Keine steife Brise

Hunger und Durst haben die HSV-Fans. Auf eine endlich erfolgreiche Saison, selbst mit einem Holländer, den einige erst mögen lernen müssen

Der Bursche mit seinem gewaltigen Tattoo im Gesicht steckt gleich mal die Fronten ab: „Ich mag die Holländer nicht, und die mögen uns nicht.“ Im Fernseher der HSV-Fankneipe „Hunger und Durst“, vor dem er hockt, läuft allerdings einer übern Platz, den er nun wohl oder übel mögen muss. Rafael van der Vaart, der vermeintliche neue HSV-Heilsbringer aus Amsterdam, hat glücklicherweise eine spanische Mutter, „und deswegen ist der auch gar kein richtiger Holländer“. Gegen Spanier hat der Mann offenbar nichts.

Es ist Samstagnachmittag, Bundesliga-Auftakt und im „Hunger und Durst“ sitzen die ganz Hartgesottenen. Während fast in Sichtweite van der Vaart, Barbarez und Co mit einem 3:0 im Stadion gegen den überforderten 1. FC Nürnberg Glücksgefühle auslösen, sitzen sie, obwohl eingeschworene HSV-Hardcore-Fans, hier in der dunklen Ecke vorm Bildschirm. In die AOL-Arena dürfen die Jungs, die sich verzweifelt mühen, das üble Hooligan-Image der HSV-Fans aus den 70er und 80ern in die 43. Liga-Spielzeit zu retten, nicht mehr rein: Stadionverbot. In der Welt des heutigen HSV und dessen Managers Dietmar Beiersdorfer hätten sie allerdings auch nichts mehr verloren.

Wenn derzeit schon in Hamburg so heftig mit dem Etikett des Erlösers gearbeitet wird, dann gebührt dies wohl eher Beiersdorfer als dem ehemaligen Ajax-Kapitän van der Vaart. Der Manager hat in Einvernehmen mit dem Präsidenten Bernd Hoffmann rund um den Volkspark die Fenster zum Durchlüften geöffnet, und heraus strömte der Muff von gefühlten 1.000 Jahren, in dem sich der HSV seit dem Ende der Ära Happel und Netzer eingerichtet hatte. Der Hamburger SV war zu einem Langweiler der Liga geworden, spießig, mittelmäßig, selbst dem neuen Stadion mutete stets der Eindruck billiger Marktschreierei an, und die Spieler fügten sich mit ihrer Kickerei drein, teure Fehleinkäufe stapelweise.

Wie sehr sich das geändert hat, hat zuletzt der Samstag gezeigt. Der HSV ist jedenfalls daheim wieder eine Macht. Selbst in Spielen, in denen es auch mal holpert – das tat es am Samstag durchaus – lässt das Team von Trainer Thomas Doll keinen Zweifel an dem, was es auf dem Platz verkörpern will: Wir sind selbstbewusst, wir wissen, was wir können, andere müssen erst mal stärker sein als wir. Den Vorteil der gewonnen UI-Cup-Spiele im Rücken bleibt das Gefühl: Hier ist eine Mannschaft schon am 1. Spieltag im Rhythmus – und Führungsspieler wie van Buyten und Boulahrouz waren wegen Verletzung nicht einmal dabei. Ein Benny Lauth, der immerhin noch Ambitionen auf den WM-Kader hegt, durfte zunächst auf der Bank Platz nehmen, so stark ist Dolls Kader derzeit besetzt.

Dazu kommt der Schub, den die Verpflichtung van der Vaarts ausgelöst hat. Religiöse Wiedererweckungserwartungen haben seitdem den Boulevard und die Fans ergriffen. Dass der 22-Jährige diese Erwartungen am Samstag auf dem Platz nicht erfüllen konnte – wen kümmert es im Moment? Das Stadion, in dem dereinst 1988 die holländische Elftal der DFB-Elf bei der EM eine ihrer bittersten Niederlagen bescherte, durchweht heute eine Oranje-Gefühlsduselei sondergleichen, angeheizt noch durch die Homestories um van der Vaarts Ehefrau Sylvie, eine ehemalige MTV-Moderatorin. Glamour in der Bundesliga und das ausgerechnet beim HSV. Ist es die Möglichkeit?

Besoffen von der Euphorie, die durch einen Sieg im UI-Cup-Endspiel gegen Valencia (Hinspiel Dienstagabend in der AOL-Arena) verfallen die HSV-Supporter bereits wieder in Wahnvorstellungen: „Dieses Jahr wollen, müssen wir Meister werden: Champions League, das erwarten wir, nichts anderes“, tönt es allerorten. Dietmar Beiersdorfer hat noch viel Arbeit. PETER AHRENS