Sie haben einen Plan B

Über 500 Demos in Deutschland, Aktionen in 2.400 Städten auf der ganzen Welt: Eindrücke vom globalen Klimastreik – von blockierten Warenhäusern bis zum Ein-Frau-Protest

Ein Vater mit Kindern bei den Protesten in Sydney Foto: Jason McCawley/getty images

Berlin: Baden und Verbote

Vor dem Bundestag sprang eine kleine Gruppe Hartgesottener am Freitag vor lauter Ungeduld sogar in die kalte Spree: teils in Neoprenanzügen, teils nur im Bikini, forderten 15 Akti­vist*innen des BUND aus dem Wasser heraus sofortige Klimagerechtigkeit.

Weltweit demonstrierten am Freitag vor allem junge Menschen für mehr Klimaschutz, besonders viele davon in Deutschland. Am Brandenburger Tor appellierte der Sänger der Band Seeed, Peter Fox, an die Bundesregierung, Verbote zu erlassen, um das Klima zu retten. Es gebe ja in allen Bereichen des Lebens Regeln, an die man sich halten müsse. „Andernfalls begibt man sich auf das Level der Neander­thaler“, sagte Fox.

Unter den Demonstrierenden befanden sich neben Umweltverbänden auch diverse „Future“-Gruppen, wie Psychotherapists und Scientist for Future. Außerdem demonstrierte das kürzlich von der CDU-Parteizentrale entwendete C mit. „Ich freue mich, in so guter Gesellschaft unter so vielen Gleichgesinnten zu sein“, sagte der Greenpeace-Aktivist, der den Buchstaben abmontiert hatte. Greenpeace will die Union mit der Aktion dazu bringen, Klimaschutz auch als einen christlichen Wert zu verstehen.

In Köln sollten nach Redak­tions­schluss Aktionen zivilen Ungehorsams stattfinden. „Wobei Schulstreik auch eine Form zivilen Ungehorsams ist“, wie ein Sprecher in Berlin anmerkte.

Katharina Schipkowski

Paris: BlockFriday gegen Amazon

In Clichy bei Paris haben Attac und Greenpeace den Geschäftssitz von Amazon Frankreich blockiert. BlockFriday hieß die Aktion gegen den umweltschädlichen Unsinn des „Black Friday“ mit seiner Anstiftung zu unnötigem Konsum. „Amazon ist für ebenso viel Treibhausgasemissionen verantwortlich wie ein Staat“, sagte Jean-François Jul­liard, Chef von Greenpeace Frankreich.

In Saint-Priest bei Lyon ketteten sich Jugendliche von Youth for Climate und Mitglieder von Extinction Rebellion aneinander, um die Zufahrten zu einem Warenlager von Amazon zu blockieren. Die Polizei ging, wie auf Videos zu sehen ist, brutal gegen die gewaltlosen BesetzerInnen vor. In Rennes waren die Eingänge eines großen Warenhauses vorübergehend blockiert, und im Büro- und Businessviertel La Défense, westlich von Paris, demonstrierten im Einkaufszentrum Quatre Temps rund fünfzig Personen mit Spruchbändern gegen die Konsumgesellschaft.

Rudolf Balmer

Wien: Ökologische Sünden

In Wien begannen die Proteste schon am Donnerstagmittag am Ballhausplatz, wo Studierende vor dem Bundeskanzleramt aus Berichten des Weltklimarates vorlasen. Trotz beharrlichen Nieselregens hielten sie bis Mitternacht durch. Am Freitag sammelten sich Zehntausende um 5 Minuten vor 12 vor der Zentrale der Österreichischen Mineralölverwaltung OMV, die vom niederösterreichischen Weinviertel bis Neuseeland unter teils höchst umstrittenen Umständen nach Öl bohrt.

Unterrichtsministerin Iris Rauskala hatte den Schulen freigestellt, im Rahmen eines Projekts die Teilnahme zu erlauben, wenn Lehrpersonen dabei sind. Deswegen erschienen ganze Schulklassen zur Demo. Eine zentrale Forderung an Politik und Wirtschaft lautete, man müsse die Wissenschaft ernst nehmen.

Zur Abschlusskundgebung sprach den neben Vertreterinnen der Fridays-for-Future-Bewegung auch der Grazer Klimaforscher Gottfried Kirchengast. Eines der Anliegen richtete sich gegen den Plan, den Flughafen Wien Schwechat durch eine dritte Piste fit für eine mögliche Zunahme des Luftverkehrs zu machen. Das sei die größte ökologische Sünde. Auch die Wiener Linien warben: „Öffis nützen, Klima schützen!“

Ralf Leonhard

Bangkok: Wenig los

„Klimawandel ist schlimmer als Hausaufgaben.“ „Der Planet wird heißer als ich.“ „Ihr sterbt an Altersschwäche. Ich werde durch den Klimawandel sterben.“ Die Jungs von der privaten alternativen Roong Aroon Schule ließen bei der Fridays-For-Future-Aktion in Bangkok ihren Zorn über den Klimawandel und die Untätigkeit der älteren Generation mit Witz und Sarkasmus freien Lauf.

