Anklage gegen Högels Chefs wackelt

Das Oldenburger Landgericht gab eine vorläufige rechtliche Bewertung ab. Möglicherweise wird die Anklage nicht zugelassen

Von Marthe Ruddat

Im September hat die Staatsanwaltschaft gegen fünf zum Teil ehemalige Mitarbeiter*innen und Vorgesetzte von Niels Högel am Klinikum Oldenburg Anklage wegen Totschlag durch Unterlassen in 63 Fällen erhoben. Doch vielleicht kommt es gar nicht zum Prozess. Am Freitag gab das Oldenburger Landgericht eine vorläufige rechtliche Bewertung ab, wonach „allenfalls eine teilweise Zulassung der Anklage“ in Betracht käme.

Högel hatte in seinem Beruf als Krankenpfleger zwischen 2000 und 2005 Dutzende Menschen in Oldenburg und Delmenhorst getötet, indem er ihnen kreislaufwirksame Medikamente spritzte. Im Juni wurde er wegen 85-fachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Noch ist das Urteil gegen ihn nicht rechtskräftig. Weil Revision eingelegt wurde, wird es auf mögliche Rechtsfehler überprüft.

Früh hatten Högels Kolleg*innen in Oldenburg einen Verdacht, doch sie schalteten nicht die Polizei ein. Stattdessen wurde Högel mit einem guten Zeugnis weggelobt und tötete in Delmenhorst weiter. Dafür sollten die Vorgesetzten aus Oldenburg aus Sicht der Staatsanwaltschaft angeklagt werden. Das Gericht sieht das aber offenbar anders. Demnach sehe das Strafrecht die Bestrafung von Handeln und nicht von Untätigkeit vor. Wegen Untätigkeit könne nur jemand bestraft werden, dessen Aufgabe es sei, einen Schaden zu verhindern. Das gelte hier höchstens für die Patient*innen aus Oldenburg. Heißt: Für die ermordeten Menschen in Delmenhorst sollen die Vorgesetzten nicht mitverantwortlich gemacht werden.

Ein Täter zeichne sich außerdem durch Täterwillen aus, so das Gericht. Die Beschuldigten hätten etwaigen weiteren Tötungsdelikten von Niels Högel aber „keineswegs positiv oder auch nur gleichgültig gegenüber“ gestanden, es sei ihnen nur darum gegangen, den Ruf der Klinik zu retten. Außerdem hätten die Beschuldigten keinerlei „Tatherrschaft“ besessen, weil die nicht wussten, wann Högel „wem gegenüber auf welche Weise aktiv werde“. Das Gericht geht deshalb davon aus, dass es sich höchstens um Beihilfe zum Totschlag durch Unterlassen handeln könnte. Die Strafe dafür ist geringer.

Die Verfahrensbeteiligten haben bis Ende Januar Zeit, zu dieser Einschätzung Stellung zu beziehen. Sollte die Anklage tatsächlich nicht zugelassen werden, kann die Staatsanwaltschaft dagegen Beschwerde einlegen, sagt Martin Koziolek, Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Die vorläufige rechtliche Bewertung gilt auch für Fälle, in denen Kolleg*innen Högels aus Delmenhorst angeklagt sind und wurde den Beteiligten zugeschickt. Gegen die Delmenhorster*innen wird es auf jeden Fall einen Prozess geben, weil die Anklage bereits zugelassen wurde. Aber auch hier ist es nun möglich, dass die Beschuldigten am Ende – wenn überhaupt – wegen Beihilfe verurteilt werden..