Deine Freunde, neues Album „Helikopter“: Lächeln mit Ameisenscheiße

Nehmt die Kinder ernst – und die Eltern ebenso! Das tun die Hamburger Rapper Deine Freunde auf ihrem neuen Album „Helikopter“, auch zum Mitsingen.

Drei Männer, jeder in einfarbiger Kleidung, sitzen im Schneidersitz auf dem Boden

Deine Freunde vor der Kamera – hat da etwa jemand „Cheese“ gesagt? Foto: Michi Schunck

Der große Schmerz – seit jeher das Grundthema jedes ernsthaften Künstlers. Selten wurde er so direkt besungen wie hier: „Den Nagel vom Zeh, lang nicht geschnitten / Einmal umklappen – Iiih! Aua. Aua.“ Ein Glück, die Rapper für Kinder Deine Freunde sind wieder da! Die Hamburger legen nun ihr fünftes Album, „Helikopter“, vor.

Ein Geheimtipp sind sie freilich nicht mehr, eher ein gut geöltes Mittelstandsunternehmen, das alljährlich große Hallen der Republik mit Tausenden vor Begeisterung springenden und schreienden Kids füllt. Kindermusik, gefühlte Äonen-Jahre zuvor irgendwo zwischen Verblödung und Ultrakitsch von den unbarmherzigen Händen altbackener Kita-Gitarrenschrammler und Gemeindechören in Geiselhaft genommen, ist plötzlich wieder cool.

Hippe Bands und namhafte Komponisten trauen sich inzwischen an das Sujet, das lange Zeit so verwaist war wie der typische Protagonist eines Kinderbuchs. Diese zarte musikalische Revolution ist nicht ­unerheblich Deine Freunde zu verdanken.

Dabei ist der Trick des Trios zunächst einfach: Es macht zeitgemäße, durchaus mainstream-kompatible, weitgehend tanzbare Musik mit fetten Beats, melodischen Refrains und vielen gerappten, nach allen Regeln der Reimkunst ausgearbeiteten, witzigen Textpassagen – und nimmt seine junge Zuhörerschaft dabei ernst. Denn Deine Freunde verniedlichen Themen aus der Lebenswelt des Nachwuchses nie, und sie sind auch nicht belehrend, sondern erzählen immer auf Augenhöhe.

Deine Freunde: „Helikopter“ (Karussell/Universal); die Tour beginnt im Februar

Im ohrwurmigen „Cheese“, quasi die Single des Albums, etwa geht es um den übersteigerten elterlichen Drang, die Kleinen dauernd fotografieren zu müssen, die dabei gefälligst auch noch lieb lächeln sollen.

Wenn Erwachsene witzig sein wollen

Da wird das Kinderlied zum echten Protestsong: „Ich weiß noch genau, wie das alles begann / Irgendwann sagte irgendwer dies: Cheese / Ich kann mich noch erinnern, denn es war in dem Moment, in dem ich gerade meine ersten Schritte lief ­– Cheese / Seitdem kam es immer wieder mal vor, dass jemand lautstark in meine Richtung rief: Cheese! / Doch ich wurde nie gefragt, wäre eigentlich ja mal nett, denn vielleicht fühl ich mich ja grade mies.“ Schlimmer noch: Dann wollen die Erwachsenen auch noch witzig sein und verlangen „Ameisenscheiße“. Supernervig!

Da fühlt sich der erziehungsberechtigte Zuhörer unweigerlich ertappt und versteht sofort, dass die Kids enthusiastisch mitsingen. Ein klassischer Deine-Freunde-Song! In ähnlicher Weise funktionieren das leicht trancige „Saymalaise“ mit dem schönen Refrain „Die Mittagsstunde ist in da house“ und „Wenn der Hausmeister kommt“, beinharter Gangsta-Rap – allerdings ist der Bösewicht hier ein übellauniger Hausmeister. Oder „April, April“, das den unlustigen Aprilscherz anprangert – als Falco-Zitat.

Aber den kennen Kinder doch gar nicht, mag man denken, und tatsächlich tut sich hier eine Verschiebung im Deine-Freunde-Kosmos auf: Zwar waren die Songs auch früher schon so konstruiert, dass älteren Mithörern Erinnerungsversatzstücke geboten wurden, aber das geschah eher beiläufig. „Helikopter“ richtet sich nun erstmals auch direkt an die Erwachsenen.

Die Hölle von Elternabenden in der Kita

Mit Songs über die Gefühlzustände junger Eltern („Kater vs. Vollrausch“) oder – mit echtem Hitpotenzial – über die Hölle von Elternabenden in der Kita: „Unangenehmes Schweigen auf viel zu kleinen Stühlen / Ihr müsst noch ein bisschen bleiben, denn es ist wieder mal“, genau: „Elternvertreterwahl in der Kita“. Das ist natürlich nur sekundär ein Kinderthema, denn die Kita-User selbst kennen das Szenario nur aus der Frontberichterstattung beim Abendbrot, sind aber, wie aus langjähriger Empirie beteuert werden kann, gerade deshalb brennend interessiert an den geheimnisvollen Geschehnissen.

So funktionieren Deine Freunde letztlich wie ein Animationsfilm von Pixar, bei dem ja auch immer sorgfältig darauf geachtet wird, dass dem Elternpublikum genauso viel geboten wird wie der eigentlichen Zielgruppe.

Man möchte den sympathischen Helikopterfreunden glauben, dass es ihnen dabei weniger um Gewinnmaximierung und mehr um ein gemeinsames Familienerlebnis geht. Das jedenfalls wird „Helikopter“ samt der folgenden – sich schon jetzt beängstigend schnell ausverkaufenden – Tour im nächsten Frühjahr sicher sein. Wir summen dazu leise mit geballter Faust in der Tasche vor uns hin: „Elternvertreterwahl in der Kita – ein Mal, nie wieder!“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.