Andacht für neun Kinder

Brieskow-Finkenheerd ist seit einer Woche der Ort eines unvorstellbaren neunfachen Kindesmords. Die Kirche versucht, mit Fürbitten zu trösten

AUS BRIESKOW-FINKENHEERDBARBARA BOLLWAHN

Noch immer gibt es keine wirkliche Erklärung dafür, wie eine Frau vollkommen unbemerkt neun Kinder zur Welt bringen und ihre Leichen jahrelang verstecken kann. Dieser Tatverdacht lastet auf der 39-jährigen Sabine H., die seit dem Fund von neun Babyleichen auf dem Grundstück ihres Elternhauses in Brieskow-Finkenheerd in Untersuchungshaft sitzt. Um „ein Zeichen“ zu setzen, um den Angehörigen Trost zu spenden, um „die Ratlosigkeit zu artikulieren“, hat die Pfarrerin der evangelischen Kirche des kleinen Ortes bei Frankfurt (Oder) am Donnerstagabend die Kirche geöffnet.

Mit fast einhundert Menschen ist die Kirche nicht bis auf den letzten Platz gefüllt, aber sie ist besser als gewöhnlich besucht. „Uns alle verbindet die Betroffenheit und das Entsetzen über den schrecklichen Fund an diesem Ort vor wenigen Tagen“, sagt die Pfarrerin zu Beginn der Andacht. „Die Menschen fragen sich, wie konnte das geschehen mitten unter uns? Niemand kann sich vorstellen, wie schwer das Unglück ist, das über die Angehörigen gekommen ist. Für sie zu beten, dazu sind wir zusammengekommen.“

In den vorderen zwei Reihen haben Männer in schwarzen Anzügen Platz genommen. Es sind Vertreter aus der Politik, die die Pfarrerin namentlich begrüßt. „Weil ich damit die Hoffnung verbinde, dass sie den Angehörigen mit Rat und Tat helfen.“ Da ist Brandenburgs Minister für Bildung, Jugend und Sport, der Staatssekretär von Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), der für seine Äußerung, dass die Verhältnisse in der DDR mitverantwortlich seien für Verwahrlosung und Gewaltbereitschaft, stark kritisiert wurde, der Bürgermeister und der Polizeipräsident von Frankfurt (Oder), wo Sabine H. bis zu ihrer Festnahme lebte. Vor der Andacht hat die Pfarrerin erklärt, dass sie „sehr ärgerlich“ über Schönbohms Behauptung gewesen sei. „Werten möchte ich nicht. Die Sache wird untersucht. Es geht über meine Kraft, eine Antwort darauf zu geben.“ Später in der Andacht sagt sie: „Das Entsetzen wird noch eine Weile anhalten. Die Suche nach Antworten auch.“

Vor einem schlichten Metallkreuz steht eine Taufkerze, umgeben von neun weiteren Kerzen. Sie stehen für die neun toten Babys und werden im Laufe der Fürbitte angezündet. Pfarrerin Mantschew bittet Gott um Erbarmen und schließt alle an dieser „furchtbaren menschlichen Tragödie“ Beteiligten in ihre Fürbitte ein: Sabine H., ihre drei erwachsenen Kinder, ihre Mutter, ihre Geschwister, die Mitarbeiter von Polizei, Staatsanwaltschaft, der Regierung und von Ämtern, die Medien, die Kinder, „die nicht mehr weiterleben durften“.

Die Pfarrerin verabschiedet alle Besucher persönlich. „Es war ein Trost und eine Möglichkeit, sich zusammenzufinden“, sagt eine ältere Frau. „Wir dürfen nicht nur verurteilen“, eine andere. „Wir kennen die Hintergründe nicht.“ Vor dem Elternhaus von Sabine H. hängt ein Transparent: „Warum, warum, warum“, versehen mit vielen Fragezeichen.