taz-adventskalender
: Ein Star aus Galizien

„Da geht ein Mensch“. Autobiografischer Roman. Alexander Granach, 2007, btb, Taschenbuch, 384 Seiten, 10 Euro

Wer etwas über Berlin lesen will, hat viel Auswahl. Die schönsten Schriftstücke stellt die taz bis Weihnachten täglich vor. Und es geht nicht nur um Bücher!

Dieses Buch erzählt nur zum Teil von Berlin. Dafür erzählt es in diesem Teil von einem Berlin, an das heute fast nur noch kleine, in Gehwege eingelassene glänzende Steine erinnern: vom jüdischen Berlin in den Zeiten vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Und von Dingen, die Berlin bis heute prägen und beschäftigen: von Einwanderung, von Flucht und Vertreibung, von Armut und Ruhm, Erfolg und Misserfolg.

Der da erzählt, erzählt über sein eigenes Leben: Alexander Granach wurde 1890 in Galizien geboren, dieser sagenumwobenen Gegend, die heute teils zu Polen, teils zur Ukraine gehört, damals ein Vielvölkergebiet zwischen Vielvölkerreichen, Österreich-Ungarn im Süden, im Norden Russland. Dort wächst der Sohn einer jüdischen Bäckerfamilie in bitterer Armut auf – einer Armut, in der die jüngeren der neun Kinder (man sieht auch alte Fotos in dem Buch) sich im Winter ein Paar Stiefel teilen: „Und ein Recht darauf hatte nur, wer was Nützliches fürs Haus tat, wie Wasser holen mit dem Handschlitten, auf dem das Fass befestigt war, oder Holz hereinbringen zum Heizen, oder einen Gang zu einer der jüdischen Familien machen, um etwas zu leihen oder zurückzubringen.“ Aus diesem Galizien, wo Polnisch, Ukrainisch, Jiddisch und Deutsch gesprochen wird, kommt Granach, der erst Bäcker lernt und später als Bordellaufseher arbeitet, als Sechzehnjähriger nach Berlin. Er hat nämlich in Lemberg, dem galizischen New York, ein Theaterstück gesehen und seine Bestimmung gefunden. Aus dem Bäckerjungen soll, muss ein Schauspieler werden: “In drei kurzen Stunden ein ganzes Leben! Mehrere Leben! Welch eine große, wirkliche, überwirkliche Wirklichkeit!“

Wie er dann nach Berlin gelangt, ist auch so eine wilde Geschichte – dort angekommen, fühlt sich der junge Mann jedenfalls wiederum an Lemberg erinnert: „Juden gingen umher, gekleidet wie in Galizien, Rumänien und Russland. Die Frommen hatten verschiedene Gebetshäuser, nach ihren Sekten, ihren Rabbis benannt. Da gab es Zionisten aller Schattierungen, Sozialrevolutionäre, Sozialisten und Anarchisten.“ Denn auch Berlin ist schon damals New York. Und der junge Galizier, der Schauspieler werden will, wird ein Teil der Geschichte dieser Stadt.

Denn er wird tatsächlich ein Star, lernt bei Max Reinhardt, dreht später mit Murnau Nosferatu und tritt neben Greta Garbo auf. Und muss Deutschland 1938 als Flüchtling wieder verlassen, um – mit der Hilfe des Schriftstellers Lion Feuchtwanger – doch noch ins echte New York auszuwandern, wo Alexander Granach 1945 stirbt. Alke Wierth

Berlin-Faktor: vom Bordstein bis zur Skyline

Taugt als Weihnachtsgeschenk für: alle, die wissen wollen, wo dieses Galizien war

Kunden, die das kauften, kauften auch: Murnaus „Nosferatu – Symphonie des Grauens“