Ex-Verkehrssenator über Tempolimit: „Das Tempolimit wird akzeptiert“

Bereits 2008 führte der damalige Bremer Verkehrssenator Reinhard Loske eine Geschwindigkeitsbegrenzung ein. Trotz aller Proteste.

Ein Verkehrsschild zur Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 km/h steht am 09.05.2013 an der Autobahn 37 bei Salzgitter

Geht nicht nur in Bremen: Autobahn 37 bei Salzgitter Foto: Julian Stratenschulte/dpa

taz: Herr Loske, als erster Verkehrsminister in Deutschland haben Sie 2008 in Bremen das Tempolimit von 120 Stundenkilometern auf Autobahnen durchgesetzt. Gab es Proteststürme?

Reinhard Loske: Vom ADAC bis zur Handelskammer wurde reichlich protestiert. Vor allem weil das Tempolimit auf den Autobahnen in eine Gesamtstrategie der Entschleunigung des Autoverkehrs eingebettet war: Temporeduzierung von 50 auf 30 Stundenkilometer in Wohngebieten und auf Nebenstraßen, von 70 auf 50 auf innerstädtischen Hauptverkehrsstraßen. Begleitet wurde das Ganze durch den Ausbau der Tram, die Einführung der S-Bahn und die massive Förderung von Radverkehr und Carsharing.

In Berlin streitet derzeit die Koalition über das Limit. Es geht um 70 Prozent der 13.000 Autobahnkilometer ­Deutschlands, auf denen keine Geschwindigkeitsbegrenzung gilt. In Bremen ging es nur um etwa 80 Kilometer, von denen die meisten schon einer Tempobeschränkung unterlagen. Machte das die Durchsetzung leichter?

In der Tat, das Land ist klein. Das macht manches möglich, auch eine Pionierrolle. Aber die Bundesregierung – damals mit Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) – verwendete viel Energie darauf, uns das Leben schwer zu machen, damit die Maßnahme bloß keine Nachahmer fand. So durften wir kein „generelles“, sondern nur ein „spezifisches Tempolimit“ einführen. Im Ergebnis war es jedoch das Gleiche.

Reinhard Loske ist Präsident der Cusanus Hochschule Bernkastel-Kues in Rheinland-Pfalz. Von 1998 bis 2007 war er Bundestagsabgeordneter der Grünen, von 2007 bis 2011 Bremer Verkehrssenator.

Ein Argument gegen flächendeckende Tempolimits auf Autobahnen lautet, dass schnelles Fahren in Deutschland zum Nationalcharakter gehört, wie Waffenbesitz in den USA. Beides könne man nicht verbieten, ohne einen Aufstand auszulösen.

Ich habe diesen Vergleich früher selbst verwendet, halte ihn aber mittlerweile für Blödsinn. Wahr ist, dass politische Konflikte pluralistische Gesellschaften oft in 50 Prozent Befürworter und 50 Prozent Gegner polarisieren. Dann kann es auch heftig zugehen. Das gilt für große Fragen, wie etwa Brandts Ostpolitik oder den Atomausstieg. Und für kleine Fragen wie Anschnallpflicht oder Rauchverbot. Sind die Dinge einmal beschlossen, werden sie jedoch als neue Tatsachen früher oder später von allen akzeptiert. Politiker brauchen da ein wenig Durchhaltevermögen.

Angeblich sind die Autobahnen so etwas wie nationale Vorführstrecken für die Exportprodukte von Audi, Daimler, BMW oder Porsche. Rührt ein Tempolimit damit nicht am Geschäftsmodell der Konzerne?

Das ist ein seltsames Argument, denn es gibt in praktisch allen Staaten der Welt Tempolimits. Ich sehe es umgekehrt: Mit der einseitigen Ausrichtung der eigenen Produktpalette auf PS-starke, schwere und schnelle Modelle schafft sich die deutsche Automobilindustrie eher Probleme. Eine solche Fixierung verstellt den Blick darauf, dass sich die Konzerne zu Mobilitätsdienstleistern weiterentwickeln müssen. Da geht es um Elektromobilität, Carsharing, autonomes Fahren und nachhaltige Stadtmobilität.

Ein Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde würde den CO2-Ausstoß des Verkehrs um etwa 1 Prozent reduzieren, die gesamten deutschen CO2-Emissionen um ungefähr 0,1 Prozent. Lohnt die Aufregung über diese Mini­belastung?

Unmittelbar wäre ein Tempolimit auf Autobahnen nur ein kleiner Beitrag zur Erreichung der deutschen Klimaschutzziele. Mittelbar und vor allem dauerhaft wäre es aber ein sehr großer Beitrag zu einer nachhaltigen Mobilitätskultur in Deutschland.

Ein weiteres Argument: „Nur“ 424 der insgesamt 3.300 Verkehrstoten auf deutschen Straßen starben 2018 auf Autobahnen; wie viele davon wegen Raserei, ist unbekannt. Was ist dran?

Das Ziel muss heißen: null Verkehrstote. Ein Tempolimit von 120 oder 130 auf Autobahnen ist dazu sicher ein wichtiger Beitrag. Eine Automobilkultur, in der Menschen zunehmend SUVs kaufen, um sich im Wettrüsten mit anderen schweren Fahrzeugen Sicherheit zu verschaffen, ist mit der „Vision Zero“ unvereinbar.

Was halten Sie von dem Vorschlag diverser Verbände und Versicherungen, erst mal einen längeren Praxistest durchzuführen, um die Wirkung eines Tempolimits für die Verkehrssicherheit zu beurteilen?

Gar nichts, denn herauskommen kann nur, dass höhere Geschwindigkeiten längere Bremswege und höhere Aufprallgeschwindigkeiten bei Unfällen bedeuten. So was lernt man im Physikunterricht in der Schule. Und der Rest der Welt weiß es auch.

Sie sagen, schnelles Fahren sei bald nicht mehr so wichtig, sondern die Systemgeschwindigkeit. Was meinen Sie damit?

Hohe Spitzengeschwindigkeiten eines Verkehrsmittels sagen ja noch nichts darüber aus, wie zügig ich damit von Tür zu Tür komme. Viel entscheidender ist, welche Optionen und Alternativen ich habe, ob der Verkehr stockt oder fließt, wie ich die notwendige Verkehrszeit nutzen will oder kann. Man fragt sich auch, was mit den Leuten nur los ist, die einem bei Tempo 130 wild gestikulierend an der hinteren Stoßstange kleben.

Im Bundestag stimmte die SPD aus Koalitionsdisziplin erst kürzlich gegen den Tempolimitvorschlag der Grünen. Was könnte man dennoch tun?

Nach einem gemeinsamem entsprechenden Antrag der Regierungsfraktionen sieht es momentan nicht aus. Einzelne Abgeordnete könnten jedoch einen Gruppenantrag pro Tempolimit in den Bundestag einbringen. So etwas habe ich mal gemeinsam mit den Kollegen Josef Göppel von der CSU und Heidi Wright (SPD) versucht, allerdings mehr oder minder erfolglos. Und dann gibt es noch den Bundesrat mit elf Landesregierungen, an denen Grüne beteiligt sind. Vielleicht geht da was.

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