Digitalisierung der Gesellschaft: Nicht ohne Risiko

Ein neues Forschungsprogramm soll Umweltschutz und Computerwelt miteinander verknüpfen. Das Ziel ist, weniger Klimagase freizusetzen.

Ein Mann und eine Frau vor einem Laptop

Mit künstlicher Intelligenz könnten illegal fischende Boote besser ausgemacht werden Foto: Eric Baradat/afp

BERLIN taz | In der Woche nach dem Madrid-Schock über eine international handlungsunfähige Klimapolitik, beeilte sich die deutsche Forschung, dem Kampf gegen den Klimawandel einen positiven Dreh zu geben. Im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) wurde ein neues über 100 Millionen Euro schweres Aktionsprogramm für Digitalisierung und Nachhaltigkeit vorgestellt, während eine Fachkonferenz von Umwelt- und IT-Experten die nächsten Schritte in „unsere gemeinsame digitale Zukunft“ reflektierte.

Die vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen (WBGU) gemeinsam mit dem Berliner Weizenbaum-Institut (WI) für die vernetzte Gesellschaft ausgerichtete Tagung „Zukunft gestalten: Digital und nachhaltig“ hielt mit 260 Teilnehmern Rückblick auf das wegweisende Gutachten, das der Beirat in diesem Frühjahr vorgelegt hatte. In ihm wurden erstmals die beiden derzeit ablaufenden großen Transformationen – in der Natur und in der Digitalwelt – zusammen gedacht und der Kurs in eine „digitalisierte Nachhaltigkeit“ aufgezeigt. Die 500-Seiten-Studie wurde im Sommer auch auf Ebene der UN-Nachhaltigkeitskonferenz in New York vorgestellt.

Die Digitalisierung biete zahlreiche Chancen für eine nachhaltige Entwicklung und stelle einen „innovativen Werkzeugkasten zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele“ bereit, erklärte der scheidende WBGU-Vorsitzende Dirk Messner, der ab Januar das Umweltbundesamt (UBA) leiten wird. Gleichzeitig bestehe das Risiko, negative Trends, wie zum Beispiel einen steigenden CO2-Ausstoß oder die Gefährdung der informationellen Selbstbestimmung durch mehr Digitalisierung noch zu verstärken, warnt der WBGU.

Schon heute sind die digitalen Technologien durch ihren Energieverbrauch für 4 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich, so viel wie der Flugverkehr. Dieser Anteil könnte sich mit den derzeitigen Steigerungsraten des Energieverbrauchs von jährlich 9 Prozent bis zum Jahre 2025 verdoppeln. Auch gegen diesen Trend will das neue BMBF-Programm angehen.

Zugleich mache es die Digitalisierung möglich, gegen Bedrohungen der Umwelt auf neue Weise vorzugehen, bemerkte die Meeresforscherin Antje Boetius, die das Alfred-Wegner-Institut der Helmholtz-Gemeinschaft in Bremerhaven leitet. So könne aus den Daten der Satelliten-Überwachung mithilfe der künstlichen Intelligenz herausgefunden werden, ob ein Schiff in einem Meeresschutzgebiet illegal Fischfang betreibt: „Ein fischendes Schiff hat ein langsameres Tempo als ein normal fahrendes“.

Eine andere Gesellschaft

Mehr denn je sei es aber auch für Naturwissenschaftler nötig, die gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitaltechniken im Blick zu haben, merkte Uwe Schneidewind vom Wuppertal Institut für Klima Umwelt Energie als Beiratsmitglied an. Wenn die sensorgestützte Überwachung der Umwelt auch auf den Menschen ausgedehnt werde, entstehe eine andere Gesellschaft.

Digitale Technologien sind für 4 Prozent der Treibhaus-gasemis­sio­nen verantwortlich

Die Verbindung zu einer „Digital Sustainability made in Germany“ könnte sogar zu einem neuen Slogan werden, meinte Daniela Jacob, Direktorin des Climate Service Center ­Germany (GERICS) und Mitautorin des letzten Weltklimaberichts des IPCC.

