Frauen leisten zu viel unbezahlte Arbeit: Fuck you, fiskalische Effekte!

Eine Studie befindet: Mehr Ganztagsbetreuung führt zu mehr erwerbstätigen Müttern und mehr Steuereinnahmen. Was ist mit den Vätern?

Brotbox mit Äpfeln und Gurkenscheiben

Und wer hat jetzt wieder all die Äpfelchen und Gurken für die Schulbox geschnitten? Foto: Ralf Hirschberger/picture alliance

Ich renne die Treppe hinunter, nehme immer zwei Stufen auf einmal. In zwanzig Minuten muss ich im Schulhort sein, damit ich es anschließend pünktlich zur Videokonferenz schaffe. Während der Videokonferenz schmiere ich meinem Kind, das neben mir sitzt, ein Brot. Ich bin halb bei der Konferenz, halb bei meinem Kind. Aber nirgendwo ganz.

Eigentlich habe ich also gar keine Zeit, mich aufzuregen. Manchmal gelingt es mir dann aber doch, zum Beispiel wenn ich eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) lese. „Fiskalische Wirkungen eines weiteren Ausbaus ganztägiger Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter“ heißt sie, und ihr Ergebnis lautet: Mehr Ganztagsangebote für Grundschulkinder führen zu mehr erwerbstätigen Müttern. Wenn Mütter mehr lohnarbeiteten, könnten sie damit den Ausbau der Ganztagsbetreuung ihrer Kinder refinanzieren. Lohnarbeiten, Care-­Arbeiten, emotionale Arbeit, Hausarbeit, Kinderbetreuung. Jetzt sollen Mütter also auch noch für die Volkswirtschaft arbeiten. „Fiskalische Effekte“ nennt die DIW-Studie diese steuerlichen Auswirkungen. Ich denke: Fuck you, fiskalische Effekte!

Die Studie wurde vom Familienministerium beauftragt. Im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht zwar der gesetzliche Rechtsanspruch auf eine solche Betreuung – für dessen Durchsetzung braucht das Ministerium aber ­offensichtlich noch Argumente. Und das schlagkräftigste Argument in der Politik ist weiterhin Geld.

Ich sehe ganz andere Argumente. Zum Beispiel die Vision einer Gesellschaft, in der Menschen ihre Zeit selbstbestimmt aufteilen können. Die Soziologin Frigga Haug schlägt die Vier-in-­einem-Perspektive vor. Sie geht von einem 16-Stunden-„Arbeitstag“ aus, in dem die vier Arten von Arbeit jeweils circa vier Stunden Raum einnehmen. Ein Viertel Erwerbsleben, ein Viertel Sorgearbeiten für sich selbst und andere, ein Viertel eigene Entwicklung und kulturelle Arbeit, ein Viertel gesellschaftspolitisches Engagement. Das würde heißen: eine 20-Stunden-Woche für alle, die neue Vollzeit. Und alle könnten davon leben.

Ist es privilegiert, sich solche Gedanken machen zu können? Ja, findet Christa Katharina Spieß, Autorin der DIW-Studie. Sie sieht es lieber so: „Wenn Mütter ihren Erwerbswunsch so realisieren können, wie sie wollen, dann rechnet sich das.“ Selbstbestimmung halte ich für ein wichtigeres Argument als das fiskalische. Doch Selbstbestimmung muss für Mütter mehr beinhalten als eine 40-Stunden-Woche plus Fürsorgearbeiten.

