Welle mit Maler

Neues Wunder von Bern: In der Schweizer Stadt hat das weltweit größte Museum des Malers Paul Klee eröffnet, entworfen von Renzo Piano

„Wenn Klee das Haussehen würde –dann würde er ganz bestimmt leise schmunzeln“

von ARIANE EICHENBERG
und MICHAEL MAREK

„Diesseitig bin ich gar nicht fassbar, denn ich wohne grad so gut bei den Toten wie bei den Ungeborenen“, so die Inschrift auf seinem Grabstein. Paul Klee, dem Maler, Musiker, Poeten und Lehrer, der 1879 bei Bern geboren wurde, dort aufwuchs und bis kurz vor seinen Tod 1940 wieder in der Schweiz Zuflucht vor dem NS-Regime fand, ihm ist nach achtjähriger Planungs- und Bauzeit eine ganze Welt gewidmet – eine Welt, in der Kunst, Forschung und Pädagogik zusammentreffen sollen. So der Anspruch des ambitionierten Kulturzentrums Paul Klee.

Am östlichen Stadtrand von Bern gelegen, zwischen Autobahn, vereinzelten Villen, Roggenfeldern und dem Schosshaldenfriedhof, steht das Gebäude der Superlative – ein metallüberdachter Dreifachhügel, an dem künftig niemand vorbei kommen wird auf dem Weg zu Klee. Über drei mächtige Wellenbewegungen, die sich tief in die Erde eingraben und wieder hoch aus ihr emporsteigen, zieht sich der vom italienischen Architekten Renzo Piano entworfene Museumsbau.

Eine filigrane, elegante, 150 Meter lange Landschaftsskulptur aus Glas und Stahl, die sich entschieden vom Berner Durchschnitt mit seinen mittelalterlichen Gebäuden, klassizistischen Häuserfassaden und Arkadengängen abhebt. Gewaltige Erdmassen und 70 Millionen Euro wurden in Bewegung gesetzt, damit Piano aus künstlichen Hügeln die drei Hallen des Zentrums wachsen lassen konnte.

Bereits vor der Eröffnung wurde befürchtet, dass Piano einen Bau entworfen habe, der selbstbezogen sei und sich der Funktion des Ausstellens als lästig entledige. Diesen Vorwurf der Zweckfeindlichkeit weist der Architekt, der mit dem Centre Pompidou in Paris, der Foundation Beyeler in Basel und dem Flughafen in Kansai weltbekannt wurde, von sich: „Manchmal fragen die Leute, ob dieses Museum Paul Klee entspräche. Natürlich nicht! Dieses Haus ermöglicht aber ganz vielfältige, eindringliche Raumerfahrungen. Es ist aus Metall gebaut und verbindet sich mit der Landschaft. Man weiß nie genau, wo das Gebäude endet und die Natur beginnt. Es ist ein ständiges Spiel, das hat viel mit Paul Klee zu tun und gleichzeitig sehr wenig.“

Im Innern des Paul-Klee-Zentrums erwarten den Besucher rund 4.000 Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Handpuppen des berühmten Modernisten. Ergänzt wird diese weltweit größte monografische Sammlung durch eine multimedial ausgestattete Museumsstraße: mit Computerterminals, über die sich das Gesamtoeuvre Paul Klees abrufen lässt, mit einem Auditorium für Tanz- und Theater, Symposien, Incentiv-Veranstaltungen und einem Kreativzentrum für Kinder.

Piano hat den größten Teil der Klee-Sammlung im so genannten Schatzhaus untergebracht – geschützt vor dem Sonnenlicht und den Augen der Besucher. In den lichten Ausstellungssälen, die gleichwohl fast alle unterirdisch liegen, ist dagegen nur ein Teil der Sammlung und auch nur für einen beschränkten Zeitraum zu sehen. Die Bilder rotieren, damit sie nicht allzu lange der Strahlung des Tageslichts ausgesetzt sind.

Die Wände wurden nicht etwa eingebaut, sondern an Stahlseilen schwebend in den Raum gehängt. Offene und zugleich geschützte Räume mit ständig wechselnden Perspektiven entstehen und fordern den Besucher zum assoziativen Betrachten der Werke heraus, zum spielerischen Entdecken von Zusammenhängen. „Dieses Klischee, diese Romantizismen von Klee in kleinen Formaten, kleinen Räumen, kurzen Wänden, das sieht bei uns ganz anders aus“, so Tilman Osterwold, künstlerischer Leiter im Zentrum Paul Klee. In der Tat finden sich im Ausstellungsbereich großzügige Hängungen. Kleine Bilder an großen Wänden, aber auch Bildsequenzen, die eindrucksvoll Klees seriellen Produktionsprozess in immer neuen Variationen veranschaulichen.

