München Underground

Stephanie Müller vom Performancekunst-Duo Beißpony und Mira Mann von Candelilla haben zwei der eigenwilligsten EPs der Saison veröffentlicht

Von Julia Lorenz

Von der Furcht zum Vergnügen brauchte Mira Mann zehn Monate. Anfang des Jahres veröffentlichte die Bassistin und Sängerin der Münchner Postpunk-Band Candelilla den Band „Gedichte der Angst“. Die Texte entstanden 2017, wenige Tage nachdem die 32-Jährige die Diagnose erhalten hat, an Multipler Sklerose erkrankt zu sein. Zusammen mit dem Komponisten Ludwig Abraham wurde aus den „Gedichten der Angst“ nun ihre erste Solo-EP – mit dem helleren Titel „Ich mag das“. Vertonte Lyrik ist die Platte aber nicht: Sie habe sich nicht am Wortmaterial bedient, erklärte Mann, sondern die jeweilige Situation oder Stimmung als Grundlage für neue Texte genutzt, für die Abraham dann Samples und Beats programmierte.

Als Komponistin weiß sie um den Reiz der Leerstelle. Mit Candelilla erprobt Mann seit Jahren, wie man durch Reduktion präzise bleibt, mit Sachlichkeit Intimität schafft. Auf frühen Platten trieb das Quartett den Minimalismus so weit, dass sie den Songs keine Titel gaben, sondern sie schlicht nummerierten.

In den fünf Songs ihrer Solo-EP geht es meist darum, dass sich zwei Menschen begegnen. Dem klassischen Pop-Thema ringt Mann eine neue Dimension ab, indem sie die Begegnung als das beschreibt, was sie im Kern ist: ein ganz und gar seltsamer, unwahrscheinlicher, manchmal befremdlicher Prozess, ein Tasten, ein Austarieren von Nähe und Abstand, das einen verletzlich macht und auf die eigene Körperlichkeit zurückwirft – schließlich steht auf der anderen Seite ein Mensch, den man sehen und riechen kann, vielleicht fühlen und schmecken wird. „Du trägst orangen Lidschatten, sonst bist du kaum geschminkt. Deine Haarstoppeln sind blond gefärbt“, stellt Mann im Song „Wir schauen uns in die Augen“ so präzise und nüchtern fest, dass sich sofort Bilder vorm inneren Auge materialisieren.

Steril und verspult

Die Musik zu Manns Worten ist ebenso reduziert, aber seltsam sinnlich wie ihre Texte: Glitches, also feine Störgeräusche in Abrahams fiepender, leiernder, wabernder Elektronica, erzählen vom Fehlerhaften und Versehrten, die Beats schleppen sich mal träge dahin, mal klackern sie wie ein Metronom.

Dieser so sterile wie verspulte Sound klingt fast wie ein Gegenentwurf zur Musik einer anderen Münchner Off-Kultur-Größe, die gerade ein Soloprojekt gestartet hat: Stephanie Müller vom Performancekunst- und Klangforschungsduo Beißpony bewegt sich, gemeinsam mit ihrer Bandkollegin Laura Theis, in denselben Szenekreisen wie Mann, hat aber ein grundlegend anderes Konzept. Wo Candelilla Genauigkeit und Strenge suchen, klingt die Field-Recording-lastige Musik von Beißpony so herrlich vollgestellt mit Klang, Krimskrams und Leben, wie es im Münchner Atelier der Gruppe ausschaut – dabei aber immer auch irritierend, manchmal sogar beunruhigend, denn Beißpony lassen Alltagssounds in völlig neuen Kontexten erklingen.

Unter dem Alias Sewicide hat Müller, Jahrgang 1979, ihre erste Solo-EP „Never a Trophy, Just a Steal“ veröffentlicht, eine kleine, feine Sammlung von Songs und Fragmenten. Die Sounds hat Müller hauptsächlich mit ihrem Signature-Instrument aufgenommen: ihrer Nähmaschine, die Müller, wie sie sagt, „von allen Instrumentarien, die mich umgeben, schon am längsten begleitet“. Mal sei sie Werkzeug, mal Musikinstrument, mal beides zugleich. Zum Einsatz kam auf der EP auch ein neues Gadget aus ihrer Werkstatt: Im Sommer hat Müller das Hassobjekt ihrer Jugend, den Rasenmäher ihres Vaters, zur Bassharfe umgebaut. Die Künstler Klaus Erika Dietl und Ruslan Boyarin, Kollaborationspartner von Beißpony, tragen weitere Instrumente bei.

Es tippelt und wispert und raschelt in diesen Songs und Miniaturen, die hier an den versponnenen Pop von CocoRosie erinnern, da nach Underground-NDW klingen. Und im Stück „Techno Thread“ wundert man sich, dass eine ratternde Nähmaschine gleichzeitig bedrohlich, lustig und wie ein gehetztes Tier klingen kann. Bevor Müller die Arbeit an ihrem Soloalbum „Sounds Like A Cello vom Lidl“ beginnt, wird sie vom 19. bis 22. Dezember den Mediendienst Leistungshölle – den Kunstraum, den sie mit Klaus Erika Dietl unterhält – als Noise-Labor für Interessierte öffnen. Die Reibung mit dem Publikum sei ihr wichtig, hat Müller einmal gesagt. Furcht und Vergnügungen, das gilt für Müller wie auch für Mann, liegen bei der Begegnung mit dem Unbekannten eben nah beieinander.

Mira Mann: „Ich mag das“ (Problembär Records) Sewicide: „Never a Trophy, Just a Steal“ (www.sewicide.bandcamp.com)