Dezember – Motto: „Resource Exhaustion“ – haben Sie einen Vortrag zu Ihrer Arbeit für die Bewegung Extinction Rebellion gehalten. Was fehlte XR denn?

Eine sichere Plattform. Ich sah viele Ortsgruppen über Dienste wie Google-Gruppen, Facebook oder Slack mobilisieren, ohne Bewusstsein für die Risiken. Als XR Frankreich sich gründete, konnte ich nicht einfach zusehen, wie der Ableger sich auf solche stark überwachte Infrastruktur verließ – vor allem wegen Frankreichs dunkler Vergangenheit im Umgang mit zivilem Ungehorsam und Umweltschutz-Gruppen. Ich wusste, dass sie einen Server außerhalb der EU und außerhalb der Five-Eyes-Staaten (Geheimdienstkooperation zwischen USA, Großbritannien, Neuseeland, Australien und Kanada, d. Red.) brauchten. Deswegen wählte ich Island und später die Schweiz als Standort.

Aber zieht eine gewisse Offenheit nicht auch mehr Leute an?

geboren in Neuseeland, lebt und arbeitet in Berlin. Seit 1996 ist er als Künstler aktiv.

Das Problem ist, dass bei XR viele nichttraditionelle Aktivisten organisiert sind. Viele sind Wissenschaftler, Menschen mit Jobs bei etablierten Unternehmen oder gar in staatlichen Behörden. Sie können es sich schlicht nicht leisten, ihre Persönlichkeit mit zivilem Ungehorsam in Verbindung zu bringen. Ein Regime der Offenheit schließt also effektiv Menschen aus. Die Leute öffnen sich nur, wenn sie sich sicher genug dafür fühlen. Das hat sich sehr schnell bewahrheitet: Bereits jetzt umfasst die Serverpopulation von XR Frankreich 17.500 Menschen – und das wird sich dieses Jahr schätzungsweise verdoppeln bis verdreifachen. Hinzu kommt ein Vielfaches an Usern in den vielen dezentralen Servern, die ich eingerichtet habe.

Sehen Sie sich dabei in der Tradition vergangener Hacker-Bewegungen?

Kulturell war vor allem Cypherpunk ein starker Einfluss für mich. Eines der bewegendsten Dokumente für mich ist „A Cypherpunk’s Manifesto“ von 1993. Für meine Arbeit ist es eine kanonische Schrift und ich sehe es als literarisches Werk – aber auch als Mantra. Was jedoch mein Engagement für Umweltschutz angeht, brauche ich nicht nach Motivation zu suchen. Umso mehr ich über planetare Grenzen und Klimawandel lese, umso mehr ich den Zustand dieses Lebensraums betrachte – desto mehr fühle ich die Dringlichkeit in meinen Knochen. Es ist ziemlich klar, was zu tun ist.

Vom Standpunkt eines breiteren Publikums aus gefragt: Ist Ihre Skepsis gegen herkömmliche Onlinedienste nicht übertrieben? Was sind die konkreten Gefahren für Aktivisten?

In Großbritannien wurden Massen an Aktivisten von XR zum Beispiel bereits vor Start einer koordinierten Aktion präventiv verhaftet. Die Leute wurden in ihren Häusern aufgesucht oder auf der Straße festgesetzt. Eine Sache habe ich danach von sehr vielen der Verhafteten gehört: „Sie wollten nicht wirklich mich. Sie wollten mein Handy.“ Zahlreiche Menschen berichteten davon, wie Beamte Handys entsperren ließen oder beschlagnahmten – und direkt zu Gmail gingen. Das verbreiterte die nachfolgende Verhaftungswelle immer mehr. Zum Beispiel wurde ein Finanzberater verhaftet, der ausschließlich in einem E-Mail-Wechsel auftauchte.