Allerdings war die Zahl der FFF-Demonstranten am Denkmal für König Phraya Kotama VI. mit rund 80 meist jungen Leuten überschaubar und ging im Heer der Journalisten thailändischer und internationaler Medien fast unter.

Mit 12 Jahren war Khun Prin, abgesehen von ein paar Kleinkindern westlicher Expats, wohl der jüngste Demonstrant. Seine auf ein Stück brauner Pappe geschriebene Botschaft: „Zerstört nicht die Welt.“ Mit der Weltrettung könne jeder zu Hause anfangen, sagte Khun Prin. Seine Landsleute sollten endlich ihrer Liebe zu Plastik den Laufpass geben. Harald Bach

China: Tabus der Regierung

Ausgerechnet in China sind die weltweiten Klimaproteste weitestgehend Tabu. Über Greta und FFF berichten die heimischen Medien kaum. Die Kommunistische Partei reagiert unwirsch auf zivilen Ungehorsam.

Dennoch begann im Frühjahr ein 16-jähriges Mädchen, sich in der Provinzhauptstadt von ­Guizhou mit einem selbst gemalten Protestplakat vor das lokale Regierungsgebäude zu stellen – trotz der Angst, von den Regierungsbeamten abgeführt zu werden. Howey Ou, ein Pseu­donym, wurde nach etwas mehr als einer Woche von Sicherheitskräften abgemahnt. Sie dürfe zwar streiken, aber müsse sich vorher eine Genehmigung einholen.

Studien zeigen, dass sich die chinesische Jugend über Umweltthemen mehr sorgt als jede Generation zuvor. Im internationalen Vergleich ist es aber wenig. Nur ein paar Schulen in Nanjing nahe Schanghai wollten bei den Klimaprotesten am Freitag mitmachen.

Die Erderwärmung bedroht uns alle. Die taz berichtet deshalb künftig noch intensiver über die Klimakrise: von den weltweiten Streiks, den Aktionen von Ende Gelände in der Lausitz und von der UN-Klimakonferenz

Howey Ou macht trotzdem weiter, etwa indem sie Bäume pflanzt. Ihr Wechat-Account ist zwar gesperrt, aber sie postet auf Twitter. Lob bekam sie übrigens von ihrem Idol: „Howey Ou ist eine echte Heldin, wir stehen alle hinter dir“, schrieb Greta Thunberg. Fabian Kretschmer

Ukraine: Für Enteignung

Bei Dauerregen scharten sich in Kiew über hundert meist junge Menschen vor dem Gebäude des Ministerrates um das Plastikskelett eines Dinosauriers. In Sprechchören forderten die Aktivist*innen 100 Prozent erneuerbare Energien und die Enteignung der größten ­Energieholding des Landes, DTEK.

„Ukraine, fang bei dir selbst an“, skandierten die Teil­neh­mer*innen lauthals. Sprecher Artur Sarkisjan warnte vor Umweltflüchtlingen, Hunger und Millionen von Opfern in aller Welt. In der Ukraine würden mindestens 75.000 Menschen ihre Heimat verlieren, wenn der Meeresspiegels ansteigt, sagte Artur Sarkisjan.

Auch in den Städten Odessa, Iwano-Frankiwsk und Charkiw gab es an diesem Freitag Klimastreiks. Bernhard Clasen

Pole: Frieren for Future

Selbst in den abgeschiedenen Weltregionen der Arktis und Antarktis haben sich Forscher den internationalen Klimademonstrationen angeschlossen. Sowohl auf dem arktischen Eis vor dem deutschen Forschungsschiff „Polarstern“ als auch vor der deutschen Neumayer-Forschungsstation in der Antarktis demonstrierten Wissenschaftler am Freitag für mehr Klimaschutz. Das zeigten Bilder, die eine Wissenschaftlerin des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven, Melanie Bergmann, auf Twitter teilte.„Polarforscher vom Süden bis zum Norden danken Fridays for Future dafür, Aufmerksamkeit auf unsere Wissenschaft zu richten!“, twitterte Melanie Bergmann.

Ihre Fotos zeigten, wie jeweils ein knappes Dutzend Wissenschaftler vor dem Schiff und der Station Schilder und Plakate hochhielten. Auf dem Plakat der Forscher vor der „Polarstern“ stand: „Wir liefern die Fakten. Es ist Zeit zum Handeln!“ (dpa)