Der Untergang von Hasankeyf

Die antike Siedlung Hasankeyf ist 12.000 Jahre alt. Weil die AKP dort einen Staudamm gebaut hat, versinkt sie bald in den Gewässern des Tigris.

Die jahrtausendealte Kulturstätte Hasankeyf am Tigris ist eine der ältesten Siedlungen ­Mesopotamiens (Archivfoto) Foto: dpa

Von Figen Güneş

Als Letztes laden sie die Außenmauer einer 600 Jahre alten Moschee auf einen Schwerlasttransporter. Seit 2017 wird die antike Siedlung Hasankeyf in Südostanatolien Stück für Stück geräumt. Fast alle sind bereits gegangen, die Lebenden haben selbst ihre Toten mitgenommen. Denn Hasankeyf wird bald untergehen. Im Juni wurden die Schleusen des 70 Kilometer entfernten Ilısu-Staudamms geschlossen. Seitdem steigt das Wasser des Tigris, der in wenigen Wochen die antike Kulturstätte fluten wird. Hier soll ein riesiger Stausee entstehen.

Die Altstadt von Hasankeyf liegt ver­lassen da. Abgesehen von streunenden Hunden und ein paar Menschen, die noch Türen und Fenster aus den leer stehenden Häusern und den Trümmern holen, gibt es kein Lebenszeichen. „Sie bauen an einen Ort mit einer Geschichte von mehr als 12.000 Jahren ein Kraftwerk, das 50 Jahre Strom produzieren soll“, sagt der 40-jährige ­Süleyman Ağalday. Der Touristenführer hat sein ganzes Leben in ­Hasankeyf verbracht. Er zeigt auf einen Felsen. „In der Höhle da haben meine Eltern ­ge­heiratet, und in der Höhle da vorne lebt immer noch ein Freund von mir.“ Dann bückt er sich und hebt ein Schild auf, die Witterung hat die Schrift zwar ­ver­blassen lassen, trotzdem kann man ­darauf noch ­lesen: „­Willkommen in der Wiege der ­Zivilisation: ­Mesopotamien!“

Der Wasserspiegel steigt langsam und stetig

Hasankeyf am Ufer des Tigris ist eine der ältesten Siedlungen in Mesopotamien. Die AKP-Regierung setzte den Ilısu-Damm gegen die Proteste von Um­welt­ak­ti­vis­t*in­nen und breiten Teilen der türkischen Gesellschaft durch. Hasankeyf-Ak­ti­vis­t*in­nen kämpften jahrelang gegen den Staudamm und gingen bis an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der schließlich im Februar die Beschwerde als unzulässig zurückwies.

In dem Wasserkraftwerk, das neben dem Staudamm gebaut wurde, soll künftig Strom erzeugt werden. Mit dem Bau begann für die Bewohner*innen von Hasankeyf eine jahrelange Phase der Unsicherheit. Inzwischen ist der Staudamm fertig, und der Wasserspiegel des Flusses steigt langsam und stetig. Viele umliegende Dörfer sind bereits überschwemmt. Das Wasser kommt der antiken Altstadt von Hasankeyf, die südlich des Flusses liegt, mit jedem Tag ein Stück näher. Voraussichtlich wird der Tigris die Kulturstätte Mitte Februar erreichen.

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Seit Monaten wird das alte Hasankeyf Stück für Stück abgetragen und an einen neuen Ort versetzt. Drei Kilometer von Hasankeyf entfernt hat die staatliche Wohnbauagentur Toki eine Siedlung am Reißbrett entworfen. Vor der neuen Siedlung steht zwar ein Ortsschild mit dem Namen Hasankeyf, doch mit der antiken Kulturstätte hat die Planstadt aus einstöckigen Betonhäusern nichts gemein.

Viele ehemalige Bewohner*innen der Altstadt sind inzwischen in das neu gegründete Hasankeyf am Fuße des Raman-Berges gezogen. Nur Personen, die zum Stichtag 1. April 2013 in Hasankeyf gemeldet und verheiratet waren, haben ein Anrecht auf ein neues Haus auf der anderen Seite des Tales. Familien, die noch keinen anderen Wohnort gefunden haben, leben immer noch in der Altstadt.

