Eine warme Mahlzeit am Tag

Gegen die Polarisierung: Die Ausstellung „Kaiser und Sultan“ in Karlsruhe zeigt die Türkenkriege als Ära kulturellen Austauschs in Südosteuropa

Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden-Baden im Kostüm eines Osmanen, Rastatt, um 1700–1706, Ludwig Ivenet zugeschrieben Foto: Adi Bachinger

Von Carmela Thiele

Im „Blauen Zelt“ sind alle willkommen. Ringsum Arkaden aus Blumenornamenten, die den Blick freigeben ins Blaue, aus dem Off der Gesang des osmanischen Mystikers Mevlana. Wer es bis hierin geschafft hat, ist einen langen Weg gegangen, durch ein Labyrinth von beleuchteten Vitrinen mit reich verzierten Streitäxten, Säbeln und Sätteln, mit kostbaren Alltagsgegenständen, vorbei an alten Landkarten und Gemälden, die stolze Europäer in orientalischem Gewand zeigen. Die Objekte erzählen von den sogenannten Türkenkriegen, aber auch vom Import des Kaffeetrinkens über Istanbul nach Wien, von religiöser Toleranz im osmanischen Vasallenstaat Siebenbürgen, von Haremsdamen am Hofe deutscher Kleinfürsten.

Hinter dem glänzenden Panorama der Großen Landesausstellung „Kaiser und Sultan – Nachbarn in Europas Mitte 1600–1700“ in Karlsruhe verbirgt sich ein transkulturelles Forschungsprojekt des Badischen Landesmuseums mit den Universitäten Zagreb und Graz sowie den Kunstsammlungen Dresden. „Wir sind das erste Haus, dass sich bemüht, die sogenannten Türkenkriege zu entschlüsseln und zu zeigen, was neben diesen Dichotomien, Kaiser und Sultan, noch alles möglich war“, sagt die Kuratorin Schoole Mostafawy.

Verflechtungsgeschichte, en­tangled history, ist an Universitäten bereits Standard, in Museen noch immer eine Herausforderung. Zumal, wenn sich Vorurteile so hartnäckig gehalten haben, wie im Fall des Gegensatzes zwischen Christen und Muslimen, dem Habsburger Reich und dem Osmanischen Reich. Das Narrativ der Osmanen als Erzfeinde des Westens erzählt jedoch nur die halbe Wahrheit; es war politisch motiviert. Doch bestätigten die präsentierten Kriegstrophäen nicht eher solche Klischees?

Voraussetzung für eine Annäherung sei, die Welt nicht durch Polarisierungen erklären zu wollen, sagt die deutsch-iranische Kunsthistorikerin. Eine Waffe wie das einst in Siebenbürgen umgestaltete Samurai-Schwert sei ein Beleg für einen seit Jahrhunderten stattfindenden Kulturtransfer. Viele Ausstellungsstücke untermauern dies: Der vom Großherzog von Baden zum Zepter umfunktionierte Streitkolben oder die osmanischen Gebetsteppiche, die an den Wänden protestantischer Kirchen hingen. Kein Zweifel, das dreigeteilte Ungarn und die Balkaninsel wurden damals durch Krieg, Zwangsansiedlungen und Migration zum melting pot europäischer und osmanischer Traditionen.

Zwischen den Kulturen agierten zahlreiche Vermittler. Der 1580 in Stein am Rhein geborene Johann Rudolf Schmid von Schwarzenhorn etwa stieg vom Sklaven und Dolmetscher der Osmanen auf zum kaiserlichen Gesandten am Hof von Istanbul. Er verhandelte zahlreiche Friedensschlüsse. Damit war es 1683 jedoch vorbei. Die Osmanen wollten Wien einnehmen, hatten sich aber verkalkuliert. Polen, Lothringen, Bayern und Sachsen kamen zu Hilfe.

Die zurückgelassenen Dinge der Osmanen waren beliebte Kriegsbeute. Anlässlich der Kostümumzüge am sächsischen Hof schnallten sich Höflinge einen Säbel um und setzen einen Turban auf. Auch die Osmanen waren empfänglich für Kitsch. Eines der begehrtesten Gesandtschaftsgeschenke waren vergoldete Automatenuhren, die mit Figuren bekrönt waren, etwa einer Reiterstatue Sultan Süleyman des Prächtigen. Der Kopf, die Hände des Sultans und die Augen des Pferdes bewegten sich jede Stunde wie von Geisterhand. Die Osmanen sahen in dieser Spielerei die Lenkkraft des Sultans symbolisiert.

Der Kopf und die Hände des Sultans bewegten sich jede Stunde

Viel Raum gegeben wird in der Ausstellung auch Beispielen, die das Herz der orientalischen Kultur ausmachen. Hohe Wertschätzung genoss die Kalligrafie. Urkunden waren wie Kunstwerke gestaltet. Waffen wie die handlichen Reflexbögen aus Holz und Horn waren mit Versen aus der persischen Liebesmystik beschriftet. Das Bogenschießen galt bei den Osmanen als religiöse und geistige Übung.

Doch kämpften im 17. Jahrhundert nicht nur Araber gegen Europäer. Bosnier, Albaner, Walachen und Krimtataren verstärkten das osmanische Heer. Nicht zu vergessen die Geheimwaffe des Sultans, die Janitscharen. Für die Gründung der Elitetruppe wurden einst Knaben nichtmuslimischer Familien aus Anatolien, der Ukraine und Südwestrussland rekrutiert, zwangs­islamisiert und von Mönchen des Bektaşi-Ordens ausgebildet. Zölibat und Armut sollten geistige Stärke und körperliche Disziplin und Treue gegenüber dem Sultan fördern. Eine warme Mahlzeit am Tag aber musste sein: Jede Janitscharen-Kompanie verfügte über einen riesigen Suppenkessel, von dem auch ein Exemplar in der Ausstellung zu sehen ist.

Es schwirrt einem etwas der Kopf nach diesen vielen Geschichten, in denen Zufall, Pragmatismus und Faszination für das Fremde genauso eine Rolle spielen wie Machtgelüste oder nationale Unabhängigkeit. Kulturelle Einheitlichkeit erweist sich, zumindest bezogen auf das südöstliche Europa im 17. Jahrhundert, als Mythos. Und selbst die damalige polnische Elite wähnte sich als Nachfahren der Sarmaten, eines persischen Reitervolks. Da stellt sich die Frage, ob das Pochen auf eine nationale Kultur dort und anderswo nicht heute genauso fadenscheinig ist wie damals.

Bis zum 19. April, Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Katalog (Hirmer Verlag)