die woche in berlin
: die woche in berlin

Zu spät: In Tempelhof-Schöneberg warten 90 Kinder auf einen Schulplatz – einige von ihnen schon seit den Herbstferien. Zu früh: Tesla will für eine neue Fabrik in Branden­burg jetzt schon mal Kiefern fällen, obwohl das Beteiligungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz noch bis März läuft. Und die Pläne zur Siemensstadt 2.0 werfen allerhand Fragen auf

Der nötige Nachdruck kommt spät

90 Kinder in Tempelhof-Schöneberg ohne Schulplatz

Es ist schon ein wenig verwunderlich: Da warten 90 Kinder in Tempelhof-Schöneberg auf ­einen Schulplatz, einige von ihnen seit den Herbstferien. Aber erst als die Geschichte zu Wochenbeginn an die Öffentlichkeit gelangt, geht plötzlich alles ganz schnell. Selbstverständlich gelte die Schulpflicht, äußerten sich Schulstadtrat und Bildungssenatorin unisono. Und dass man optimistisch sei, nun binnen weniger Tage Klassenräume und Personal aufzutreiben.

Die Kinder, die da teils seit Wochen auf einen Schulplatz warten, sind Kinder mit einem Fluchthintergrund. Sie sollen zunächst in kleineren Lerngruppen – den Willkommensklassen – vor allem Deutsch lernen, bevor sie in reguläre Klassen kommen. Weil es immer wieder Bewegung gebe in den insgesamt acht Wohnheimen für Geflüchtete im Bezirk, sei auch die Warteliste auf ­einen Schulplatz entsprechend dynamisch, heißt es aus dem Schulamt. Dass man inzwischen bei fast 100 Kindern angelangt ist, die nicht zur Schule gehen können, ist allerdings schon einigermaßen bemerkenswert.

Bleibt die Frage nach dem Warum. Haben die Schulen zu wenige Räume? Oder haben sie gefühlt zu viele andere Baustellen, als dass sie sich auch noch um die Einrichtung einer Lerngruppe kümmern möchten? Und vor allem: Warum wird den Schulen die Frage nach dem „Warum“ seitens der zuständigen Stellen erst so spät mit dem nötigen Nachdruck gestellt?

Flüchtlingsunterkünfte sind nicht unbedingt die besten Orte für Kinder, so etwas wie Integration passiert jedenfalls woanders – zum Beispiel in der Schule. Und zwar nicht nur in der Willkommensklasse beim Deutschlernen, sondern vor allem auch auf dem Pausenhof, beim Mittagessen, auf dem Schulweg.

Vielleicht hätte die Priorität also darauf liegen sollen, die Kinder überhaupt erst mal in die Schulen zu bringen – und wenn eine Schule keine Willkommensklasse gründen will, dann eben in eine bestehenden Klasse. Da ist die Sprachförderung dann erst mal suboptimal? In der Gemeinschaftsunterkunft hätte das Kind überhaupt keine gehabt.

Insgesamt 26 Schulen hätten derzeit Willkommensklassen eingerichtet, sagt Schulstadtrat Oliver Schworck (SPD) – weniger als die Hälfte der 60 öffentlichen Schulen im Bezirk. Jede Schule, die keine Lerngruppe hat, mag dafür aus ihrer Sicht berechtigte Gründe haben. Aber dass das Schulamt lediglich feststellen kann, dass sich offenbar keine Schule imstande sieht, die Kinder aufzunehmen, und erst dann ein wenig forscher gegenüber den Schulleitungen auftritt, wenn auch der öffentliche Druck steigt, wirkt schon ein wenig verschlafen. Anders gesagt: Man hat den Eindruck, dass hier der nötige Nachdruck gefehlt hat.

Anna Klöpper

Leitplanken statt Stoppzeichen

Die Tesla-Ansiedlung zu unter­stützen ist kein Kotau

Einen Investor erst mal grundsätzlich zu begrüßen, und sich über künftige neue Arbeitsplätze zu freuen, ist alles andere als ein Kotau. Politik heißt vor allem – oder sollte es zumindest tun –, sich um Grundbedürfnisse von Menschen zu kümmern, vor allem um Arbeit, Wohnen, Sicherheit. Darum hat der brandenburgische Wirtschaftsminister Jörg Steinbach von der SPD genau sein Jobprofil erfüllt, als er die sogenannte Gigafabrik von Tesla nach Grünheide holte, weil damit, wenn alles klappt, mehrere tausend Jobs verbunden sind – die Zahlen schwanken weiter zwischen 3.000 und 8.000.

Genau so klar ist, dass auch solche Investitionen Vorschriften unterliegen. Berlins Regierungschef Michael Müller hat das im Herbst im Abgeordnetenhaus treffend formuliert: „Ein Investor kann und soll in unserer Stadt nicht einfach machen können, was er will – doch es ist Aufgabe der Politik, diese Gespräche zu führen und nicht einfach abzusagen.“

Das ging damals vor allem in Richtung von Kreuzbergs grünem Baustadtrat Florian Schmidt, der zuvor eine mehrere 100 Millionen schwere Investition in einen Karstadt-Umbau am Hermannplatz abgelehnt hatte. Schmidt und Enteignungsaktivist Rouzbeh Taheri – „Investoren wie die Deutsche Wohnen möchte ich gern vergrätzen“ –, vermitteln wiederholt den Eindruck, als sei „Investor“ auf einer Stufe mit den Begriffen Kinderschänder oder Umweltverbrecher einzuordnen. Müllers Bild hingegen ist das von Leitplanken, die eine Investition in die richtige Richtung lenken sollen – und eben nicht von Absperrgittern und Stoppzeichen.