Am Rand der Straße zur neuen Siedlung stehen zwölf Pinien, die aus dem alten Hasankeyf hierhergebracht wurden. Sie sind inzwischen vertrocknet. Nebenan liegt ein großer Friedhof mit neu angelegten Gräbern. Damit sie nicht geflutet werden, wurden die Gräber im alten Hasankeyf geöffnet und die Toten zur neuen Siedlung transportiert.

Eines der frisch aufgeschütteten Gräber gehört dem Sohn von Şifayet Sevim, der vor ein paar Jahren bei einem Verkehrsunfall gestorben ist. Anfangs habe sie gezögert, als sie gefragt wurde, ob sie das Grab umsetzen lassen wollte. Doch dann entschied sie sich dafür. „Ich hatte Angst, dass das Grab überschwemmt wird. Als das Grab dann geöffnet wurde, hat mich das sehr getroffen. Es war, als ob ich den Schmerz vom ersten Tag noch einmal erlebe“, erzählt sie. Sevim selbst hat ein Stück Land in der neuen Siedlung bekommen, auf dem sie ein Haus bauen wird.

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Anfang November wurden die historischen Stätten von Hasankeyf geschlossen. Seitdem ist der Tourguide Süleyman Ağalday arbeitslos. Auch der Teegarten, den er am Fuße der Felsen eröffnet hatte, ist inzwischen geschlossen. Es kommen keine Tourist*innen mehr in die Altstadt, weil es hier nichts mehr zu sehen gibt. Jetzt zeigen die Tourguides den Besucher*innen auf Fotos, wie es hier früher einmal ausgesehen hat.

Die Moschee wird zerlegt und wegtransportiert

Auf der Schotterpiste, die zur Siedlung führt, wird das kulturelle Gedächtnis von Hasankeyf transportiert. Insgesamt werden sieben historische Monumente umgesetzt. Eines davon, das Zeynel Bey ­Türbesi, ein Grabmal aus dem 15. Jahrhundert, steht inzwischen verwaist in der Wüste. Auch ein großer Teil der El-Rızk-Moschee, die das Symbol von ­Hasankeyf ist, wurde zerlegt und zu großen Teilen in die neue Siedlung transportiert.

Der Bezirksvorsteher Haluk Koç betrachtet das, was in Hasankeyf geschieht, aus einer anderen Perspektive. Er räumt ein, dass man das Projekt wegen der Auswirkungen auf die Umwelt und das Kulturerbe kritisch sehen kann. Doch für die Stromversorgung und die türkische Wirtschaft sei der Ilısu-Staudamm ein wichtiges Projekt. 2019 sei für den Tourismus in der Stadt eines der erfolgreichsten Jahre gewesen, erzählt er. Viele Menschen seien gekommen, um die Siedlung noch einmal zu sehen, bevor sie untergeht.

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„Der Umzug und Aufbau an einem anderen Ort hat auch eine touristische Seite. Ein Minarett in Teile zu zerlegen und woanders wieder aufzubauen, ist eine interessante Sache.“ Das sei ein neues Konzept von Tourismus. „Wir würdigen das alte Kulturerbe und stellen es in ein neues Licht.“ Die Umzugsarbeiten kosteten bisher 600 Millionen Lira, also knapp 90 Millionen Euro.

Auch wenn die letzten Tage von Hasankeyf angebrochen sind, mobilisieren Menschen in den sozialen Medien weiterhin gegen den Staudamm: „Es ist noch nicht zu spät für Hasankeyf! Stoppt den Staudamm!“ Der Tourguide Süleyman Ağalday blickt aus dem Fenster seines neuen Hauses über das Tal. Von hier scheinen die Höhlen und Felsen von Hasankeyf weit weg. „Es fühlt sich an, als ob sie mir mit Hasankeyf meine Kindheitsfreunde wegnehmen“, sagt er. „Und unsere Zukunft nehmen sie uns gleich mit.“

Aus dem Türkischen von Julia Lauenstein