Das machtden Kohl nicht fett

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Der Grünkohl ist der Tellerschmuck der deutschen Seele. Kein Wunder, ist er doch von Braunschweig bis ins Oldenburger Land vor allem als Braunkohl bekannt.

Seine Bitterstoffe sind sein Geheimnis. Sein seltsam undefinierbares Aroma hat den Geschmack von Tiefe und Dunkelheit. Auch raunt er mehr, als dass er schmeckt. Sein „Geschmack“ ist wie gemacht dafür, weggeschmeckt zu werden. Wohl deswegen gibt es ihn ja auch nur äußerst selten einfach so. Als reiner Kohl kommt er nie auf den Tisch. Für einen Kopf Kohl werden tonnenweise Rüben, Möhren und Gewürze gebraucht, um dieses Gewächs halbwegs gaumenfähig zu machen. Dazu müssen zwingend krasse Fettflecken gereicht werden, mit sprechenden Namen wie Pinkel, Schweinebacken, Mettenden und Bregenwurst. Man könnte auch einfach ein Vollbad in Schweinefett nehmen. Wozu aber dieses nach Medizin schmeckende Grünzeug?

Auch seine Konsistenz hat weder Hand noch Fuß, ist weder Fisch noch Fleisch. Man muss dem Grünkohl Buchweizengrütze und Haferschleim zuführen, um ihn genießbar zu machen. Und so entsteht eine Beschaffenheit, die so breiig und matschig ist wie die Todesfelder von Flandern im Ersten Weltkrieg.

Grünkohl enthält neben reichlich Vitamin C, wofür man sich aber auch eine schmackhafte heiße Zitrone machen kann, recht viel Vitamin K. Vitamin K? Ein zu Recht völlig vernachlässigtes Zeug namens Phyllochinon, das zur Blutgerinnung gebraucht wird, und das man sich auch mit einem Glas Tee oder Milch zuführt.

Im Norden, dort wo sie sich bis heute an die Kochtraditionen der Weletaben und Wilzen und deren Wurzelspezialitäten halten, verkaufen und exportierten sie den Grünkohl als Delikatesse.

„Es kommt auf die Zubereitung an.“ „Frische und Qualität sind entscheidend.“ „Ein Geschmacksurteil ist auch nur ein Vorurteil …“ Sie kennen das aus anderen Lebensmittel­debatten. Irgendeine Experten- und Könnerschaft wird vorgeschoben, wenn einem das Regio­nalgericht nicht schmeckt und man je nach Handlungsort als Provinzei und bornierte Landratte oder als arrogant städtischer Fastfoodverseucher und Klimaschädling markiert wird.Der Grünkohl aber markiert nur eins: die Demarkationslinie des guten Geschmacks. Doris Akrap