So viel zu verteilen, aber …

Am Donnerstag geht es im Abgeordnetenhaus um den neuen Haushalt. Da geht es auch um widerstreitende Interessen, selbst wenn man sich im Prinzip sogar einig ist. Vier Stichproben

Hier sind bei den Verteilungsfragen tatsächlich alle zufriedengestellt. Die Füllhörner der Natur sorgen reichlich dafür, dass wirklich keiner zu kurz kommt. Ein Fest. In der Gemäldegalerie ist es zu sehen. Hätte Jan Brueghel (der Jüngere) aber den Berliner Landeshaushalt zum Thema gehabt, hätte er das bestimmt anders und weniger beglückt gemalt als sein „Fest des Bacchus“ Foto: mauritius images

Wunschpaket Am Donnerstag liegt er dem Abgeordnetenhaus zur Entscheidung vor: der Haushaltsplan von Berlin für 2020/2021. Aber wie kommen die vielen Milliarden Euro, 63 diesmal insgesamt, in den gut 3.000 Seiten dicken Plan? Der Weg dorthin beginnt zu Jahresbeginn in den Senatsverwaltungen und ihren Haushaltsabteilungen. Sie sammeln Forderungen und Vorschläge. Die gehen im Frühjahr als Wunschpaket an die Senatsverwaltung für Finanzen. Die schaut sich das an und rechnet, wie viel davon mit den erwartbaren Steuereinnahmen plus dem Geld aus dem Länderfinanzausgleich zu bezahlen ist – und streicht nötigenfalls.

Entwurf Im Finanzressort entsteht dann der Entwurf des Gesamthaushalts, der in Berlin ein Doppelhaushalt für zwei Jahre ist. Über diesen Entwurf entscheidet der Senat üblicherweise im Juni. Nach der parlamentarischen Sommerpause geht der Entwurf ins Abgeordnetenhaus: Denn nicht die Regierung, sondern das Parlament entscheidet über die Finanzen. In der Praxis allerdings ändern die Parlamentarier meist weniger als 5 Prozent des gesamten Haushaltsvolumens.

Entscheidung Beschlossen wird der Haushalt üblicherweise nach dreimonatigen Beratungen im Dezember. Sind nach diesem Beschluss unerwartete Mehrausgaben nötig, reicht es oft, wenn der Hauptausschuss Geld umschichtet. Ist der Betrag aber zu groß, kommt es zu einem Update, dem Nachtragshaushalt. (sta)

Der Umfang 31.084.490.500 und 32.348.881.800. So viele Euros umfasst der Etat des Landes Berlin für das nächste und das übernächste Jahr. Das sind rund 3 Prozent mehr als im aktuellen Haushaltsjahr. Den größten Posten machen mit rund 17 Milliarden Euro jährlich die Sachausgaben aus, also alles vom Bleistift bis zur Kinderbetreuung und sonstigen Sozialausgaben. Gut 10 Milliarden, also knapp ein Drittel, sind für das Personal des Landes fällig.

Die Investitionen Für die Investitionen – etwa Schulen ausbauen, Brücken reparieren, Wohnungen kaufen – sind im nächsten Jahr 2,4 Milliarden Euro vorgesehen, im übernächsten sogar rund 2,8 Milliarden. Das ist rund eine Milliarde mehr als noch 2018 und damit eine Verdoppelung der Investitionen binnen drei Jahren.

Im Einzelnen Im Ranking der elf Senatsverwaltungen hat das Ressort für Bildung, Jugend und Familie mit über 4,5 Milliarden Euro den größten Einzelhaushalt, gefolgt vom Regierenden Bürgermeister mit dem bei ihm angesiedelten Wissenschaftsressort (mit den Hochschulen und der Charité) und der Innen- und Sportverwaltung mit jeweils 2,5 bis 2,6 Milliarden Euro. (sta)

Oft hakt es im Kleinen

Auch wenn der Wille prinzipiell da ist: Wie schwierig es ist, neue Aufgaben im Regelsystem zu verankern, zeigt die von der Koalition gewollte Verbesserung der psychosozialen Versorgung von Geflüchteten

Von Susanne Memarnia

Der interessanteste Teil von Haushaltsverhandlungen spielt sich im Kleinen ab. Hier können PolitikerInnen Prioritäten setzen, hier sieht man, wie schwierig es ist, zusätzliches Geld für als wichtig erachtete Vorhaben locker zu machen. Der Bereich Integration etwa hat im neuen Doppelhaushalt einen jährlichen Etat von rund 423 Millionen Euro, davon geht der größte Batzen (rund 390 Millionen) in fixe Kosten für die Unterbringung von und Leistungen für Geflüchtete.