Der Musikersohn aus Bern revolutionierte die Malerei mit zarter Poesie und einprägsamen Zeichen. Klees traumhafte Bildersprache, feinlinig und auf kleinem Format, mathematisch präzis, verdichtet auf essenzielle Grundelemente, zieht bis heute ein breites Publikum in seinen Bann. Seine rund 10.000 Arbeiten katalogisierte Klee schon pedantisch zu Lebzeiten.

Doch wer 30 bis 40 seiner Werke gesehen hat, der kennt das Gesamtwerk. Vieles wiederholt sich bei Klee, darin liegt die Magie des Künstlers und auch seine Begrenztheit. Warum also sollte man dann überhaupt nach Bern reisen, wo Klee auch in Düsseldorf, Hamburg und Basel zu bestaunen ist? „Klee ist wie ein Dichter der klassischen Antike. Er stellt die Grundfragen des Lebens“, sagt Museumsdirektor Andreas Marti, vor allem „nach dem Tod, nach der Politik: Was darf sich der Staat gegenüber dem Individuum leisten? Wenn wir feststellen müssen, dass diejenige Macht, die den größten Machtanspruch in der Welt erhebt, gegenwärtig die Menschenrechte laufend mit Füßen tritt, dann ist Paul Klee jemand, der Antworten gibt und der zur Reflexion einlädt.“

Bern ist stolz auf „seinen“ Klee. Die Stadt hat in das neue Kulturzentrum mitinvestiert. Kultur als wirtschaftlicher Faktor. Wissenschaft, Politik und Tourismus gehen Hand in Hand. Noch gibt es keine Paul-Klee-Andenkenindustrie, keine Kaffeetassen mit entsprechendem Konterfei, keine Schokoladen und T-Shirts mit seinem Namenszug – noch nicht! Denn eine Sonderbriefmarke Paul Klee ist bereits produziert worden, die fabrikneue Serie der Lötschbergbahn wurde innen und außen mit Klee-Versatzstücken geschmückt.

Sogar die Urne mit der Asche des Toten wurde umgebettet und liegt nun besucherfreundlich in der Nähe des Paul-Klee-Zentrums. Und das alles im Namen eines Künstlers, dessen stilles, nachdenkliches Werk sich gegen jegliches Blockbuster-Kunstgehabe verschloss: „Das Haus ist etwas völlig Neues. Vielleicht würde es Klee sogar erschrecken“, entgegnet Enkel Alexander Klee, „wenn er das Haus sehen würde und wüsste, was hier passiert ohne den ganzen Tamtam – dann würde er sich das anschauen, würde leise schmunzeln. Aber grundsätzlich glaube ich nicht, dass er das negativ empfunden hätte.“

Für die Berner Museumsmacher und Stadtoberen sind Kunst und Kommerz kein Gegensatz, im Gegenteil. Das Zentrum Paul Klee soll zu einem Ort für „breite Publikumsveranstaltungen – geschaffen für Musik, Performances, Symposien und Feste“ werden. So steht es im Gründungsmanifest. Ob sich da von einem „Ort der Stille, der Andacht, der inneren Hingaben“ sprechen lässt, wie Renzo Piano noch vor Baubeginn verkündete? Dabei war Paul Klee selbst ein bescheidener und präziser Denker und Maler der späten Moderne. Geradezu hellsichtig hatte er die eigene Epoche mit Bleistift und Skizzenblock festgehalten. Und wie heißt es auf seinem Grabstein: „Etwas näher der Schöpfung als üblich und noch lange nicht nahe genug.“

Schon wartet Bern mit weiteren Großprojekten auf und versucht der Metropole Zürich den Rang abzulaufen: den Neubau des Wankdorf-Stadions, in dem Fritz Walter mit seinen Mannen 1954 Fußballweltmeister wurde. 2007 soll dann das „Westside“-Freizeit- und Einkaufszentrum fertig gestellt sein. Architekt ist kein Geringer als Museumsspezialist Daniel Libeskind.