Heinz Bude über neue SPD-Spitze: „Solidarität ist das große Thema“

Der Soziologe Heinz Bude warnt die SPD vor einem Aus der Großen Koalition. Die künftige Spitze müsse eine andere solidarische Erzählung anbieten.

Mann gestikuliert

Der Soziologe Heinz Bude Foto: Wolfgang Borrs

taz: Herr Bude, gibt es mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken für die SPD jetzt die Chance für einen Neuanfang?

Heinz Bude: Die Themen dafür liegen ja auf den Hand: die Revitalisierung einer Politik öffentlicher Güter – Stichwort Deutsche Bahn. Die Rückkehr des investierenden Staates – Stichwort digitale Grundversorgung. Und natürlich eine ernsthafte und nachhaltige Politik des Klimawandels.

Glauben Sie wirklich, dass die SPD dafür gerüstet ist?

Nein. Aber sie könnte jetzt die Themen mit eigenen Ideen besetzen, wenn sie sich dafür einen intellektuellen Hintergrund beschaffen würde. Dazu müssten die beiden neuen designierten Vorsitzenden sich von ihrem Königsmacher Kevin Kühnert emanzipieren.

Wollen die das denn?

Im Augenblick sieht das nicht danach aus. Aber das ist ihre Chance, sonst sind sie jetzt schon zwei Figuren, die den Untergang der SPD besiegelt haben.

Das mediale Echo auf die Wahl der neuen Spitze ist, bis auf Ausnahmen, vernichtend. Hilft das dem Duo vielleicht sogar – weil sie damit einen Außen­seiterbonus haben?

Bei Bernie Sanders hat das funktioniert. Hier bin ich skeptisch. Sanders hatte Anschluss an die Bewegung der jüngeren Akademiker. Sanders stand für diese soziale Gruppe, die akademische Jugend, die von Schulden für Studiengebühren geplagt ist und das Spiel der „Winner takes it all“ vor sich sieht. Welche Gruppe repräsentieren Esken und Walter-Borjans? Da müssen die sich was überlegen.

Gibt es nicht, nach dem Neoliberalismus, eine neue Sehnsucht nach Solidarität – und ist die Wende nach links der SPD nicht ein Ausdruck dafür?

Solidarität ist das große Thema des Augenblicks. Es wird in allen westlichen Gesellschaften nur von rechts bewirtschaftet, als exklusive Solidarität nach dem Motto „Wir sind das Volk“. Die aufgeklärte Linke hat dagegen nur einen Liberalismus des schlechten Gewissens zu bieten.

Warum ist das so?

Solidarität lässt sich heute nicht mehr aus der gemeinsamen Erfahrung von Ausbeutung und Unterdrückung gewinnen. Angesichts der Pluralisierung der Beschäftigungsformen, der Einforderung von Ich-Leistungen und der Zumutung von Selbstverantwortung versteht sich Solidarität nicht mehr von selbst.

Die Gesellschaft der Ähnlichen hat sich in eine Gesellschaft der Verschiedenen verwandelt. Das ist der Weg von den Helmut-Schmidt- zu den Robert-Habeck-Deutschen. Da kommt man mit dem Erbe von Johannes Rau nicht weiter. Die SPD darf nicht nur „Schutzmacht der kleinen Leute“ sein. Sie hat als führende Partei des linken Lagers nur Sinn, wenn sie Debatten vorgibt, die von anderen aufgenommen werden müssen.

Wen soll die SPD fragen?

Es gibt auch hierzulande ein paar jüngere Leute, die sich mit dem Neokeynesianismus auskennen. Ottmar Edenhofer ist die beste Adresse für eine vernünftige Politik des Klimawandels. Die Debatte über öffentliche Güter ist in vollem Gange, wir beide könnten in einer halben Stunde eine schöne Liste zusammenstellen. Dann müsste die SPD nicht nur kalten Kaffee rühren.

Soll die SPD die Groko verlassen?

Wenn sie das tut, verliert sie auf absehbare Zeit jeden Einfluss.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.