In Ortsgruppen in Ländern wie den Philippinen, Indonesien oder Brasilien macht so etwas die Menschen verständlicherweise sehr nervös. Dort wirst du erst überwacht und dann lebenslänglich weggesperrt, geschlagen oder erschossen. Unsere nordeuropäische Perspektive auf Bürger- und Datenschutzrechte können wir also auf viele andere Regionen nicht übertragen. Es geht hier auch nicht um eine Verschwörung: Google und Co sind als Unternehmen ganz einfach immer bestimmten juristischen Systemen unterworfen.

Und dann sind da ja noch zwischenstaatliche Abkommen zur Datenübermittlung …

Exakt. Es ist also höchst sinnvoll, bei dem Faktor Privatsphäre anzusetzen. Sie stiftet Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Mit den Worten von „A Cypherpunk’s Manifesto“: „Privatsphäre ist die Macht, uns selektiv der Welt zu offenbaren.“ Es gibt Dinge, die ich meinem Bruder erzähle, aber nicht meiner Mutter. Dinge, die ich meinem Kollegen erzähle, aber nicht meinem Chef. Das ist die Art und Weise, wie wir uns zueinander in der Gesellschaft stellen.

Warum braucht es zum „selektiven Offenbaren“ neue Plattformen?

Weil wir Plattformen brauchen, die ganz der Community gehören, sogenannte Community Ownership. Nur wenn die Mitglieder selber verantwortlich sind für den Betrieb einer Plattform und für die gespeicherten Daten, kann eine Organisation juristisch ganz für sich selbst sprechen. Wenn sie mit einem Dritten arbeitet – egal wie wohlgesonnen –, dann ist dieser Dritte mitbetroffen. Das birgt ein ethisches Problem, aber auch eine gesetzliche Komplexität. Die ist vermeidbar.

Haben die zivil Ungehorsamen die Geduld zu so einem Wandel?

Das ist das Problem. Die Leute spüren eine große Dringlichkeit. Sie wollen jetzt und heute aktiv werden, mit schlaf- und rastlosem Eifer. Let’s go! In so einem Klima wird alles Technische immer wie ein Hindernis wirken. Glatte und einfache Angebote von Überwachungskapitalisten wie Google scheinen hingegen sinnvoll, weil sie einen kaum Energie kosten. Community-eigene Plattformen lösen da leicht Frustrationen aus: „Im Ernst? Warum verschwenden wir unsere Zeit damit?“ Aber von Aktivist zu Aktivist höre ich dann schnell Dinge wie „Ohne die Sicherheit wäre ich gar nicht beigetreten“. Die Menschen lernen die vertrauenswürdige Software zu schätzen. Das Umdenken beginnt.

Rettet uns am Ende die Technik?

Jedenfalls ist sichere Infrastruktur essenziell. Aber generell sehe ich in der IT-Community eine Abkehr vom naiven Technikglauben. Das liegt an einer Art perfektem Sturm, den wir gerade erleben: Es sind nicht irgendwelche Hippies, die „Mutter Erde leidet“ schreien. Es sind die meisten der lebenden Nobelpreisträger, die uns warnen, dass wir Grenzen überqueren, hinter die es kein Zurück gibt. Es sind Persönlichkeiten, die für ihre technischen oder wissenschaftlichen Beiträge hoch geschätzt werden. Wenn solche Menschen aufstehen, dann liest die Tech-Community das nicht als Meinung. Sie liest es als Fakt. Hacker sind für Wissenschaft empfänglicher.

Also liegt es nur an den Überbringern der Botschaft?

Es geht auch um die Erkenntnis, dass viele der solutionistischen Tagträume zu spät kommen werden. Negative Emissionstechnologie zum Beispiel: Nicht ein Kohlenstoffspeicher ist giga­tonnenfähig. Dass auf dem CCC nun von Degrowth geredet wird, ist beinahe gegensätzlich zur ursprünglichen Idee vom Cyberspace als endlos erweiterbarem Raum. Immerhin sollte das Internet erst „Intergalaktisches Netzwerk“ getauft werden. Das war eine wunderbare Idee, aber wir bewegen uns nun weg von der Science-Fiction. Wir realisieren, dass es nicht Bladerunner oder Blackmirror ist, worauf wir zusteuern. Sondern Massenmigration und Bürger­krieg.

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