Gleichzeitig wurden seit der sogenannten Flüchtlingskrise viele neue Strukturen aufgebaut, die nun, wo die Ankunftszahlen sinken und aus Geflüchteten peu à peu MitbürgerInnen werden, wieder abgebaut werden sollen. Ohne Verlust geht dies freilich nur, wenn die Regelangebote für alle BerlinerInnen – beziehungsweise für den wachsenden migrantischen Teil unter ihnen – ausgebaut werden. Was sich Rot-Rot-Grün unter dem Stichwort „Interkulturelle Öffnung der Gesellschaft“ ohnehin vorgenommen hat.

Wie komplex die Gemengelage ist, zeigt folgendes Beispiel: Nachdem im Flüchtlingssommer 2015 auf dem Lageso-Gelände Tausende Menschen unter chaotischen Umständen auf Versorgung warteten, gründeten PsychologInnen und ÄrztInnen, zunächst ehrenamtlich, die „Clearingstelle für traumatisierte Geflüchtete“ an der Charité.

Diese bundesweit einzigartige Anlaufstelle wird bis heute von monatlich gut 200 Geflüchteten mit akuten Krisen, Stress- oder Traumafolge-Symptomen aufgesucht. Dennoch soll sie zum Jahresende schließen – laut Integrationsverwaltung, weil der Vertrag mit der Charité endet und die Räume nicht mehr zur Verfügung stehen.

Die Frage ist: Werden nun die Regelstrukturen entsprechend gestärkt, damit sie den Verlust ausgleichen können?

Ja, sagt die Integrationspolitikerin Bettina Jarasch von den Grünen. Zum einen gebe es nun einen „Notfallfonds“ von 100.000 Euro pro Jahr für die Erstattung von Dolmetscherkosten – bislang eine schier unüberwindliche Hürde für die Behandlung von Flüchtlingen respektive MigrantInnen bei niedergelassenen Therapeuten oder in den Psychiatrischen Institutsambulanzen (PIA). Zudem sollen die auf traumatisierte und psychisch erkrankte Geflüchtete spezialisierten Kompetenzzentren Xenion und Zentrum Überleben 750.000 Euro zusätzlich pro Jahr bekommen, um ihre Fachstellenarbeit im Rahmen des Berliner Netzwerks für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge (BNS) weiter auszubauen. Auch sei es „in letzter Sekunde“ gelungen, die geplante Kürzung von Mitteln bei den bezirklichen Kontakt- und Beratungsstellen zurückzunehmen, die in Flüchtlingsheimen besonders zur Suchtproblematik beraten.

Jarasch sagt daher: „Insgesamt haben wir die Versorgung von traumatisierten und besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen deutlich gestärkt.“

Bedarfsgerechte Versorgung

Dietrich Koch, Leiter von ­Xenion, sieht ebenfalls einen Schritt in die richtige Richtung getan, aber das Ziel bedarfsgerechter Versorgung sei noch lange nicht in Sicht. Zwar sei es richtig, die Clearingstelle zu schließen, „denn die Zeit der Notversorgung ist vorbei“. Aber Regel­angebote wie die PIAs, sofern sie sich für die Behandlung von Geflüchteten qualifiziert hätten, seien großenteils schon jetzt überlastet. Zudem sei der „Notfallfonds“ für Sprachmittler mit 100.000 Euro pro Jahr für ganz Berlin viel zu klein, und gerade die PIAs oder Niedergelassene in ihren Praxen könnten davon nicht einmal profitieren.

Und noch etwas ärgert den Psychologen, der seit Jahren dafür kämpft, dass Berlin die EU-Richtlinie zur Unterstützung besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge umsetzt. Zwar gibt es nun erstmals Geld, mit dem das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten direkt im Ankunftszentrum eine Stelle einrichten wird, die solche Schutzbedürftigen identifizieren soll. Aber: Das Projekt im Umfang von 400.000 Euro pro Jahr muss erst ausgeschrieben werden. Für Koch eine unnötige Verkomplizierung: „Der geplante Beginn zum 1. Januar rückt damit in weite Ferne. Die zu erwartende Versorgungslücke nach Schließung der Clearingstelle wäre vermeidbar gewesen.“

Jarasch hat sich das von der Verwaltung erklären lassen: Weil Berlin laut EU-Richtlinie zur frühzeitigen Identifizierung von besonders Schutzbedürftigen verpflichtet ist, sehe die Verwaltung das als „hoheitlich-staatliche Aufgabe“, die nach Vergabegesetz ausgeschrieben werden müsse. Ihr Trost: „Immerhin tun wir dann endlich, wozu wir eigentlich seit Jahren verpflichtet sind.“

