Zurechnungsfähig

NORWEGEN Der Massenmörder Anders Breivik ist nicht wahnsinnig, sondern rechtsextrem. Daher ist er für seine Tat verantwortlich, urteilt ein Gericht. Er muss für 21 Jahre in Haft

„Von allen denkbaren Urteilen das am wenigsten zweifelhafte“

JAN KJÆRSTAD, SCHRIFTSTELLER

VON REINHARD WOLFF

STOCKHOLM taz | Lächelnd und offenbar zufrieden nahm der norwegische Terrorist Anders Behring Breivik am Freitag den Urteilsspruch des Amtsgerichts Oslo entgegen. „Idømmes til forvaring“ – Verurteilung zu einer Haftstrafe – war der entscheidende Satz von Richterin Wenche Elizabeth Arntzen: Der Mörder von 77 Menschen sei nach einstimmiger Überzeugung des Gerichts zum Tatzeitpunkt zurechnungs- und damit schuldfähig gewesen. Die Folge: 21 Jahre Haft, die Höchststrafe, die das Strafrecht Norwegens kennt.

Vom Gericht als „grundlos“ abgewiesen wurde damit nicht nur Breiviks eigener Antrag, mit dem er Freispruch gefordert hatte, weil er bei seinem „präventiven Angriff“ in „Notwehr“ „für mein Volk, meine Kultur, meine Religion, meine Stadt und mein Land“ gehandelt habe. Die RichterInnen folgten auch nicht dem Antrag der Staatsanwaltschaft, den 33-jährigen in eine geschlossene psychiatrische Anstalt einzuweisen, weil nicht mit hinreichender Sicherheit von seiner Zurechnungsfähigkeit ausgegangen werden könne.

„Breivik wusste, dass es Wahnsinn war, Menschen zu töten, aber er entschloss sich, es wegen der politischen Situation dennoch zu tun“, hatte sein Verteidiger Geir Lippestad gesagt und auf Haft statt Einweisung in die Psychiatrie plädiert: „Für ihn heiligte das Ziel die Mittel.“

Im Ergebnis schloss sich das Gericht nun dieser Argumentation an. Zwar hatte das rechtspsychiatrische Gutachten bejaht, dass Breiviks Weltbild so sehr durch krankhafte Wahnvorstellungen geprägt sei, dass er unzurechnungsfähig sei. Die Richterin aber kam zu einem anderen Ergebnis. Danach beruht Breiviks Weltbild auf rechtsextremen politischen Anschauungen. Darauf beruhend habe Breivik eine Handlungswahl getroffen, für die er verantwortlich sei. Es sei prinzipiell bedenklich, einem Gesetzesbrecher die Schuldfähigkeit abzusprechen, da Strafe auch einen Weg zurück in die Gesellschaft bieten solle.

Anders als bei der in und außerhalb des Gerichts höchst kontrovers diskutierten Frage der Zurechnungsfähigkeit konnten sich die RichterInnen, was den Tathergang selbst angeht, auf gesichertem Boden bewegen. Breivik war hierzu in vollem Umfang geständig. Seine Autobombe hatte am 22. Juli 2011 im Regierungsviertel von Oslo 8 Menschen getötet. Das von ihm in dem Jungsozialistenferienlager auf der Insel Utøya veranstaltete Massaker kostete 69 Menschenleben. Zeitweise Tränen in den Augen hatte Richterin Arntzen bei der stundenlangen Verlesung der Einzelschicksale der Opfer – die jüngste der von Breivik Ermordeten war ein gerade 14 Jahre alt gewordenes Mädchen.

Erste Reaktionen auf das Urteil waren positiv. „Mutig“ nannte der Rechtspsychiater Arne Thorvik das Gericht: „Es hat unterstrichen, dass Sachverständige nur Ratgeber des Gerichts sind, das in seiner Entscheidung souverän ist.“ Von einem „guten Job“ sprach Trond Henry Blattmann, Vorsitzender der „22.-Juli-Selbsthilfegruppe“. „Bei allem Zweifel, den es an Breiviks psychischem Zustand gibt, ist von allen denkbaren zweifelhaften Urteilen dieses am wenigsten zweifelhaft“, äußerte der Schriftsteller Jan Kjærstad.

Vereinzelt wurde auch Kritik laut: Das Gericht habe sich dem Druck der Medien und den Erwartungen der Öffentlichkeit gebeugt. Breivik hatte erklärt, er werde ein Urteil, das ihn als zurechnungsfähig einordnet, nicht anfechten. Nach Informationen der Tageszeitung Aftenposten will auch die Staatsanwaltschaft auf eine Berufung verzichten.