Sexuelle Gewalt gegen Kinder aufarbeiten: Kein Kochbuch, aber eine Anleitung

Die Missbrauchskommission legt einen neuen Leitfaden vor. Mit ihm sollen Institutionen sexuelle Gewalt an Kindern analysieren können.

Puppen auf der Liege einer Arztpraxis

Handpuppen in einem Untersuchungsraum der Medizinischen Kinderschutzambulanz Foto: Arne Dedert/picture alliance

Als vor zehn Jahren die ersten Fälle sexueller Gewalt an Kindern in katholischen Einrichtungen bekannt wurden und eine Welle von Missbrauchsskandalen die Republik erschütterte, gab es eine Forderung: Die massenhafte Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Institutionen, Vereinen, Heimen, Kirchen müsse aufgearbeitet werden. Aber wie funktioniert Aufarbeitung eines Themas, das jahrzehntelang geleugnet wurde?

Mit dieser Frage hat sich seit 2016 eine siebenköpfige Kommission beschäftigt, die vom Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung berufen wurde. An diesem Dienstag stellen die Mitglieder in Berlin ihre „Empfehlungen“ vor, anhand derer sich Einrichtungen orientieren können, um ihre Vergangenheit aufzuarbeiten. „Jetzt haben sie keine Chance mehr, sich rauszureden, sie wüssten nicht, was sie tun sollen und wie“, sagt Sabine Andresen, Erziehungswissenschaftlerin in Frankfurt am Main und Vorsitzende der Kommission.

Aber so einfach, wie das theoretisch klingt, ist es praktisch nicht. Die Empfehlungen seien „kein Kochbuch, das Schritt für Schritt vorgibt, was eine Einrichtung tun muss“, sagt Matthias Katsch, Kommissionsmitglied und einst Schüler am Jesuitengymnasium Canisius-Kolleg in Berlin. Dort hatte 2010 der damalige Rektor Klaus Mertes die jahrzehntelange Gewalt an den SchülerInnen öffentlich gemacht und damit die Debatte über den institutionellen Missbrauch angestoßen.

Die Institutionen und deren Strukturen seien zu unterschiedlich, als dass die Kommission „Eins-zu-eins-Tipps“ geben könnte, meint Katsch. Was aber kann beispielsweise ein Sportverein im ländlichen Raum konkret tun, um Missbrauchsfälle aufzuarbeiten und künftig zu vermeiden? „Zuallerst: zuhören und dem Opfer glauben“, sagt Andresen. Viel zu oft seien Betroffene mit Sätzen abgewiesen worden wie: „Das kann nicht sein. Das gibt es bei uns nicht.“

Nationaler Rat für Prävention

Danach rät die Pädagogin, die nächsthöhere Stelle wie Vorstand, Kreisverband und Landesverein zu informieren. „Möglicherweise kann auch eine Beratungsstelle in einem größeren Ort kontaktiert werden.“ Andresen schließt nicht aus, dass die Broschüre noch einmal überarbeitet werden muss, wenn Institutionen feststellen, dass Empfehlungen, so wie die Kommission sie jetzt entworfen hat, nicht funktionieren.

Unabhängig von dem „Leitfaden“ zur Aufarbeitung von sexueller Gewalt ist Prävention in Schulen, Kitas, Internaten wichtig. Wie das funktionieren kann und sich sexueller Missbrauch strukturell verhindern lässt, soll künftig der „Nationale Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ erarbeiten. Er kam auf Initiative von Familienministerium und Missbrauchsbeauftragten am Montag zu einer konstituierenden Sitzung zusammen. Bis 2021 sollen seine Mitglieder Möglichkeiten erarbeiten, Schutz und Hilfen für Betroffene zu verbessern.

Für den Fall, dass es trotz Präventionsversuchen zu sexuellen Übergriffen kommt, sind Institutionen heute oft besser aufgestellt als früher. Mittlerweile haben viele Einrichtungen Handlungskonzepte und einen Notfallplan, der festlegt, was zu tun ist, wenn Missbrauch bekannt wird.

Das Canisius-Kolleg etwa hat ein 48 Seiten langes Präventionskonzept, bei dem es nicht nur um Gewaltprävention geht, sondern auch um Mobbing und den Umgang mit Drogen. Seit Oktober hat das Berliner Gymnasium außerdem eine Kinderschutzbeauftragte: Christiane Suckow-Büchler ist Schulpsychologin und Yogalehrerin.

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