berliner szenen
: Bärte rundherum für alle

Ich sitz auf’nem Stuhl, der viel zu klein ist für mich, denn der Stuhl steht in’ner Kita, und in der bin ich gerade, mit’nem Pinsel in der Hand, und male Gesichter an. Vor mir steht ein Mädchen und will einen Bart. „Das geht nicht!“, ruft eins der anderen Mädchen, die zuschauen, wie ich so male. „Mädchen haben keinen Bart!“

„Klar haben auch Mädchen Bärte.“ Ich tunk den Pinsel in Farbe.

„Haben sie nicht!“

„Doch! Auch Mädchen können Bärte haben“, mischt sich ein drittes Mädchen ein, und obwohl sie nichts anderes sagt als ich, hört das zweite auf sie und nickt. Ich nicke zurück, male dem ersten Mädchen weiter Bart ins Gesicht, und wenn ich schon mal dabei bin, auch mir. Gerade als ich fertig bin, kommt ein Junge. „Mädchen haben keinen Bart!“, sagt er.

„Doch!“, sage ich, sagen auch alle anderen. Kinder lernen schnell. Eins von ihnen zeigt dann noch auf mich. „Joey hat ja auch einen!“

„Aber Joey ist doch ein Junge!“, sagt der Junge.

„Nein“, sagen die anderen, einige von ihnen. „Joey ist ein Mädchen!“

Der Junge erstarrt. „Du bist ein Mädchen?“

„Ja“, sag ich. „Nein. Beides.“ Und dann erkläre ich, und während ich so erkläre, dass es eben mehr gibt als nur Mädchen und Jungs auf der Welt, mach ich mir Sorgen. Nicht wegen der Kinder, die können das ab, sondern wegen der Erzieher*innen hier. Weil gibt ja neuerdings Menschen, die denken, man soll Kindern so was nicht erklären, nicht in Kitas, nicht in Schulen, überhaupt nicht, nie. Krass, denke ich und erkläre umso mehr. Und dann atme ich auf, denn die Erzieher*innen nicken begeistert, statt mich hochkant raus­zuschmeißen. „Gut!“, sagen sie. „Bildung. So muss das sein.“ Und darum sitze ich weiter in der Kita und male Bärte an. Auch wenn die zu kleinen Stühle voll wehtun am Arsch, muss ich mal sagen. Echt. Joey Juschka