Was tun mit alten Ölbohrplattformen?: Schrott in der Nordsee

Eigentlich sollen alte Bohrinseln aus dem Meer entfernt werden. Jetzt will Shell eine Ausnahme. Die Bundesregierung befürchtet einen Präzedenzfall.

Ein Mann mit Hund sitzt auf einer Sandbank, im Hintergrund auf See eine Bohrinsel

Zum Abwracken bereit: die stillgelegte Ölplattform Brent Delta im Hafen von Hartlepool Foto: dpa

HAMBURG taz | Bei der Nordsee entscheidet sich in den kommenden Monaten, ob sie zu einem Friedhof für ausgediente Ölbohrinseln wird. Deutschland und andere Länder verhandeln mit Großbritannien darüber, ob der Shell-Konzern die Fundamente und Fördereinrichtungen von vier ausgedienten Bohrinseln einfach stehen lassen darf.

Das würde bedeuten, dass Schwerkraftfundamente voller ölhaltiger Pampe unter Wasser dem Zahn der Zeit überlassen wären – in der Hoffnung, dass das Öl im Zuge des Verrottens von Bakterien aufgefressen würde.

Shell argumentiert, dass es zu riskant und teuer wäre, die gigantischen Unterwasser-Bauten aus dem deutlich mehr als 100 Meter tiefen Meer zu hieven. Der mögliche Gewinn für die Umwelt stehe in keinem vernünftigen Verhältnis dazu. Deutschland dagegen verweist auf das Ospar(Oslo-Paris)-Übereinkommen, in dem sich die Nordsee-Anrainer dazu verpflichtet haben, den Nordostatlantik und dessen Ressourcen zu schützen und zu erhalten.

Die Bundesregierung beruft sich auf einen Ospar-Beschluss von 1998, der das Versenken und Vor-Ort-Belassen von Anlagen im Meer grundsätzlich verbietet. Der war eine Konsequenz aus dem Konflikt um die Ölplattform Brent Spar, die Shell Mitte der 90er-Jahre in der Nordsee versenken wollte. Die Umweltorganisation Greenpeace besetzte die Plattform und rief zum Boykott der Shell-Tankstellen auf. Die Aktion schlug dermaßen durch, dass Shell schließlich nachgab und die Bohrinsel an der Küste zerlegte.

Deutschland erhebt Einspruch

Weil sie den Fall für so schwerwiegend hält, hat die Bundesregierung eine Sondersitzung der Ospar-Kommission mit Blick auf den Anti-Dumping-Beschluss beantragt – ein Novum. „Wir schaffen einen Präzedenzfall“, sagte Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth (parteilos) anlässlich der Sitzung im Oktober. In den kommenden Jahren stünden eine Vielzahl von Plattformen zur Außerbetriebnahme an.

„Ich hoffe, dass sich alle Vertragsparteien ihrer Verantwortung bewusst sind und ohne Ausnahme die aktuellen Shell-Pläne ablehnen“, sagte der Staatssekretär. Andernfalls seien die ökologischen Konsequenzen unvorhersehbar.

Mitte Dezember trafen sich die Ospar-Mitglieder erneut, um zu diskutieren, unter welchen Voraussetzungen Ausnahmen von der Entsorgungspflicht für Offshore-Anlagen gemacht werden könnten. Christian Bussau von Greenpeace wertete das als Teilerfolg. „Wir sind erst mal zufrieden, dass das nicht durchgewunken wurde“, sagte er der taz.

Auch Bussau, der bei der Besetzung der Brent Spar dabei war, betont die Bedeutung des aktuellen Verfahrens. Zwar seien auch in der Vergangenheit vereinzelt Anlagen auf dem Meeresgrund belassen worden. Aber bei dem Antrag von Shell widerspreche die Grundintention dem Ospar-Beschluss. „Die haben gar nicht vor, alles rauszuholen“, sagt Bussau. So etwas habe bisher noch keine Ölfirma vorgeschlagen.

Die Pfeiler würden bis zu 500 Jahre unter Wasser stehen bleiben

Konkret geht es um vier Bohrinseln im Ölfeld Brent zwischen den Shetland-Inseln und Norwegen. Die Förderplattformen sind vom Meeresboden bis zur Spitze des Förderturms so hoch wie der Eiffelturm. Plattform Alpha ist mit Pfählen im Meeresgrund verankert; bei Bravo, Charlie und Delta stehen die Pfähle auf Schwerkraftfundamenten, die die Plattformen durch ihr schieres Gewicht am Boden halten.

Shell möchte die Schwerkraftfundamente, die Pfähle, deren Fundamente und die Rohre für das Bohrgestänge vor Ort lassen und auch nicht die ölverseuchte Umgebung der Bohrlöcher auskoffern. Als Ergebnis „zehnjähriger Forschung und unabhängiger Prüfung“ wartet der Konzern mit zwei Optionen auf: die Pfeiler nach dem Abbau der Überwasser-Plattformen auf 55 Meter Tiefe abzusägen, wie es die Regeln der Internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO) vorsehen, oder sie einfach stehen zu lassen und mit einem Warnzeichen zu versehen.

Ohne etwas zu tun, würden die Pfeiler bis zu 250 Jahre über dem Wasserspiegel und weitere bis zu 500 Jahre unter Wasser stehen bleiben. Die 20 Meter dicken Betonpfeiler etwa mit einem Diamantseil durchzusägen sei „technisch herausfordernd und kostspielig“. Segmente abzusägen und zu heben, sei 40 Mal riskanter als das in der Offshore-Industrie als akzeptabel geltende Risiko.

Jedes der teils Öl gefüllten Schwerkraft-Fundamente wiege 300.000 Tonnen, Shell zufolge sind sie damit so schwer wie das Empire State Building in New York. Die Mischung aus Wasser, Sand, Kies und Öl, die sie enthalten, fließe nicht und sei schwierig zu handhaben. Sie in einen Tanker oder in trockene Ölquellen zu pumpen, sei der Mühe nicht wert.

Unausgegorene Studien

Eine Bewertung dieser Kosten-Nutzen-Risiken-Abwägung im Auftrag der Bundesregierung kommt zu einem anderen Schluss: Die Vorschläge seien nicht vereinbar mit dem Ospar-Beschluss. Die von den Briten für Shell vorgelegte Alternativenprüfung zugunsten eines Belassens vor Ort sei voreingenomen. In die Abwägung seien falsche Daten und unausgegorene technische Studien eingeflossen.

Die Bundesregierung hält es für inakzeptabel, insgesamt 11.000 Tonnen Rohöl in den Fundamenten und an den Bohrlöchern zu belassen. „Ein Absaugen der ölhaltigen Flüssigkeiten und Sedimente ist technisch grundsätzlich durchführbar“, stellt Flasbarth fest. Das belegten unabhängige Gutachten. Zudem habe Shell nicht ausreichend untersucht, wie sich die Betonpfeiler abtragen ließen.

„Es ist besser, zu agieren, solange man noch die Kontrolle hat“, findet auch Bussau. Das Kostenargument lässt er nicht gelten, schließlich hätten die Ölfirmen Milliarden mit der Förderung verdient.

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