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Lyrischer Titan

Worte und Witze als Waffen: Der Satiriker Moritz Hürtgen führt in seinem Gedichtbändchen „Angst vor Lyrik“ die Populisten und Kleingeister vor

Moritz Hürtgen, Leonard Riegel: „Angst vor Lyrik“. Kunstmann Verlag, München 2019, 144 Seiten, 16 Euro

Von Jens Uthoff

Eine Schatulle öffnet sich auf dem Cover, eine Wolke entströmt ihr, darauf ist der Titel des hübsch illustrierten Bändchens zu lesen: „Angst vor Lyrik“. Und eins dürfte sicher sein: Wer die 102 miniaturartigen Gedichte von Moritz Hürtgen gelesen hat, der wird feststellen, dass die titelgebende Angst in diesem Fall völlig unbegründet ist.

Moritz Hürtgen, das sollte man wissen, ist Chefredakteur des Satiremagazins Titanic, er hat erfolgreich sein Studium abgebrochen, „Angst vor Lyrik“ ist seine erste Buchveröffentlichung. Die Gedichte widmen sich allesamt Ängsten vor etwas Bestimmtem, zum Beispiel vor „… dem Terror“, „… Deutschland“ oder „… Ausländern“. Es sind, das deuten die Beispiele an, Gedichte politischer und satirischer Natur, geschult an den alten Meistern des Genres wie Kurt Tucholsky oder Robert Gernhardt.

„Angst vor Lyrik“ setzt sich so erkennbar mit dem gesellschaftlichen Rechtsruck auseinander, Hürtgen setzt Worte und Witz dabei auf sehr feine Art und Weise als Waffe ein. In „Angst vor Überfremdung“ dichtet er: „Sperr dich ein, o deutscher Christ! / Mach das Licht aus, geh zu Bette/ Morgens, wenn du sicher bist / Wecken dich die Minarette“. In „Angst vor dem Genderwahn“ heißt es dagegen lautmalerisch: „Das ganze Land, es ist von Sinnen / Schuld sind die Linksfaschist- äh. Innen / Mit Binnen-I und Männerdutt / Haun sie die deutsche Sprache putt“. Das ist zuweilen große Kunst, wie Hürtgen hier die Rassisten und Engbestirnten dieses Landes mit nur wenigen Versen vorführt.

Nicht minder pointiert sind die Gedichte zu Themen wie Impfgegnern oder Tempolimits – ganz besonders aktuell übrigens der Achtzeiler „Angst vor Funklöchern“, der mit einer für Hürtgen typischen Volte endet: „Null Netzbalken von bis zu fünf / Gereichen sehr zum Schaden: / Das Online-Reime-Lexikon / Will einfach nicht mehr aufgehn“.

Ein humoristischer Ansatz wie der Hürtgens ist in der deutschen Gegenwartsliteratur, in der nicht selten bleierne Schwere und Pathos regieren, kaum zu finden, allein deshalb ist dieser Band so wohltuend und erfrischend. Auch über reichlich Selbstironie – noch so eine Eigenschaft, die man in deutscher Literatur und Lyrik viel zu selten findet – verfügt der Autor, wie Gedichttitel wie „Angst vor sich selbst“ exemplarisch zeigen. Zudem überzeugt er mit Sprachgefühl und dichterischer Sattelfestigkeit: Alle Reime sitzen, da klingt nichts schief oder falsch.

Toll in Form sind nicht nur die Gedichte, auch die Illustrationen sind durchweg gelungen. Die Abbildungen sind zudem gut gesetzt, das „Angst vor Höhe“-Gedicht etwa wird von einem Sprungturm gesäumt. Der Vierzeiler „Angst vor der Finsternis“ erscheint dagegen handgeschrieben auf einer pechschwarzen Doppelseite. Das Spiel mit dem Format fällt auch im Glossar auf, da taucht unter L plötzlich noch das Kurzgedicht „Angst vor Listen“ auf, in dem es heißt: „In jeder Liste sucht dich heim /’ne böse Überraschung / Hier ist es nur ein schlechter Reim / Doch der hat sich gewaschung“. Es ist auch diese herrliche Albernheit, die Moritz Hürtgens Buch zum perfekten Geschenkbüchlein macht.