Forscherin zu kleinen Häusern: „Man muss sich einschränken“

Ein ganzes Haus auf 10 bis 40 Quadratmetern? Das bieten sogenannte Tiny Houses. Julia Susann Helbig erklärt, warum die Minihäuser so gefragt sind.

Christiane Hille, Architektin aus Weimar, steht in ihrem von ihr selbst geplanten Tiny House

Klein und fein: Tiny House in Weimar Foto: dpa

taz: Frau Helbig, was hat ein kleines Haus, was ein durchschnittliches Haus oder eine Wohnung nicht hat?

Julia Susann Helbig: Auf den ersten Blick bieten Tiny Houses alles, was wir in unserer Gesellschaft zu den grundsätzlichen Ansprüchen einer Wohnung zählen würden: eine Küche oder zumindest eine Kochnische, ein Bad sowie einen Wohn- und Schlafbereich. Aber: Die starke Reduktion des Wohnraums ist es, was ein durchschnittliches Haus nicht hat. Tiny Houses haben meistens nur 10 bis 40 Quadratmeter Fläche. Man muss sich also beim Gestalten, Einrichten und Wohnen zwangsläufig einschränken und Prioritäten setzen.

Es geht also um Verzicht?

Nein, eher im Gegenteil. Das Beschränken ist Zweck und Ziel dieser Wohnform. Es geht quasi um ein Gegengewicht zum gesteigerten Konsum und Überfluss. Und natürlich um einen ganz praktischen Vorteil: um Flexibilität. Es gibt mobile Formen auf Rädern, mit denen etwa ein Umzug beispielsweise in eine andere Stadt mit dem Eigenheim möglich wird. Das hat ganz viel mit Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit zu tun.

Julia Susann Helbig ist Kulturanthropologin und Volkskundlerin und forscht an der Universität Hamburg zur Tiny-House-Bewegung.

Was für Menschen entscheiden sich für ein Tiny House?

Natürlich sind Tiny Houses etwas, das gerade im Trend liegt. Aber sie adressieren ganz unterschiedliche Bedürfnisse und fügen sich in ein paar aktuelle Entwicklungen ein. Zum Beispiel nimmt die Zahl der Haushalte, in denen mehrere Personen leben, ab. Gleichzeitig sehen wir, besonders in Ballungsräumen, stark steigende Mieten.

Dazu kommt: Minihäuser haben meist einen geringen Energiebedarf, sind also umweltfreundlicher. Auch das kann ein Beweggrund sein, sich für diese Wohnform zu entscheiden. Und sie sind eine Geldanlage, und zwar in einem recht überschaubaren Rahmen. Wenn man einiges selber macht und sich nicht für eine Luxusvariante entscheidet, kann man ein Tiny House schon für 10.000 Euro bekommen. Eine Wohnung gibt es dafür vielerorts nicht.

Und welche Rolle spielt der Minimalismus-Gedanke?

Der zieht sich quasi durch alle Ebenen durch. Die Minihäuser ermöglichen ihren Bewohnerinnen und Bewohnern, ein minimalistisches und bewussteres Leben zu leben und das auch zum Ausdruck zu bringen. Dazu kommt: Die Akteure der Tiny-House-Bewegung sehen in der Konsumkultur marktorientierter Wirtschaftssysteme eine Ursache aktueller globaler Konflikte.

Die Lösung dafür sehen sie im Downsizing. Und da gehört alles mit rein: ein bewusstes Verkleinern, quasi ein Gesundschrumpfen des gesamten Lebensstils, ein eingeschränktes Konsumverhalten, eine ökologisch verantwortungsvolle Lebensweise, und im Ergebnis ein Wandel hin zu einer Postwachstumsökonomie.

Jetzt ist ja materieller Verzicht in Zeiten der Digitalisierung auch einfacher zu leben. Musik, Filme, Bücher, Kalender, Tagebücher – ganz viel lässt sich mittlerweile durch digitale Pendants ersetzen, das schafft Platz.

Ja, es ist natürlich reizvoll, damit den materiellen Besitz zu reduzieren. Aber die Digitalisierung von Inhalten wird in Minimalismus-Kreisen auch kritisch diskutiert. Die Kritik: Das Vorgehen, Inhalte in diesen digitalen Bereich zu verschieben, schaffe nur oberflächlich Freiheit, führe aber letztendlich nicht zu wirklicher Achtsamkeit und Klarheit. Denn eigentlich geht es ja beim Minimalismus nicht darum, die Dinge aus dem Blickfeld zu haben. Sondern darum, sich bewusst mit Dingen, und seien sie digital, auseinanderzusetzen.

Sich bewusst einschränken, heißt aber auch, man hätte die Möglichkeit, es nicht zu tun.

Ja, natürlich setzt ein bewusster Verzicht voraus, dass man die Wahl hat. Allerdings ist hier nicht immer ganz klar, wo die Linie verläuft zwischen bewusster Distinktion und einer kapitalbewahrenden Strategie, die sozusagen aus der Not eine Tugend macht.

Gegenstände stehen häufig für Bindungen. Zu anderen Menschen oder auch zu sich selbst. Was bedeutet es, auf Materielles verzichten zu können?

Wer sich von Gegenständen trennt, setzt sich mit seiner eigenen persönlichen Geschichte und Identität auseinander. Wer Besitz reduziert, leistet so gesehen auch Identitätsarbeit. Auf Materielles verzichten zu können, kann aber auch zeigen, wie jemand von anderen verstanden werden will: Zum Beispiel als Person, die nichtmateriellen Bereichen des Lebens mehr Beachtung schenkt. Damit werden andere Lebensbereiche aufgewertet, wie die geteilte Zeit mit Freunden und der Familie, das Pflegen von Hobbys oder das Praktizieren eines spirituellen Weges.

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