Kinderbücher zum Verschenken: Oma, wo hast du dich versteckt?

Von Museumsbesuchen und Erlebnisräumen: Bücher von Nikolaus Heidelbach, Jan Bajtlik, Josephine Angelini, Anouck Boisrobert und Louis Rigaud.

Kinder in einer öffentlichen Bibliothek in Erfurt

In einer Stadtteilbibliothek in Erfurt Foto: Martin Schutt/dpa

Ich weiß noch gar nicht, ob ich auf Museum Lust habe“, denkt Alma. Doch ihre resolute Großmutter ist an diesem Morgen nicht zu bremsen. Pinsel und Stift stecken senkrecht im grauen Haarknoten der stilbewussten Künstlerin: „Für einen vernünftigen Museumsbesuch braucht man drei Dinge. Erstens die richtigen Schuhe, zweitens gute Augen und drittens genug Zeit. Hast du ­alles?“

In Nikolaus Heidelbachs jüngstem Bilderbuch „Alma und Oma im Museum“ erkunden sie auf ganz eigene Art die Mittelalter-Abteilung im Kölner Wallraf-Richartz-Museum. Im Partnerlook mit moosgrünen Strumpfhosen bekleidet, betreten die beiden den Fahrstuhl, der sie zu den Werken der alten Meister bringen soll.

Wie das Mädchen Rosa in „Der Aufzug“, einem der schönsten Bilderbücher Heidelbachs von 1993, drückt Alma mit ihrem roten Nagellack-Finger den Fahrstuhlknopf, der sie in eine andere Welt führen wird. Schnell raunt Oma der Enkelin noch ein paar seltsame Anweisungen zu, dann trennen sich ihre Wege in der Ausstellung. Doch über einen Funkkopfhörer werden sie in Verbindung bleiben.

In „Alma und Oma im Museum“ verschmelzen die Reproduktionen der Kölner Originalgemälde nahtlos mit Heidelbachs Illustrationen. Die religiösen Darstellungen, die von Teufeln, Drachen und Grausamkeiten wimmeln, liefern dem preisgekrönten Zeichner, der in seinen Kinderbüchern stets eine fragile Balance zwischen Humor und Schrecken austariert, willkommene Bildsujets für die anregende Auseinandersetzung seiner Protagonisten mit den Exponaten.

„Kuckuck“, meldet sich Oma über den Kopfhörer bei Alma und verrät ihr gleich einen nützlichen Trick beim Betrachten der überwältigenden Gemälde. „Man sucht sich etwas Kleines aus und guckt sich das genau an.“ Tatsächlich hatte es die Großmutter geschafft, unentdeckt in eines der Bilder zu springen. Auf neun von sechzehn Bildern ist sie nun versteckt und oft nur winzig klein zu sehen. Trotzdem: Alma findet sie immer.

Zeichnung von Heidelbach: Oma und Kind im Museum

Alma und Oma aus Nikolaus Heidelbach: „Alma und Oma im Museum“ Illustration: Beltz & Gelberg Verlag

Oma und sie machen sich Gedanken über den Einsatz von Farbe, gemalten Botschaften, Taufbecken und zwei linken Händen. Dabei besprechen sie Details nicht nur in Stefan Lochners „Weltgericht“ oder Dürers „Pfeifer und Trommler“. Die Titel der Bilder und die Namen der Maler erwähnt Almas Großmutter nicht. Solche für Erwachsene vielleicht hilfreichen Informationen sucht man in Heidelbachs Buch vergeblich. Das ist sehr sympathisch.

Während Alma im Dialog mit Oma die Ausstellung erkundet, Grimassen imitiert oder mal eine Pause macht, zieht nebenbei eine Schar Besucher durchs Museum. Blässlich, den Menschen auf den mittelalterlichen Gemälden nicht unähnlich, wirken sie zugleich überraschend vertraut und zeitgenössisch – der Typ in Kniebundhosen mit Babytrage genauso wie Vater und Sohn mit Smartphone.

Als sich Oma und Enkelin nach dem Rundgang im Museumscafé endlich belohnen und ein Engel mit der Bestellung an ihren Tisch schwebt, überrascht das Alma nur ein bisschen. Wie gut, dass keiner der mittelalterlichen Dämonen hier Kellner ist.

