Streit um Lohnerhöhungen: Pflegekräfte sind Kassen zu teuer

Die Bremer Wohlfahrtsverbände haben sich mit Ver.di auf eine Tariferhöhung für den ambulanten Bereich geeinigt. Die Krankenkassen wollen nicht zahlen.

In einem Spiegel ist zu sehen, wie sich eine stehende Pflegekraft und eine sitzende, ältere Person über ein Fotoalbum beugen

Trotz Lohnerhöhung schlecht bezahlt: Eine ambulante Pflegekraft mit einer älteren Frau Foto: Tobias Kleinschmidt/dpa

HAMBURG taz | Für einige Angestellte der ambulanten Pflege in Bremen ist es eine gute Nachricht: Ab dem 1. Januar bekommen sie mehr Lohn. Das ist das Ergebnis der Tarifverhandlungen der Gewerkschaft Ver.di mit der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Bremen (LAG). Doch jetzt wollen die Krankenkassen die anfallenden Mehrkosten nicht bezahlen.

Die LAG habe bei den Verhandlungen 23 von 115 Pflegediensten in Bremen und Bremerhaven vertreten, sagt Vorstandssprecher Arnold Knigge. Die Träger wollen insgesamt 6,8 Prozent mehr Geld, die Krankenkassen bieten nur 4,76 Prozent. Weil sich die Parteien nicht einigen konnten, haben die Wohlfahrtsverbände die Verhandlungen als gescheitert erklärt und zu einem Schiedsverfahren aufgerufen.

Knigge versteht das Vorgehen der Krankenkassen nicht. „Seit dem letzten Jahr gelten Regelungen, wonach die Tarifverträge von den Kassen anzuerkennen sind, wenn sie nicht deutlich über das ortsübliche Niveau hinausgehen“, sagt er der taz. Und auch mit der Erhöhung liegt der Tarif für ambulante Pflegekräfte noch unter dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes. Die Angestellten in der ambulanten Pflege werden auch weiterhin schlechter bezahlt sein, als Pflegekräfte, die in Krankenhäusern arbeiten.

Bis zu acht Prozent mehr bekommen die Angestellten in der ambulanten Pflege ab Januar, wenn sie nach Tarif bezahlt werden – der genaue Prozentsatz ist von der Berufsgruppe abhängig. Eine Hilfskraft mit einjähriger Ausbildung beispielsweise verdiente bisher je nach Dauer der Beschäftigung zwischen 12,59 Euro und 14,33 Euro in der Stunde. Ab dem ersten Januar sind es 13,19 Euro bis 15 Euro, sagt Krigge.

Unterversorgung im ambulanten Bereich

Auch Aysun Tutkunkardes, Gewerkschaftssekretärin bei Ver.di, verweist auf die deutlich niedrigeren Löhne im ambulanten Sektor. Mit dem Verhandlungsergebnis sei man aber auf einem guten Weg. „Für mich ist nicht nachvollziehbar, warum die Kassen sich sperren“, sagt sie. Schließlich sei die Pflicht der Krankenkassen im Sozialgesetzbuch klar geregelt. Außerdem steuere das Gesundheitssystem auf eine Unterversorgung zu – gerade im ambulanten Bereich.

Auch für Knigge ist die Tariferhöhung wichtig für die Zukunft der ambulanten Pflege. Wenn die Krankenkassen bei ihren angepeilten 4,76 Prozent bleiben, entstehen für die Pflegedienste hohe Kosten, die sie selbst tragen müssten. Und einige Pflegedienste schrieben jetzt schon rote Zahlen. Aber ohne Lohnerhöhungen könne man die Menschen nicht in den Arbeitsverhältnissen halten und kein neues Personal gewinnen, sagt der LAG-Vorstandssprecher. Neue Fachkräfte würden lieber in besser bezahlten Bereichen arbeiten, schon ausgebildete Pfleger*innen dahin wechseln.

Die Bremer Vertreter*innen des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (BPA) haben dem 4,76 Prozent-Angebot der Krankenkassen zugestimmt. Die Landesbeauftragte Johanna Kaste weist auch auf den Unterschied zu den Gehältern im Krankenhaus hin. Trotzdem sagt sie: „Für uns ist das auskömmlich.“

Die beteiligten Krankenkassen wollen sich auf Anfrage der taz nicht zu den Verhandlungen mit der LAG äußern, da das Verfahren noch läuft. Dass sie bei den Tarifverhandlungen nicht mit am Tisch sitzen, ist laut Tutkunkardes normal. „Genauso sind wir nicht bei den Pflegesatzverhandlungen dabei. Das ist auch gut so.“

Aysun Tutkunkardes, Ver.di -Gewerkschaftssekretärin

„Das Gesundheitssystem steuert auf eine Unterversorgung im ambulanten Bereich zu“

Wenn die Krankenkassen sich weiter weigern, habe auch die Gewerkschaft ein Problem. „Wir haben mit den Arbeitgebern bereits festgelegt, dass es beim nächsten Tarifabschluss eine Steigerung von mindestens 3,5 Prozent geben soll“, sagt Tutkunkardes. Das sei nicht möglich, wenn die Kassen nicht zahlen. „Und dann müssen wir die Arbeitgeber bestreiken, obwohl das eigentlich die Falschen sind“, sagt die Gewerkschafterin.

Die Wohlfahrtsverbände haben laut Tutkunkardes als frei gemeinnützige Träger einen viel kleineren finanziellen Spielraum als beispielsweise Aktienunternehmen. Sie sind auf die Refinanzierung der Krankenkassen angewiesen, um ordentliche Gehälter zu zahlen.

Auch das eingeleitete Schiedsverfahren birgt finanzielle Risiken für die Pflegedienste. Denn so lange das Verfahren läuft, müssen sie die Kosten für die Lohnerhöhungen komplett übernehmen, bekommen also nicht einmal die 4,76 Prozent von den Krankenkassen erstattet. Damit diese Vorleistungsphase möglichst kurz ist, will die LAG laut Knigge auf ein zügiges Verfahren drängen. Die LAG hat Heinz Rothgang, Professor für Gesundheitsökonomie in Bremen, als Schlichter vorgeschlagen, die Krankenkassen haben dem bereits zugestimmt. Wann das Verfahren startet, ist noch nicht klar.

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