Ganz große Zahlen

Zielvorgaben lassen sich im Haushalt durchaus mit Zahlen belegen: Um die versprochene Verkehrswende auch wirklich voranzutreiben, wurde beim Aufgabenbereich Verkehr im neuen Etat deutlich zugelegt. Aber um alle Wünsche zu erfüllen, reicht das noch lange nicht

So aus dem Vollen zu schöpfen, muss einfach ein glücklicher Reigen sein. Ausschnitt aus Jan Brueghels „Fest des Bacchus“

Von Claudius Prößer

Rund 1,47 Milliarden Euro für das Jahr 2020 und 1,53 Milliarden Euro für das Jahr 2021 – der Aufgabenbereich „Verkehr“ des kommenden Doppel-Etats ist deutlich besser ausgestattet als im Vorgängerhaushalt. In den Jahren 2018 und 2019 standen dem Land und den Bezirken – ohne Nachträge – noch 1,34 beziehungsweise 1,40 Milliarden Euro für Schiene und Straße zur Verfügung. Der Zuwachs beträgt damit rund 10 Prozent und liegt klar über dem Zuwachs des Gesamthaushalts. Ganz große Zahlen schreiben die HaushälterInnen bei den sogenannten Verpflichtungsermächtigungen, die es ermöglichen, Ausgaben über einen längeren Zeitraum hinweg zu verplanen: Sie betragen für beide Jahre zusammen satte 19,5 Milliarden Euro.

Das kommt nicht von ungefähr: Rot-Rot-Grün will die Verkehrswende vorantreiben. „Alle BerlinerInnen sollen sagen können: Ich brauche kein eigenes Auto mehr“, lautet bekanntlich die Devise von Senatorin Regine Günther (Grüne). Das spiegelt sich wider in dem zu Beginn dieses Jahres vorgestellten Nahverkehrsplan 2019–2023 mitsamt Bedarfsplanung bis 2035. Für massive Investitionen in die Fuhrparks von Bus, Tram, U- und S-Bahn, aber auch eine Ausweitung von Fahrplänen und Strecken hat die Senatsverwaltung einen Finanzrahmen von rund 28 Milliarden Euro eingeplant. Im Schnitt über den gesamten Zeitraum wären das jährlich 1,76 Milliarden Euro für den ÖPNV, in den kommenden beiden Jahren sind es bereits 1,23 beziehungsweise 1,30 Milliarden.

Mehr Geld braucht es dabei nicht nur, weil das Angebot verdichtet, das Schülerticket aus der Landeskasse übernommen wird und die Busse künftig elektrisch fahren sollen (derzeit noch rund doppelt so teuer wie konventionelles Dieselverbrennen). Es muss vor allem in die Substanz investiert werden, was in den vergangenen beiden Jahrzehnten auf sträfliche Weise vernachlässigt wurde – die Engpässe im U-Bahnverkehr waren spätestens in diesem Jahr nicht mehr zu übersehen. Außerdem sollen die Wagen der S-Bahn künftig nicht mehr dem oder den privaten Betreiber(n), sondern dem Land gehören. Auch das schlägt gehörig zu Buche.

Die Mittel für den Erhalt und Ausbau der Straßen – und hier ganz besonders für mehr und sicherere Radverkehrsinfrastruktur – machen gerade einmal ein Zehntel des ÖPNV-Budgets aus. Allerdings war hier der prozentuale Zuwachs noch stärker: Im Vergleich zu 2018/19 haben die Mittel um rund 30 Prozent zugelegt.

„Wir können mit diesem Haushalt unsere Verkehrspolitik gut fortsetzen“, findet Harald Moritz, verkehrspolitischer Sprecher der Grünenfraktion. Gerade bei den Punkten Verkehrssicherheit an Kreuzungen, bei Ampelanlagen und beim Thema Barrierefreiheit habe man in den letzten Verhandlungsrunden „überall noch was draufgelegt“, außerdem Mittel für eine Machbarkeitsstudie zur teilweisen Deckelung der Stadtautobahn A 100. „Wir hätten allerdings gerne noch mehr Personal gehabt, weil der Mittelabfluss oft daran hapert“, so Moritz, „da konnten wir uns leider nicht ganz so durchsetzen.“

