Mensch gegen Mensch

Der Sport der Zukunft wird frei von Geschlechterdiskriminierung sein, glaubt unser Autor. Denn auch für Sportlerinnen gelten die Menschenrechte

Für die Massen

Vor dem Ersten Weltkrieg war Sport weitgehend der Oberschicht vorbehalten. Anfang der 1920er Jahre ändert sich das, Sport wird zum Massenphänomen. Besonders Sportarten, die spannend anzuschauen sind, genießen große Popularität. Die Menschen strömen zu Fußballspielen, Boxkämpfen und Sechstagerennen. Sportereignisse werden fester Bestandteil der Unterhaltungskultur. Intellektuelle feiern dabei das Demokratisierende des Sports. Hier zähle nicht die Herkunft, sondern allein die Leistung.

Betriebssportgruppen und Arbeitervereine

Größere Betriebe bauen eigene Sportstätten auf. Werkteams sollen den Firmenzusammenhalt stärken. Gleichzeitig boomen Arbeitervereine. Auch hier gibt es aber die Trennung zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten, deren Sportverbände sich scharf voneinander abgrenzen.

Von Andreas Rüttenauer

Caster Semenya läuft weiter. Die Läuferin aus Südafrika, die zweimal Olympiasiegerin über 800 Meter geworden ist, darf an keinen internationalen Wettbewerben mehr teilnehmen, weil sie nicht dem Bild entspricht, das man sich in der Sportwelt von einer Frau macht.

Olympia 2020 wird ohne sie stattfinden. Und doch rennt sie, angetrieben von einem frischen Werbefilm des Sportartikelherstellers Nike, mit großen Schritten in das nächste Jahrzehnt. Sie ist der Motor einer Frage, die die Sportwelt in den nächsten Jahren umtreiben wird: Wann ist eine Frau eine Frau?

Die Sportverbände liefern eine einfache Antwort. Eine Frau wird durch den Testosteronspiegel definiert. Ein Mensch, der mehr als 5 Nanomol pro Liter des männlichen Sexualhormons im Blut hat, darf nicht an Frauenwettbewerben teilnehmen. So hat es der internationale Leichtathletikverband für die Mittelstrecken festgeschrieben. Wer über dem Wert liegt, muss ein halbes Jahr vor dem Wettkampf anfangen, Medikamente zu nehmen, die den Hormonspiegel senken.

Der Leichtathletikverband selbst sagt, diese Regel sei diskriminierend. Um die große Menge der Frauen zu schützen, deren Körper keinen nennenswerten Mengen von Testosteron ausweisen, werden die Frauen, denen man „Störungen in der Geschlechtsentwicklung“ attestiert, bewusst benachteiligt. Darf es eine rechtmäßige Diskriminierung geben?

Die lässt sich nur durchsetzen, weil der Sport eine abgeschlossene Welt ist. Wer sich den Regeln des Sports unterwirft, verzichtet auf sein Recht, ordentliche Gerichte anzurufen. Wenn es um eine Fehlstartregel beim Hundertmeterlauf, um Kleidungsvorschriften oder um die Abseitsregel im Fußball geht, mag das sinnvoll sein. Aber bei den grundlegendsten Menschenrechten? Die Zeit ist gekommen, in der die Menschenrechte in den Sport Einzug halten sollten.

Die Soziologin Payoshni Mitra, die zu dem Team gehört, das Caster Semenya vor allen Instanzen der Sportgerichtsbarkeit vertreten hat, weiß, wie Frauen in den Verdacht geraten, nicht Frau genug zu sein. „Wer nicht einem gewissen Frauenbild entspricht, steht unter Verdacht“, sagt Mitra. Und so kommt es, dass man einer Frau, die in ärmlichen Verhältnissen in der indischen oder südafrikanischen Provinz aufgewachsen ist, irgendwann sagt, dass sie gar keine Frau ist. Dass der globale Norden Maßstäbe setzt, diese wissenschaftlich verbrämt und auf marginalisierte Menschen aus dem globalen Süden anwendet, hat für Mitra auch eine rassistische Komponente.

Der Kampf für diese Frauen hat das Zeug, den Sport zu erschüttern. Sportlerinnen Menschenrechte vorzuenthalten, wird sich nicht halten lassen. Das Recht wird in den Sport einbrechen. Davon werden viele profitieren. Der Dank dafür wird dann an kämpferische Frauen wie Caster Semenya gehen. Dass ein Riesenkonzern wie Nike meint, es diene dem Geschäft, diesen Kampf mit anzuschieben, ist in diesem Zusammenhang mindestens bemerkenswert.

Was diskriminierungsfreier Sport in Zukunft auch bedeuten könnte: Bald müssen die Frauen nicht mehr für gleiche Bezahlung vor Gericht ziehen. Mixed-Wettbewerbe werden zum Hingucker großer Sportevents. Und die Fans werden entscheiden, ob das schnellste Event wirklich das bessere ist.

Wir werden den Wert von Frauenbiografien schätzen lernen. Die Sponsoren werden sie monetarisieren. Und wenn bei der Männer-WM ein mieses Spiel das nächste jagt, werden wir anfangen, nach den Frauen zu rufen. So lang, bis sie zusammen mit den Männern Teams bilden. Ein Gender-Mix aus aller Damen Länder bestreitet dann eine Fußball-WM. Und mit der Geschlechterdiskriminierung würde auch der Nationalismus aus dem Sport verschwinden.