„Erste und letzte Chance“

Kletterer Jan Hojer, 27, wird bei der olympischen Premiere in Tokio dabei sein. Er erzählt,
was ihn an den Hallenwettkämpfen dort reizt und warum Felsklettern für ihn wichtig bleibt

Auf den Bronzerang geklettert: Jan Hojer zeigt bei der WM 2018 in Innsbruck, dass er zu den Besten zählt Foto: imago

Interview Susanne Rohlfing

taz: Herr Hojer, Sie werden im Sommer in Tokio bei der Olympia-Premiere der Kletterer dabei sein als einer von zwei Deutschen. Bedeutet das Freude pur für Sie? Oder könnten Sie weiterhin ganz gut ohne Olympia auskommen?

Jan Hojer: Für mich persönlich stand zunächst vor allem Erleichterung im Vordergrund. Da nur zwei Athleten pro Nation in Tokio dabei sein können und Alexander Megos sich schon bei der WM qualifiziert hatte, war das echt stressig für mich.

Es gab nur noch einen Platz, und den wollten Sie haben.

Genauso wie Yannick Flohé [WM-Dritter im Bouldern 2019, 20 Jahre alt, aus Essen, d. Red.]. Wir haben in den letzten Monaten viel zusammen trainiert und waren beide wirklich fit. Ich wusste vor dem Wettkampf in Toulouse, dass ich nicht nur unter die besten sechs kommen, sondern auch bester Deutscher werden musste. Die erste, und für mich sehr wahrscheinlich auch letzte Chance, an Olympischen Spielen teilzunehmen, wollte ich auf jeden Fall wahrnehmen. Deshalb habe ich einen ziemlichen Druck verspürt und war danach erst mal vor allem erleichtert, dass es vorbei war. Mittlerweile kann ich mich richtig freuen.

Sie sind in einer Sportart groß geworden, in der Olympia all die Jahre kein Thema war. Als fest stand, dass Klettern olympisch wird, stand da für Sie auch direkt fest, dass Sie da hinwollen?

Zunächst stand fest, dass Klettern olympisch wird. Aber mit welcher Disziplin, wie das Format genau aussieht, das war lange noch unklar. Insofern hatte ich schon den Traum von Olympia, aber wäre die Entscheidung auf nur Lead- oder Speedklettern gefallen, wäre es für mich sehr schwierig geworden. Als fest stand, dass in Tokio eine Kombination geklettert wird, war mir sofort klar, dass ich versuchen würde, dabei zu sein.

Ja? Sie haben dieses Olympia, das so lange nicht zum Klettern gehörte, direkt zu Ihrem Traum gemacht?

Vor Olympia waren alle Kletterer gleichermaßen Wettkampf- und Felskletterer. Mit Olympia wurde eine ganz große Bühne für das Wettkampfklettern geschaffen, und alle Wettkampfkletterer waren sich sofort einig, dass sie, egal wie das Format aussehen würde, versuchen wollten, sich zu qualifizieren. Das Leadklettern wird von einigen kritisch gesehen, aber das war für niemanden ein Grund, es nicht zu versuchen. Jeder, der eine realistische Chance hatte, hat in den letzten drei Jahren alles auf Olympia ausgerichtet. Allein die Tatsache, dass uns diese Bühne geboten wird, hat mir neue Sponsoren gebracht.

Sie waren immer Boulder-Spezialist. Jetzt müssen Sie in Tokio auch in den Disziplinen Lead und Speed überzeugen. Erklären Sie dem Laien doch bitte mal die Unterschiede.

Beim Bouldern wird in Absprunghöhe geklettert, die Wände sind zwischen vier und fünf Meter hoch, und es geht darum, innerhalb von fünf Minuten das Boulder-Problem zu lösen, also die Wand hochzukommen. Beim Bouldern ist am meisten Athletik gefragt, aber auch Koordination, da werden einem die abgefahrensten Bewegungen abverlangt. Beim Lead sind die Wände zwischen 16 und 18 Meter hoch und es wird mit Seilsicherung geklettert. Die Strecken sind sehr schwer geschraubt, viel mit Überhängen, da geht es darum, so weit wie möglich nach oben zu kommen. Da ist die Ausdauer entscheidend, man fällt aus der Route, weil man einfach platt ist und sich nicht mehr festhalten kann und die Hände aufgehen.

Fehlt das Speed-Klettern.

Da geht es, wie der Name schon sagt, um die Geschwindigkeit. Es gibt eine immer gleiche Route, die ist seit ungefähr zehn Jahren unverändert. Da muss man in der Qualifikation eine möglichst gute Zeit laufen und sich in den folgenden Runden im K.-o.-System durchsetzen.

Und bei Olympia müssen alle drei Disziplinen an einem Tag absolviert werden?

Genau. 20 Athleten treten in der Qualifikation an, erst Speed, dann Bouldern, dann Lead. Und die besten acht dürfen zwei Tage später im Finale noch mal ran.

Führen Sie noch das typische Doppelleben eines Kletterers zwischen Fels- und Plastikwand? Oder ist alles Olympia und dem Plastik untergeordnet?

Vor Olympia dauerte meine Wettkampfsaison etwa vier Monate, von April bis August, dann hatte ich viel Zeit zum Felsklettern. Dieses Jahr musste ich von April bis November Weltcup-Punkte sammeln. Seit Februar war ich nicht mehr am Fels. Das ist der Preis, den wir dieses Jahr alle für Olympia zahlen mussten. Jetzt steht das Ziel fest, da werde ich nur noch ein paar Vorbereitungsweltcups machen und habe dadurch wieder Zeit, regelmäßiger an den Fels zu gehen.

Jan Hojer

27, Profikletterer. Erfolge: WM-Dritter im Bouldern und Gesamtweltcup-Sieger 2014, WM-Dritter in der Kombination 2018. Diese Disziplin ist ein Dreikampf aus Lead, Bouldern und Speed, geschaffen für die Olympia-Premiere in Tokio.

Das ist erlaubt in der Olympiavorbereitung?

Nicht nur erlaubt, sondern auch förderlich. Es gibt gewisse technische Aspekte, die sich am Fels sehr gut trainieren lassen.

Heißt: Klettern am Fels ist doch noch schöner?

Für mich hat beides ganz unterschiedliche Reize, und mir macht beides gleich viel Spaß. Würde ich mich auf eins konzentrieren müssen, würde mir das andere fehlen.

Es gibt diesen Satz von Reinhold Messner: „Klettern an einer Plastikwand mit Plastikgriffen? Was soll das? Jeder Affe ist schneller da oben.“ Ist das noch eine gängige Meinung in der Szene?

Man kann sicher noch Leute finden, die das so sehen. Man muss das mittlerweile etwas differenzierter betrachten: Die meisten Wettkampfkletterer sind auch am Fels sehr aktiv und gleichzeitig die besten Felskletterer der Welt. Andersherum: Die besten Felskletterer am Seil, die wir zurzeit haben, sind allesamt auch bei Olympia vertreten. Das zeigt, dass sich die Disziplinen nicht so sehr unterscheiden. Zum anderen hat sich das Klettern in der Halle in den letzten Jahren als Breitensport rasant entwickelt. Wenn man ein echter Felskletterer ist, kann man sich nicht vorstellen, dass Leute freiwillig auf die Natur verzichten. Aber das Gute am Klettern ist, dass man es auf verschiedene Art betreiben kann. Jeder kann sich heraussuchen, was ihm gefällt – und von anderen halten, was er will.