Überprüfung der UN-Kinderrechte: Landluft tut Kindern gut

Bei einer Pilotstudie zu Kinderrechten schneidet Hamburg schlecht ab. Bremen liegt in der Mitte, Schleswig-Holstein und Niedersachsen sind vorn.

Ein Kind schaukelt vor blauem Himmel im Sonnenlicht

Freizeit und Erholung tun gut – jedenfalls in den Flächenländern im Norden Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

HAMBURG taz | Die Stadt Hamburg setzt die 1989 in einer UN-Konvention verankerten Kinderrechte „unterdurchschnittlich“ um und steht damit unter den Nordländern am schlechtesten da. Das ist das Ergebnis einer „Pilotstudie“, die das Deutsche Kinderhilfswerk herausgebracht hat. Niedersachsen und Schleswig-Holstein gehören zur Gruppe der fünf „überdurchschnittlich“ abschneidenden Länder. Bremen und Mecklenburg-Vorpommern „liegen im Durchschnitt“.

Eigentlich hätten alle Bundesländer Nachbesserungsbedarf, schreiben die Autoren Tim Stegemann und Nina Ohlmeier, die sich auf öffentlich zugängliche Daten und Umfrage unter Kindern und Eltern stützen.

Die Vereinten Nationen gingen 1989 davon aus, dass Kinder ihre Rechte nicht im gleichen Maße durchsetzen können wie Erwachsene und sie deshalb besondere Formen der Unterstützung und eigene Rechte brauchen.

Für den nun vorliegenden „Kinderrechte-Index“ orientieren sich die Forscher am Vorgehen anderer Staaten wie Schweden und wählten fünf dieser „Rechte“ aus: auf Beteiligung, auf Gesundheit, auf angemessenen Lebensstandard, auf Bildung sowie auf Freizeit und Erholung. Für deren Messung wiederum legte man 64 „Indikatoren“ fest, nach denen in 16 „Ländersteckbriefen“ für jedes Land Stärken und Schwächen aufgelistet wurden.

Beteiligung

Beim Recht auf Beteiligung in allen das Kind betreffenden Angelegenheiten schneiden außer Bremen, das hier im Durchschnitt liegt, alle Nordländer gut ab. In allen vier Ländern gibt es ein Wahlrecht ab 16 Jahren, in Niedersachsen allerdings nur bei Kommunalwahlen. Und Bei der tatsächlich wahrgenommenen Mitbestimmung von Kindern in der Schule hat Bremen den zweitniedrigsten Wert, Hamburg den drittniedrigsten. Niedersachsen hat zwar eine Kinderkommission im Landtag, aber keine Vorgaben zur Kinderbeteiligung in der Verfassung. Hamburg, Schleswig-Holstein und Bremen wird das Fehlen einer solchen Kinderkommission angekreidet.

Gesundheit

Was die Gesundheit von Kindern angeht, liegen Bremen, Hamburg und Niedersachsen über dem Durchschnitt, Schleswig-Holstein im Mittelfeld. Bremen hat mit 14,1 Kinderärzten auf 100.000 Einwohner die beste Versorgung, gefolgt von Hamburg mit 11,5 auf 100.000. In Niedersachsen und Bremen sitzen die meisten Kinder nach Selbsteinschätzung weniger als acht Stunden täglich auf Stühlen.

In Schleswig-Holstein schätzen 88 Prozent der Kinder ihren Schulweg als sicher ein. Allerdings verunglückten 2017 357 Kinder auf 100.000 Einwohner – bundesweit der höchste Wert, gefolgt von Bremen mit 349 auf 100.000.

Bildung

Bei der Bildung liegen die beiden Nord-Flächenländer vorn und die beiden Stadtstaaten unterm Durchschnitt. Bremen gibt nur 1,59 Prozent der eigenen Wirtschaftsleistung für Schule aus, der niedrigste Wert im Ländervergleich. Und 8,9 Prozent der Schüler bleiben ohne Abschluss, der drittschlechteste Wert bundesweit. Die Schüler stimmen Aussagen zur Chancengleichheit unterdurchschnittlich oft zu.

