Rekord im Dauerprüfen

Über 16 Monate hat die Prüfung des Volksbegehrens Berlin Werbefrei gedauert. Nun will sich der Senat damit beschäftigen

Von Bert Schulz

Der Senat hat einen Rekord im Zeitschinden aufgestellt – ausgerechnet auf einem Feld, auf dem Rot-Rot-Grün eine deutliche Beschleunigung versprochen hatte. Seit 13. Juli 2018 hat die Innenverwaltung die Rechtmäßigkeit des Volksbegehrens Berlin Werbefrei geprüft – nun endlich, nach mehr als 500 Tagen, ist sie zu einem Ergebnis gekommen. Über dieses will der Senat am kommenden Dienstag in seiner regulären Sitzung beraten. Vorab wollte sich die Innenverwaltung nicht dazu äußern.

Die Initiative will Werbung und Leuchtreklamen im öffentlichen Raum weitgehend verbieten. Der Gesetzentwurf sieht aber Ausnahmen vor: Werbung auf Litfaßsäulen oder in U-Bahnhöfen soll noch für Veranstaltungen oder gemeinnützige Projekte möglich sein. Läden sollen für ihre Produkte nur noch direkt am Standort werben dürfen.

In der ersten Stufe eines Volksbegehrens müssen Initiativen mindestens 20.000 gültige Unterschriften sammeln. Berlin Werbefrei konnte gut 32.000 Unterschriften zusammentragen. Die Innenverwaltung prüft daraufhin die rechtliche Zulässigkeit des Gesetzentwurfs. Schon lange monieren Aktivisten, dass es für die Dauer dieser Prüfung keine rechtlich verbindliche Frist gibt. So steht regelmäßig der Vorwurf im Raum, der Senat würde die Prüfung verschleppen, um den Zeitplan der Initiativen zu kippen und zum Beispiel eine Abstimmung an einem Wahltag zu verhindern.

Rot-Rot-Grün hat deswegen in seinem Koalitionsvertrag 2016 unter der Überschrift „Mehr direkte Demokratie für Berlin“ beschlossen, „für die Erstellung der amtlichen Kostenschätzung und der Zulässigkeitsprüfung“ eine solche Frist einzuführen. Das ist auch bitter nötig, wie das Beispiel Berlin Werbefrei zeigt. Die überlange Prüfung sei ein „skandalöser Vorgang“, sagt der Linken-Abgeordnete Michael Efler. Und selbst ein Sprecher der Innenverwaltung gibt auf Anfrage zu: „Trotz der inhaltlichen Komplexität des Volksbegehrens ist die Zeitspanne sehr lang.“ Der Grund sei, dass alle Senatsverwaltungen in die Prüfung eingebunden waren. Schließlich, so der Sprecher, war „ein komplexes Artikelgesetz zu unterschiedlichen Materien“ vorgelegt worden, für die „jeweils ein unterschiedlicher rechtlicher Rahmen gilt“.

Die Initiative selbst gibt sich gelassen. „Wir freuen uns natürlich, dass die Verwaltung die Rechtsprüfung endlich abgeschlossen hat“, sagte ihr Sprecher Fadi El-Ghazi der taz. Tatsächlich sei der Initiative die langwierige Prüfung gar nicht unrecht. „Es kommt uns entgegen, dass die so trödeln: So können wir einen Volksentscheid parallel zur Bundestagswahl anpeilen.“ Im Herbst 2021 wird – falls es nicht vorher Neuwahlen gibt – sowohl der Bundestag als auch das Abgeordnetenhaus gewählt.

Doch ob dieser Plan aufgeht, ist ungewiss. Sollte der Senat den Gesetzentwurf nicht für rechtmäßig halten, würde er wohl vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof landen. Wann dort entschieden wird, ist offen. Und wenn er nicht gegen die Verfassung verstößt, müsste die Initiative in der zweiten Stufe innerhalb von vier Monaten gut 175.000 Unterschriften sammeln. Keine kleine Hürde angesichts der weitreichenden Ziele.