Auf Brandenburg und Tesla bezogen bedeutet das: Die erste Reaktion auf die Ansiedlungsankündigung kann eben nicht sein, das Projekt – wie leider teilweise doch geschehen – von vornherein wegen der 300 Hektar Kiefernwald infrage zu stellen, die für die Fabrik abgeholzt werden müssen. Man muss nicht Tausende Kilometer auf dem Rennrad durch Brandenburg unterwegs gewesen sein, um zu wissen, dass Kiefernwald alles andere als Mangelware im Land ist.

Aufgabe von Politik ist eben auch abzuwägen. Und da stehen auf der einen Seite mehrere tausend Arbeitsplätze, auf der anderen der Verlust einer überschaubaren Waldfläche, die etwa 400 Fußballfeldern entspricht. Vom einen kann Brandenburg durchaus noch mehr gebrauchen, umso mehr, wenn absehbar tausend Jobs im Braunkohletagebau wegfallen. Vom anderen hat das Land genug – umso mehr, wenn als Ausgleich fürs Abholzen anderswo aus suboptimalem Kiefernwald ein Mischwald wird.

Stefan Alberti

Aufgabe von Politik ist eben auch, abzuwägen. Und da stehen auf der einen Seite mehrere tausend Arbeitsplätze, auf der anderen der Verlust einer überschau-baren Waldfläche

Stefan Alberti über die Pläne der US-amerikanischen Firma Tesla, eine große Fabrik im brandenburgischen Grünheide zu errichten

Nun müssen Land und Bezirk liefern

Spandau: mit der Siemensstadt 2.0 entsteht ein neuer Stadtteil

Groß war die Freude, als am Mittwochabend der Siegerentwurf des städtebaulichen Wettbewerbs vorgestellt wurde. Für 600 Millionen Euro will der Siemenskonzern seine in die Jahre gekommenen Produktionsflächen in Spandau zu einer Siemensstadt 2.0 umgestalten – und wie es ausschaut, entsteht dabei nicht nur ein neues Quartier zum Arbeiten und Forschen, sondern auch ein neuer Stadtteil. Bislang war das Gelände nicht zugänglich, nun soll es sich öffnen, mit Plätzen, Wohnungen, Kitas und einer Schule.

Die Geschwindigkeit, mit der die beteiligten Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung, für Wirtschaft, die Senatskanzlei und Siemens das Ganze in Sack und Türen gepackt haben, war erstaunlich. Doch der im Dezember erfolgte Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan und der städtebauliche Wettbewerb sind erst der Beginn. Nun muss schnellstens auch geregelt werden, wie die Siemensstadt 2.0 verkehrlich erschlossen wird. Denn der U-Bahnhof Rohrdamm wird für die die Menschen, die im neuen Stadtteil wohnen und arbeiten, nicht reichen.

Nun ist die Wiederbelebung der 1980 stillgelegten Siemensbahn, die vom Bahnhof Jungfernheide bis zum Bahnhof Gartenfeld führt, beschlossene Sache. Der Senat hat sich im Gegenzug zur Investition von Siemens dazu verpflichtet. Darüber hinaus hat die Deutsche Bahn eine Studie ausgeschrieben, die klären kann, ob und wie die Siemensbahn von Gartenfeld über die Wasserstadt Oberhavel bis Hakenfelde verlängert werden kann.

Noch aber kann niemand genau sagen, wann der erste Abschnitt der Siemensbahn in Betrieb geht. Das für Januar 2020 angekündigte Ergebnis einer Untersuchung des Viadukts durch die DB liegt noch nicht vor. Das vom Senat angestrebte Ziel, die Siemensbahn ab 2025 fahren zu lassen, wird nur schwer zu halten sein. Hier muss es dem Senat nun gelingen, mit der Deutschen Bahn ähnlich effizient zusammenzuarbeiten wie mit Siemens.

Die zweite Baustelle betrifft die Auswirkungen der Siemensstadt 2.0 auf den Bezirk Spandau. Neue Arbeitsplätze und neue Bewohner bedeuten: Nicht nur Berlin ist wachsende Stadt, auch Spandau wird wachsender Bezirk. Vor allem in den anliegenden Wohnquartieren muss diesem Wachstum Rechnung getragen werden. Hier müssen schnellstens Mi­lieu­schutzverordnungen erlassen werden, fordert der Spandauer SPD-Abgeordnete Daniel Buchholz zu Recht. Denn sonst drohen die alte Siemensstadt und die Großsiedlung aus der Weimarer Republik sowie die gründerzeitliche Wilhelmstadt zwischen der Armutswanderung aus der Innenstadt und der Gentrifizierung durch Siemens zerrieben zu werden. Uwe Rada