In Hamburg stimmen Schüler diesen Aussagen sogar am seltensten zu. Die Stadt gibt gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung am zweitwenigsten für Bildung aus. In Niedersachsen machen mit einem Verhältnis von eins zu drei viel weniger ausländische als deutsche Schüler Abi­tur, für geflüchtete Kinder in Erstaufnahmeeinrichtungen gilt nicht einmal Schulpflicht. Und Schleswig-Holstein hat laut der Studie mit eins zu 15,5 die schlechteste Lehrer-Schüler-Relation.

Ruhe und Erholung

Auch hier schneiden Schleswig-Holstein und Niedersachsen gut ab. In Schleswig-Holstein bewerten Eltern und Kinder das Angebot für Spielplätze und Rückzugsräume an den Schulen positiv. In Niedersachsen haben Kinder nach eigener Wahrnehmung viel Ruhe und Freizeit. Nur fehlten im Landesrecht die Standards für Rückzugsorte von geflüchteten Kindern in Unterkünften. Die fehlen laut Studie auch in Hamburg in Bremen. Dort haben die Kinder nach eigener Wahrnehmung wenig Ruhe und Freizeit, Hamburg kommt in dieser Frage bundesweit gar auf den schlechtesten Wert.

Hamburg hat mit 2,8 Einrichtungen der offenen Jugendarbeit zwar das zweitgrößte Angebot dieser Art bundesweit. Doch werden die am mickrigsten finanziert, seit es Ganztagsschulen gibt. Die Rückzugräume an Schulen indes bewerten Hamburgs Kinder auch bundesweit am schlechtesten.

Lebensstandard

Auch beim Recht auf „angemessenen Lebensstandard“ für die körperliche, seelische, geistige, sittliche und soziale Entwicklung liegt Hamburg unter dem Durchschnitt, Bremen in der Mitte und die beiden Flächenstaaten vorn. Die letzteren fördern zum Beispiel Erholungsurlaube für ärmere Familien.

Die Pilotstudie des Kinderhilfswerks kommt erstmals der Forderung der Vereinten Nationen nach, die Kinderrechte durch ein Monitoring zu überprüfen. Auf 340 Seiten wird die Lage der 13,6 Millionen Kinder unter 18 Jahren mit 64 Indikatoren untersucht.

Dazu gab es eine Umfrage unter 3.182 Kindern und Eltern. Nur 19 Prozent der Kinder und 23 Prozent der Eltern kennen die Kinderrechte gut. Nur zwei Prozent der Kinder werden bei kommunalen Angelegenheiten oft beteiligt.

Spielplätze nutzen nur sechs Prozent häufig, Parks nur zwölf Prozent, Jugendklubs nur fünf Prozent. Als Grund dafür nannten sie, dass es kein Angebot für ihr Alter gebe oder es nicht gefalle.

Bremen dagegen hat mit 27,5 Prozent die meisten von Armut gefährdeten Kinder bundesweit. Direkt danach kommt Hamburg mit einer Armutsgefährdungsquote von 25,4 Prozent. Doch während die neue Bremer Koalition aus SPD, Grünen und Linken die Bekämpfung der Kinderarmut zum Regierungsziel erklärte, ist sie im rot-grünen Koalitionsvertrag in Hamburg nicht als „explizites Ziel“ enthalten.

Hamburg sollte das schlechte Abschneiden als „Herausforderung“ begreifen, sagt der Soziologe Wolfgang Hammer, der die Studie im Beirat begleitet hat. Da die reiche Stadt mehr Möglichkeiten habe, müsse sie ab sofort mehr für die Kinderrechte tun. Auch die linke Jugendpolitikerin Sabine Boeddinghaus nennt die Lage „ernüchternd“.

Der Sprecher der Schulbehörde, Peter Albrecht, hingegen sagt: „Wir teilen die Wertung des Kinderhilfswerks in den allermeisten Punkten nicht.“ Unter anderem fehlten die Erwähnung kostenloser Ganztags- und Ferienangebote. Auch die inzwischen herrschende Lernmittelfreiheit berücksichtigt die Studie nicht.

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