Vorsicht vor den Zyklopen

Nur dank Ariadnes Wollknäuel gelingt es Theseus, den Weg zurück aus dem Irrgarten des Minotaurus zu finden. Der polnische Illustrator und Typograf Jan Bajtlik hat mit seinem Bilderbuch „Ariadnes Faden. Götter, Sagen, Labyrinthe“ ein spielerisches Kompendium zur griechischen Mythologie geschaffen. Der großformatige Band präsentiert 24 detailreich gezeichnete Labyrinthe, die jeweils als Doppelseite auf verschlungenen Pfaden durch die Vorstellungswelt, die Mythologie und Lebensweise der griechischen Antike führen.

Nikolaus Heidelbach: „Alma und Oma im Museum“. Beltz & Gelberg Verlag, Weinheim 2019, 48 S., 14,95 Euro. Ab 6 Jahre

Jan Bajtlik: „Ariadnes Faden. Götter, Sagen, Labyrinthe“. Aus dem Polnischen von Thomas Weiler. Moritz Verlag, Frankfurt a. M. 2019, 80 S., 24 Euro. Ab 8 Jahre

Josephine Angelini: „Annies Welt. 3 x 3 Gründe, glücklich zu sein“. Aus dem amerikanischen Englisch von Sandra Knuffinke und Jessika Nomina. Dressler Verlag, Hamburg 2019, 224 S., 17 Euro. Ab 10 Jahre

Anouck Boisrobert, Louis Rigaud: „Eins, zwei, drei, die Akrobaten“. Aus dem Französischen von Aggi Becker. Die Gestalten Verlag, Berlin 2019, 18 S., 21,90 Euro. Ab 3 Jahre

So irrt man durch Säulengänge vorbei an den zwölf Arbeiten des Herakles oder sucht den Ausgang aus den trojanischen Schlachtfeldern. Diese verästelte Struktur ermöglicht es je nach Alter und Ausdauer, einen ganz individuellen Zugang zur abenteuerlichen, aber auch komplexen Geschichte der Antike zu finden. Ausführlich und aus einem Guss gestaltet, ergänzen Bajtliks Erläuterungen im hinteren Teil des Buchs mit Hintergrundwissen – zum Stammbaum der Götter, dem Bestiarium oder der Jagd nach dem goldenen Vlies.

Die 10-jährige Annie lebt mit neun älteren Geschwister in Ashcroft, Massachusetts. Entsprechend unübersichtlich geht es in ihrem Haus zu. „Annies Welt“, der Roman der US-amerikanischen Autorin Josephine Angelini, schildert mit dem Blick der jüngsten Tochter den widersprüchlichen Alltag der schwer zu fassenden Familie Bianchi.

Das Miteinander der Geschwister schwankt zwischen liebevoller Fürsorge und handgreiflicher Unterdrückung. Die meist abwesenden Eltern sind strenggläubige Katholiken. Geld ist kaum vorhanden, doch in die außergewöhnlichen Begabungen der Kinder für Mathematik, Musik oder Ballett investieren sie selbstverständlich. Annie ist Legasthenikerin. Ihre Geschwister halten sie für verlangsamt.

Doch mit Freude besucht sie eine Klasse für kreative und hochbegabte Schüler. Denn die Schule verschafft ihr eine kurze Verschnaufpause. Schließlich haben Annie und ihre Geschwister eine schützende Fassade um ihr Elternhaus errichtet.

Rufus rettet die Show

Gemeinsam entwickeln die Pop-up-Künstler Anouck Boisrobert und Louis Rigaud ihre grafisch durchkomponierten Geschichten als faszinierende Erlebnisräume aus Papier. In ihrem neuesten, ­schmal zulaufenden Aufklapp-Buch „Eins, zwei, drei, die Akrobaten“ macht sich eine Artistenfamilie langsam für den großen Auftritt in der dunkelblauen Zirkusmanege bereit.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und bei Facebook und Twitter.

Aufgeregt lugen Lulu und Moritz hinter dem Vorhang hervor, als sich die starke Frau Blüm, Nummer eins der menschlichen Pyramide, in Stellung bringt. Kurze Verse und seitlich platzierte Kommentare begleiten das Geschehen. Mit Trapez und an Ringen schwingen sich auch die übrigen Akrobaten nach und nach auf den dreidimensional entfalteten Aufbau.

Alex und Alexa, Nummer neun und zehn, bilden schließlich die Spitze des fröhlichen Turms in Gelb, Orange, Rosa und Grün. Alles läuft nach Plan, bis Rufus, der rote Kater, die Dramaturgie spontan über den Haufen wirft.

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