Sein SPD-Kollege Tino Schopf, der den Haushalt insgesamt ebenfalls lobt, hat auch einen dicken Wermutstropfen zu beklagen: Um attraktiver für neue ÖPNV-KundInnen zu werden, benötige Berlin eine „moderne und leistungsfähige Infrastruktur“, so Schopf. „Dazu zählt für meine Fraktion neben der Erweiterung des Straßenbahnnetzes auch der Aus- und Neubau des U-Bahnnetzes.“ Die U-Bahn sei dreimal leistungsfähiger als Bus und Tram, stehe nicht im Stau und fahre nahezu klimaneutral. Ja, U-Bahn-Bau koste Geld, räumt Schopf ein. „Aber wenn ich Menschen dazu bewegen möchte, ihr Auto stehen zu lassen und auf die Schiene zu setzen, ist es eine sinnvolle Investition in die Zukunft.“

Echte Teilhabe kostet mehr als 10 Millionen Euro

Geld ist gut und schön. Das neue Programm „Berlin Challenge“ soll so Schulenin schwieriger Lage auf Erfolgskurs bringen. Aber Grundsatzfragen können nichtüber den Haushalt entschieden werden

Von Anna Klöpper

Es gibt eine Dauerbaustelle in der Bildungspolitik, sie heißt Teilhabe. Die jüngsten Pisa-Ergebnisse diese Woche haben mit leider schon gewohnt schockierender Deutlichkeit gezeigt, dass sich da einfach verdammt wenig tut, im Gegenteil: Die Herkunft wird wichtiger, und wenn das Schulsystem irgendwo besser wird, dann darin, Kinder zu selektieren. Hier die, die dank solventem und bildungsfixiertem Elternhaus alle Möglichkeiten haben. Dort die anderen.

Insofern muss sich natürlich gerade eine rot-rot-grüne Koalition wie die im Berliner Abgeordnetenhaus fragen lassen, was sie gegen diese Dauerbaustelle tut. Und ob sie etwas tut.

Die Antwort: Sie tut etwas. Aber nicht alles kann man sich mit Geld kaufen.

Da ist zum Beispiel das nagelneue Programm „Berlin Challenge“. 10 Millionen Euro sind dafür im insgesamt rund 9 Milliarden Euro schweren Bildungshaushalt 20/21 vorgesehen, der damit um rund 1,6 Milliarden Euro üppiger ausfällt als im letzten Doppelhaushalt. Die Zielstellung, so steht es in der Begründung für den Haushaltstitel: „Schulen mit hohem Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler bei der Schulentwicklung zu unterstützen.“

Das ist freilich kein neues Ziel, dasselbe versucht das sogenannte Bonusprogramm für „Schulen in schwieriger Lage“ schon seit Längerem – mit mäßigem Erfolg. Eine Begleitstudie kam 2017 zu dem Ergebnis, dass sich zwar das Schulklima durch mehr Schulsozialarbeit und ein Budget für Sonderprojekte aller Art meist positiv verändere. Aber tatsächlich änderte sich an den „harten Zahlen“ zu Schulgewalt, Schulabbrechern und auch an den Ergebnissen der Vergleichsarbeiten an einzelnen Schulen vielleicht ein bisschen etwas, unterm Strich aber nichts.

Deswegen, sagt die SPD-Bildungspolitikerin Maja Lasić, die die „Challenge“ mit verhandelt hat, solle das neue Programm den Schulen auch verbindliche „Entwicklungsziele“ vorgeben: mehr Entlastungsstunden fürs Kollegium, Geld für Sprachförderung etc. gegen endlich mal handfeste Ergebnisse, das soll der Deal sein.

Zwanzig Schulen in Mitte, Neukölln, Spandau und Marzahn-Hellersdorf sollen sich die 10 Millionen teilen, macht 500.000 Euro pro Schule. Die Schulen können sich freiwillig bewerben, als Sozialindikator denke man an eine Größenordnung von rund 70 Prozent SchülerInnen mit Berlin-Pass, sagt Lasić. Die Millionen sind schön, das Programm kann nicht schaden, wird den Schulen vermutlich sogar helfen. Wird es am Grundproblem etwas ändern, dass unser Schulsystem ein selektives ist? Nein.

Aber da sich weder die Sozialdemokraten noch die Grünen ernsthaft trauen, die Gymnasien zugunsten einer Schule für alle infrage zu stellen, muss man die Schulen, die man hat, mit möglichst viel Geld besser machen und die Nebenwirkungen dieses selektiven Schulsystems lindern.

Lasić sagt, es gebe inzwischen „Inseln, die sich der inklusiven Beschulung entziehen“. Sie meint damit „einige Gymnasien“, aber auch die freien Schulen, die einen wachsenden Anteil der Schulplätze in Berlin ausmachen.

Die echte „Berlin Challenge“ ist also eine politische Frage. Oder anders gesagt: Teilhabe ist teurer als 10 Millionen Euro.