Die Informatikerin Ina Schieferdecker, die bis vor wenigen Monaten am Berliner Fraunhofer-Institut FOKUS wirkte und dem WBGU angehörte, verwies in ihrer neuen Funktion als Abteilungsleiterin im BMBF darauf, dass daran bereits gearbeitet werde. „Unser Haus hat mit einem grünen IKT-Programm begonnen“, so Schieferdecker. In den kommenden drei Jahren würden vier Mal so viel Mittel wie bisher zur Erforschung von ressourcensparenden Lösungen eingesetzt.

In dem neuen Aktionsplan „Natürlich.Digital.Nachhaltig“, den BMBF-Staatssekretär Thomas Rachel auf der Konferenz vorstellte, werden erstmals alle Projekte des Ministeriums auf ihre digitale Nachhaltigkeit abgeklopft, gebündelt und teilweise weiter entwickelt.

Es müssten auch die Risiken der Digitalisierung benannt werden, so Rachel. „So muss zum Beispiel ihr ‚Stromhunger‘ dringend begrenzt werden – damit mehr Digitalisierung nicht mehr Klimawandel bedeutet“. Hier wolle das neue Programm „ein starkes Zeichen“ setzen.

Der Aktionsplan umfasst die drei großen Bereiche Bildung, Forschung und Anwendung. Die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) soll verstärkt werden. Höhepunkt ist die Unesco-Konferenz zu diesem Thema im Sommer 2020 in Berlin. Auch in der Berufsbildung sowie mit der Nationalen Weiterbildungsstrategie in der Erwachsenenbildung soll mehr Nachhaltigkeitswissen verbreitet werden. Im Bereich der Sicherheitstechnik wird 2021 die Forschungsinitiative „Resilienz digitaler Systeme“ starten, um digitale Infrastrukturen gegen Störungen und Angriffe zu wappnen.

Im gleichen Jahr beginnt ein neues „Forschungsprogramm für interaktive Technologien“, das die Nutzerfreundlichkeit erhöhen soll. In der Forschung soll ab Herbst 2020 die Förderung der ersten Konsortien der Nationalen Forschungsdatenstruktur (NFDI) starten, die eine bessere und breitere Nutzung der bei Forschungsprojekten gesammelten Daten ermöglichen soll. Starke Impulse soll es im Bereich der Batterieforschung geben. Neben der Forschungsfabrik in Münster für Auto-Batteriezellen will das BMBF mit der „Initiative Batterie 2020“ im kommenden Jahr die Entwicklung wieder aufladbarer elektrochemischer Energiespeicher entlang der gesamten Wertschöpfungskette fördern.

Nachhaltiges Wirtschaften

Im Bereich sozialer Innovationen wird 2020 die Fördermaßnahme „Digitalisierung sozialökologisch gestalten – Wirtschaft und Gesellschaft mithilfe der Digitalisierung nachhaltiger machen“ gestartet. Für die Kommunen wird die Fördermaßnahme „Wasser-Extremereignisse“ aufgelegt. Für 2021 ist eine zusätzliche Förderinitiative zur Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz und zum nachhaltigen Wirtschaften in der Produktion geplant.

Viel konkrete Forschung ist also auf dem Weg. Aber ist es die richtige, und wenn ja, wie schnell kommt sie zur Anwendung? In der Konferenz wurden mitunter Zweifel laut. „Die technischen Möglichkeiten sind vorhanden, aber es fehlen die Regeln, um eine faktische Verbesserung des Umweltzustandes zu erreichen“, beklagte die Meeresforscherin Antje Boetius, die mit Problemen des Transfers auch im Hightech-Forum der Bundesregierung befasst ist.

Auch Dirk Messner konstatierte, dass noch immer zu wenig ökologisches Faktenwissen in den Entscheidungsebene der Politik vorhanden sei. Nach dem Motto „You cannot govern what you don’t understand“ müsse dringend eine bessere „Governance“ innerhalb des politischen Systems erreicht werden. Gruß nach Madrid.

An dieser Schnittstelle könnte das Berliner Weizenbaum-Institut, das sich mit den Wechselwirkungen von Internet und Gesellschaft wissenschaftlich beschäftigt, neue Akzente setzen. Weizenbaum-Vizedirektor Sascha Friesike übernahm in der Konferenz symbolisch den „Staffelstab“ für die Forschung an den vom WBGU angestoßenen Themen. Sein Institut sei darauf angelegt, Brücken zu bauen, sagte Frisike: „Die Digitalisierung der Nachhaltigkeit ist eine solche Brücke“.

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