Von Obdachlosigkeit bedroht: Beschlagnahmen statt Zwangsräumen

Einem jahrzehntelangen Mieter in Mitte droht nach Ausschöpfung des Rechtswegs die Zwangsräumung. Die BVV sieht einen Ausweg. Der Bezirk nicht.

Protestdemo gegen die Zwangsräumung einer Wohnung an der Dubliner Straße 8 in Wedding stehen mit einem Transparent vor dem Haus

Protest gegen die Zwangsräumung einer Wohnung an der Dubliner Straße 8 in Berlin-Wedding Foto: picture alliance/Paul Zinken/dpa

Es wäre doch zu schön: Wohnungen, aus denen Privateigentümer:innen ihre Mieter:innen zwangsräumen wollen, könnte der Bezirk kurzerhand beschlagnahmen, um die Obdachlosigkeit der Betroffenen abzuwehren. Tatsächlich gab es Ende November einen solchen Beschluss in Mittes Bezirksparlament.

Es ging um den Fall eines jahrzehntelangen Mieters im Wedding, dem Ende Januar nach Ausschöpfung des Rechtswegs die Zwangsräumung droht. Doch der zuständige Bezirksstadtrat Ephraim Gothe (SPD) will den Beschluss nicht umsetzen, die Stadtteilinitiative „Hände weg vom Wedding“ macht jetzt dagegen mobil.

Tatsächlich sind die Hürden für eine solche Beschlagnahmung extrem hoch. Die Linke, die den Antrag ins Bezirksparlament eingebracht hatte, stützt sich auf ein Gutachten, das der Wissenschaftliche Dienst des Berliner Abgeordnetenhauses im Auftrag der Linksfraktion im Februar 2019 erstellt hat. Darin steht in der Tat, dass die Ordnungsbehörden befugt seien, durch eine ordnungsrechtliche Beschlagnahme von Wohnraum eine unmittelbar drohende Obdachlosigkeit zu verhindern.

Die Gesamtlektüre des Gutachtens sowie einschlägige Gerichtsurteile verdeutlichen aber auch: Eine solche Beschlagnahmung ist Ultima Ratio. Zunächst hat sich der Mieter zu bemühen, anderen Wohnraum zu finden. Gelingt ihm dies nicht, sind die Behörden verantwortlich. Und nur wenn die gar keine andere Möglichkeit der Unterbringung finden, etwa in Wohnungslosenunterkünften oder Pensionen, erst dann kommt eine Beschlagnahme infrage.

Kein geeignetes Vehikel

Die Weddinger Initiative argumentiert nun, dass die Unterbringung in Wohnungslosenunterkünften, ebenfalls ein Instrument des Ordnungsrechts, nichts mit menschenwürdigem Wohnen zu tun habe. Tatsächlich hat der erst vor wenigen Tagen veröffentlichte Jahresbericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte die Praxis der ordnungsrechtlichen Unterbringung von Wohnungslosen auf den Prüfstand gestellt.

Das Urteil: Angesichts der Wohnungsknappheit sei die Verweildauer der Untergebrachten teils so lang, dass die geringen Standards, die an diese Unterkünfte angelegt werden, mit dem Recht auf menschenwürdiges Wohnen nicht vereinbar seien. Die VerfasserInnen forderten die Bundesregierung auf, neue Standards zu entwickeln. In Berlin will die Sozialsenatorin mit einer gesamtstädtischen Steuerung noch in der aktuellen Legislaturperiode die Bedingungen der ordnungsrechtlichen Unterbringung verbessern.

Aber das ist im Grunde eine andere Baustelle, die eben Politik und Verwaltung bei der Verhinderung von Obdachlosigkeit in die Pflicht nimmt und nicht private Wohnungseigentümer. Ohnehin bedeutet eine ordnungsrechtliche Beschlagnahme allenfalls einen kurzen Aufschub für die Lösung eines bleibenden Problems: Sie ist auf einen sehr begrenzten Zeitraum, laut Literatur und Rechtsprechung 2 bis 6 Monate, befristet.

Eine ordnungsrechtliche Beschlagnahmung ist Ultima Ratio

Wer denkt, dass private Wohnungs­eigen­tümer:innen ungeeignet sind, um das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf menschenwürdiges Wohnen zu wahren, der sollte Bestrebungen unterstützen, die die Renditemöglichkeiten von Privateigentümern eindämmen oder die Wohnungswirtschaft zunehmend in gemeinwohlorientierte Hände legen. Die kurzzeitige ordnungsrechtliche Beschlagnahmung privaten Wohneigentums scheint dafür jedenfalls kein geeignetes Vehikel.

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Redakteurin in der Inlandsredaktion, schreibt über Gesundheitsthemen und soziale (Un-) Gerechtigkeit.

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