Eine ganz reale Gefahr

Im torlosen Clásico präsentiert sich Madrid wieder als revitalisierter Titelkonkurrent

Grätsche gegen Fußballgott: Madrids Luka Modrić attackiert Leo Messi Foto: reuters

Aus Barcelona Florian Haupt

Am Tag nach dem Clásico war die Nachlese durchaus vielfältig. Es waren ja zwei Partien gespielt worden: die auf dem Rasen zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid sowie die politische um den Grad der Aufmerksamkeit für die Anliegen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Von letzterer hieß es, dass zwei Drohnen mit Banderolen über das Camp Nou hätten fliegen sollen. Penible Einlasskontrollen verhinderten den PR-Stunt, und so blieb es bei einer etwa anderthalbminütigen Spielunterbrechung in der zweiten Halbzeit, als zeitgleich mehrere Dutzend gelber Plastikbälle auf den Rasen geworfen wurden. Millionen TV-Zuschauer rund um den Globus bekamen davon allerdings wenig mit; das Fernsehen musste auf Direktive der spanischen Liga schnell auf Stadionluftaufnahme und Zeitlupen umschalten.

Ein Bild von der angespannten Lage rund um das von einem Rekordpolizeiaufgebot bewachte Match konnten sich nur die Stadionbesucher machen. In der Schlussphase führten brennende Mülltonnen und Scharmützel zwischen radikalen Demonstranten und der Polizei an der Südseite des Camp Nou nicht nur zu einem beißenden Geruch über dem Spielfeld und dem Aufruf, die Arena nur zur anderen Seite zu verlassen, sondern auch zu rund 60 Verletzten und zehn Festnahmen.

Das Kicken im Hochsicherheitstrakt hätte sich nicht anders angefühlt als sonst auch, berichteten derweil die Beteiligten des mit 0:0 beendeten Spiels. Auch in diesem Zusammenhang wurde am Donnerstag weiter über die Details diskutiert, und wie so oft ging es dabei zuvorderst um den Schiedsrichter. Alejandro José Hernández aus Lanzarote hätte Real nach diversen Fouls an Verteidiger Raphaël Varane in der ersten Halbzeit mindestens einen Elfmeter geben müssen, zürnten Madrider Medien. Real-Klubdirektor Emilio Butragueño hatte in gleicher Angelegenheit schon nach Spielschluss den VAR attackiert: „Es ist sehr verstörend, dass er nicht eingriff.“ Ähnlichkeiten mit einer identischen Klage des FC Barcelona nach dem vorangegangenen Spiel in San Sebastián (2:2) sind selbstverständlich rein zufällig; die Katalanen hatten deshalb sogar einen Brief an den spanischen Verbandsboss Luis Rubiales geschickt.

Verschwörungstheorien gehören zum Clásico wie der Konflikt zwischen Zentralismus und Separatismus. Insofern fand der Prestigekampf in seiner 243. Auflage wieder ganz zu sich und dürfte als Fernduell auch die nächsten Monate prägen. Denn nach dem ersten torlosen Clásico seit 17 Jahren liegen beide Vereine in der Tabelle weiterhin gleichauf. Real untermauerte den Eindruck der vergangenen Wochen, nach zwei haushoch verlorenen Meisterschaften wieder ein Titelkandidat zu sein. Es wirkte sogar besser strukturiert als der Rivale. „Einstellung und Spiel: Wir sind in allem gut drauf“, resümierte Trainer Zinédine Zidane.

Der Franzose war nach seinem zunächst enttäuschenden Comeback in der Vorsaison und einem lethargischen Start in diese Spielzeit schon allerorten angezählt worden. Spekuliert wurde immer wieder über eine bevorstehende Rückkehr von José Mourinho. Doch der ist jetzt bei Tottenham und Zidane längst wieder über alle Zweifel erhaben. Auf seine ruhige Art hat er die Mannschaft aus ihrer Depression geführt. Er hat die besseren Versionen von Stützen wie Toni Kroos, Isco oder Varane reaktiviert und punktuell frische Gesichter eingebaut, allen voran den 21-jährigen Mittelfeldspieler Fede Valverde, die neue Sensation der Königlichen. Seit 2016 im Klub und somit nicht Teil der 300 Millionen Euro schweren Transferoffensive, beeindruckt der Uruguayer mit seinem Enthusiasmus wie mit seiner Entscheidungssicherheit, während seine Omnipräsenz alle defensiven Lücken im Alleingang zu stopfen scheint. Mit Valverde in der Startelf hat Real heuer noch kein Spiel verloren.

Wie schon vor drei Wochen beim 2:2 in der Champions League gegen Paris St. Germain erweiterte Zidane sein Mittelfeld auf vier Spieler und kon­trollierte damit über weite Strecken die Partie. Doch erneut gab es keinen Sieg, weil im Jahr zwei nach Cristiano Ronaldo immer noch eine einstige Stärke Reals vermisst wird: die Durchschlagskraft vor dem Tor. Mit Ausnahme von Karim Benzema hat noch kein Spieler überhaupt einen Treffer gegen eine der ersten fünf Mannschaften der Liga oder den PSG erzielt.