Lohnarbeit, Care-Arbeit, Kinderbetreuung. Jetzt sollen Mütter auch noch lohnarbeiten für die Volkswirtschaft

Und ja, für viele Mütter sind bessere Betreuungsangebote, vor allem in Randzeiten, existenziell wichtig. Eine Freundin von mir ist alleinerziehende Hebamme und kann ihre Nachtdienste nur absolvieren, weil ihre Eltern die Enkeltochter ab und zu über Nacht betreuen. Oft arbeiten Mütter auch wegen fehlender Kinderbetreuung in Teilzeit, können davon kaum leben, die Altersarmut ist vorprogrammiert. Es sind die Berufe, in denen nach wie vor meistens Frauen arbeiten, die Flexibilität erfordern. Und in denen die Bezahlung selbst in Vollzeit oft nicht dafür reicht, gut leben zu können. Hebammen, Verkäuferinnen, Putzkräfte, Erzieherinnen, Pflegekräfte, Kellnerinnen.

„Eine Fachkräfteoffensive im pädagogischen Bereich halte ich für elementar und damit einhergehend auch eine bessere Bezahlung“, sagt Spieß. Auch sie sieht die unfaire Bezahlung von Jobs im sozialen Sektor. Angesprochen darauf sagt die Ökonomin, die Männer müssten ran: in die pädagogischen Berufe und natürlich auch in die Verantwortung für Care-Arbeit.

Diesen wichtigen, wenn nicht entscheidenden Aspekt vernachlässigt die Studie komplett. Das Wort Väter kommt auf den 35 Seiten der Studie genau zweimal vor, und zwar in diesen zwei Sätzen: „Veränderungen in der Erwerbstätigkeit von Vätern werden nicht berücksichtigt, da empirische Studien auf Basis deutscher Daten belegen, dass sich ihre Erwerbstätigenquote und ihr Erwerbsvolumen durch einen Ausbau von Ganztagsangeboten für Grundschulkinder nicht signifikant verändern wird.

Dies hängt auch damit zusammen, dass nahezu alle Väter mit Kindern im Grundschulalter bereits einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen.“ Kurz gesagt: Väter machen Lohnarbeit, Mütter machen Lohnarbeit und Kinder und Gedöns. Wenn’s gut läuft, bringen sie auch noch die Volkswirtschaft in Ordnung und sorgen dafür, dass sie die Betreuung ihrer Kinder selbst refinanzieren.

Es wäre hilfreich, wenn die Rollenverteilung von heterosexuellen Eltern nicht auf dem Stand der 1950er Jahre bliebe

Das in einer Studie 2020 so zu schreiben und unkommentiert zu lassen ist problematisch. Es sorgt dafür, dass der Status quo erhalten bleibt. Dabei muss selbstverständlich möglich sein, dass Mütter sich ihren „Erwerbswunsch“ erfüllen können. Schließlich bedeutet Erwerbsarbeit nicht nur Existenzsicherung, sondern Teilhabe. Diese ist wichtig für alle Menschen, auch Väter und Mütter – und da wäre es hilfreich, wenn die Rollenverteilung von heterosexuellen Eltern nicht auf dem Stand der 1950er Jahre bliebe.

Es ist Zeit für politische, auch steuerliche Visionen, die von gleichberechtigter Elternschaft ausgehen und berücksichtigen, dass die am stärksten wachsende Familienform Ein-Eltern-Familien sind. Die gute (!) Ganztagsbetreuung mit gut (!) bezahlten Fachkräften muss her. Mindestens genauso schnell wie Väter, die selbstverständlich Fürsorgearbeiten übernehmen, und Menschen, die die menschenfeindliche 40-Stunden-Woche hinterfragen.

Das betrifft nicht nur Eltern, sondern alle. Menschen, die sich um Angehörige kümmern; Menschen, die im Chor singen wollen, statt abends am dunklen Büroschreibtisch zu sitzen; Menschen, die ihren Wert lieber in Fürsorglichkeit messen statt an ihrem Beitrag zur Volkswirtschaft. Und Menschen, die nicht nur überall halb sein wollen, sondern ganz.

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Mareice Kaiser lebt in Berlin und im Internet. Als Journalistin, Autorin und Moderatorin scrollt, schreibt und spricht sie zu Gerechtigkeitsthemen.

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