Statik ist die neue Dynamik

Wenn der Stillstand Bewegung ermöglicht und Musik beim Gehen zum Spektakel wird: Zum 15. Mal präsentiert der Klub Katarakt aktuelle Musik – von langsamen Drones bis zu Objektperformances

Mitgestalten, je nachdem, wo man sich gerade befindet: Eröffnungsnacht des Klub Katarakt im vergangenen Jahr Foto: Jann Willken

Von Tim Schomacker

Beobachtet man den amerikanischen Fotografen Gregory Crewdson bei der Arbeit, stößt man unweigerlich auf einen Punkt der Umkehrung. Wie an einem Filmset ist alles minutiös vorbereitet, das Licht, die Kostüme, die Gesten und so weiter. Und dann ruft Crewdson vom teleskopartigen Regiestuhl herab statt des notorischen „Action!“: „Freeze!“ Wo Dynamik zu erwarten war, entsteht Bewegungslosigkeit. Dieser Stillstand ist es, der – ist das Foto dann fertig, aus-gestanden – eine spezifische Form von Bewegung ermöglicht. Im Kopf. Als (mit-)rätselnder Aktivposten in der Kunstbetrachtung.

Im Sog festgelauscht

„Frozen Orchestra“ heißt eines der zentralen Ensemble-Stücke im Programm des Aktuellmusik-Festivals Klub Katarakt, dessen fünfzehnte Auflage in der kommenden Woche auf Kampnagel stattfindet. „Freeze!“, scheint sich dabei das um das Splitter Orchester erweiterte Berliner Quartett The Pitch selbst zuzurufen. Das Stück besteht aus einem eher leisen Drone, der sich – wie das bei Drones so ist –, einmal als Grundsound etabliert, unablässig in sich und gegen sich selbst verschiebt. Was einerseits im Zuhören die Ohren sich öffnen lässt für winzige Nuancen in mikrotonalen Bereichen.

Und andererseits, beim Zuhören, eine Art Komplizenschaft herstellt mit den Zuhörenden. Indem diese, durch das Zuhören, das Stück nämlich bis zu einem gewissen Grad mit-gestalten. Sich aneignen. Je nachdem, wo man sich eben gerade festlauscht, in dieser Sog-Bewegung. Oder auch, wo der eigene Kopf sich gerade befindet. Im Kopf.

So entsteht eine Räumlichkeit. Die durchaus eine installative Dimension hat. Auch wenn man gerade sitzt. Hören, als würde man gehen. Innere Kartografie. Nicht wenige Stücke aus dem Programm begegnen sich – wenn auch von verschiedenen ästhetischen Ausgangspunkten her – genau hier: wo mit dezidierter Geste und klarer Formgebung uns das musikalische Kunstwerk in all seiner Offenheit entgegentritt.

Morton Feldmans in Hauptfilm-Länge beständig uns entgegenstreichendes „Piano and String Quartet“ von 1985 etwa, inzwischen so etwas wie ein Referenz-Stück für klangliche Durationals. Oder Alvin Luciers Gitarren-Quartett „Double Helix“, das einem mit langwelliger Beharrlichkeit entgegenpulst. Es ist mehr als eine marketingtechnische Fußnote, dass Stephen O’Malley von der Doom-Drone-Band Sunn O))) 2018 bei der Uraufführung mitspielte. Ist die dronige Grundanlage ein veritabler Botenstoff zwischen ganz verschiedenen musikalischen Szenerien.

Auch die 1990 in Stockholm geborene Komponistin und Instrumentalistin Ellen Arkbro, der am Donnerstag ein abendfüllendes Por­trät gewidmet ist, konzentriert sich gern auf Schwingungen. Ihr Stück „Chords“ etwa, für Gitarre solo, verrät eine interessante Haltung gegenüber dem Instrument.

Als Werk-Zeug tritt es uns entgegen, zur Herstellung von harmonischen Konstellationen, die sehr lange und farbenreich ausklingen zwischen den einzelnen Akkorden. Die werden wie mit wissenschaftlichem Blick betrachtet – und behaupten doch gegenüber der fast unterkühlten Erzeugung ein Eigenleben: eine Spannung, die nicht wenige Stücke Arkbros trägt, vermutlich auch die Klub-Katarakt-Auftragskomposition für das Bläser-Trio Zinc & Copper des britisch-berlinerischen Tubisten Robin Hayward.

Ultrakonzentriert

Arkbros Haltung gegenüber der Gitarre ist insofern bemerkenswert, als sie dem Instrument die klangerzeugende Funktionsweise belässt, die diversen kulturellen Traditionen aber geradezu herauspräpariert, sodass das kleine Kulturmöbel plötzlich eine unvermutete Nähe aufweist zu allerlei Gegenständen, die gern zur Erweiterung des instrumentalen Klangspektrums benutzt werden: Plastikbecher, Aluschälchen, Steine und so weiter. Sei es wie in den ultrakonzentrierten Erprobungsszenarien Michael Maierhofs (hier unter anderem mit einem Stück für 17 Gitarristen aus seiner „Zonen“-Serie) oder, ganz anders suchend, in der mikroelektronisch gestützten Objekt-Performance „Place ist the Space“ von Gregory Büttner und Simon Whetham.

Und da ist er wieder, der Raum. Oder: beide Räume. Der innere und der äußere. In denen man sich, hörend (und auch ziemlich viel schauend), bewegen kann. Neben einer mikrotonalen Anlage und einem sich deutlich durchs Programm ziehenden roten Gitarren-Faden bildet das imaginär wie leibhaftig Installative einen Schwerpunkt des diesjährigen Programms.

Dramaturgisch passend also, dass das Festival mit einem fulminanten begehbaren Spektakel (Chor inklusive) eröffnet wird, das um die mehrräumige Videoarbeit „Passage“ von Josephin Böttger sich gruppiert. Bearbeitet Böttger doch mit Vorliebe Transformationsprozesse im Urbanen. Und die Frage, wie man sich darin bewegt.

Klub Katarakt 15: Mi, 15. 1., bis Sa, 18. 1., Kampnagel, Karten und Infos: www.klubkatarakt.net