Das Kalle-Lächeln

Eine Rolle, die er gerne pflegte? Die des wohlwollenden Begleiters im Hintergrund

Karl-Heinz Ruch steht auf der Rudi-Dutschke-Straße, die vor ein paar Minuten noch Kochstraße hieß. Er hört dem damaligen Berlin-Chef Gereon Asmuth zu, zwischen den beiden stützt sich der Ex-Tazler Gerd Nowakowski auf ein Plakat mit dem Slogan „Bild lügt! Taz auch?“ Alle drei halten Bier in der Hand – es ist der Tag der Einweihung dieser neuen Kreuzberger Straße. Sie ist einem der Idole der Studentenbewegung des vorigen Jahrhunderts gewidmet: Rudi Dutschke, der am 24. Dezember 1979 an den Spätfolgen eines Attentats starb. Karl-Heinz Ruch hört zu, den Mund wie ein Strich, die Mundwinkel leicht nach hinten gezogen. Karl-Heinz Ruch hat wieder dieses Kalle-Lächeln.

Dieses Kalle-Lächeln steht für eine Rolle, die Karl-Heinz Ruch gerne pflegte bei solchen Projekten wie der Umbenennung der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße. Der wohlwollende Begleiter im Hintergrund. Zweieinhalb Jahre hat das Dutschke-Projekt gedauert, bis die Rudi-Straße Vorfahrt hatte vor der Axel-Springer-Straße.

Das fing an bei der Idee. Es ging um die Sonderausgabe am 24. Dezember 2004 zum 25. Todestag Rudi Dutschkes. Da stellten Gereon Asmuth und ich uns die Frage: Warum erinnert nichts in Berlin an Rudi Dutschke? Und wir so: Straße! Schnell war ein Antrag zur Straßenumbenennung verfasst, den die taz dann an die zuständige Bezirksverordneten-Versammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg faxte (sic!). Zuvor musste Karl-Heinz Ruch den Antrag absegnen. Und Kalle nur – mit seinem Kalle-Lächeln: „Wo muss ich unterschreiben?“

Es folgten große Debatten. In der BVV hatten Grüne und Linkspartei den Antrag eingebracht, die SPD überlegte noch (bis heute?) – und die Kreuzberger 9-Prozent-Partei CDU war dagegen, sie hatten aber leider nur Kurt Wansner zu bieten. Kalle kam zu den Debatten in der BVV. Podiumsdiskussion im Kreuzberg-Museum. Kalle war da. Und dann, 2008, klar, bei der Einweihung. Da umarmte er Gretchen Dutschke. Und die taz, die im Rudi-Dutschke-Haus residierte, hatte nun die Postanschrift: Rudi-Dutschke-Straße.

Gut, auch nicht lange. Ein paar Jahre später beschloss Karl-Heinz Ruch mal kurz, ein Haus zu bauen, in der Friedrichstraße um die Ecke. Das ist noch etwas, was man von Kalle lernen konnte: Tradition ist wichtig, aber es ist nicht immer ein bestimmendes Handlungsprinzip für das Heute und Morgen.

Thilo Knott, 47, war von 2001 bis 2011 bei der taz – als Redakteur für besondere Aufgaben, Chef vom Dienst Seite 1 und Schwerpunkt-Ressortleiter. Er ging mit Kalle auf die Straße.