Drei Espressi mit Veit Heinichen

Veit Heinichen feierte mit seinen Triest-Romanen Erfolge. Die historischen Cafés von Triest sieht er als Beitrag gegen die „Benettonisierung der Welt“

Café mit Besuchern am Piazza dell’ Unità d’Italia, Triest Foto: Harald Wenzel-Orf/imago

Von Paul Stänner

Triest gilt als die Kaffeekapitale des Mittelmeerraums. Die Stadt hat eine lange Tradition in diesem Geschäft, die komplette Verarbeitungskette vom Import & Export bis zur Herstellung der unerlässlichen Dampfmaschinen ist hier angesiedelt. Mit der Folge, dass der Espressokonsum hier doppelt so hoch ist wie im restlichen Italien. „Restitalien“sagt Veit Heinichen, der deutsche Romancier, der sich vor Jahren in Triest niedergelassen hat. So wie er das ausspricht, gehört Triest nicht wirklich zu Italien. Wir sitzen im Antico Caffè Torinese. Antico, weil es 1919 gegründet wurde. Das Torinese liegt in einer Gebäudeecke, ist kaum größer als ein normales bürgerliches Wohnzimmer. Zwei Wände sind mit dunkelbraunen Regalen versehen, als habe der Besitzer eine alte Apothekeneinrichtung übernommen. Lange Zeit galt der Kaffee ja auch als Heilmittel. An den Fenstern sind wenige Nischen eingelassen für zwei, die sich gut kennen oder etwas miteinander aushandeln müssen. Der Mittelpunkt der Bar ist der Tresen.

Im Torinese dröhnt die Musik mit hämmernden Bässen. Der Sound passt nicht zum Café, das gerade noch leer ist, passt aber gut zur blauhaarigen Kellnerin aus der Altersgruppe U30. Sie bringt die bestellten Espressi, pegelt wie gewünscht die Beschallung herunter und zieht sich schmollend auf die Barista-Position im Schutz der mächtigen Regale zurück.

Veit Heinichen, weiße Haare, Seitenscheitel, Brille und Genießerbäuchlein, erzählt, dass die Espressobegeisterung in die 1930er Jahre zurückreiche. 7 Gramm = 90 Bohnen reiner Arabica werden gemahlen aufgehäuft, 20 Sekunden lang wird 92 Grad heißer Dampf durch das Kaffeemehl gejagt, dann tropft heißer Espresso in die Tasse. Säure und Bitterstoffe bleiben im Mehl.

„Man geht in die Bar“, erzählt Heinichen, „wenn man auf dem Weg ins Büro ist. Die Prozedur ist eilig: Wer reinkommt, ruft die Bestellung, hat das Geld abgezählt in der Hand, der Espresso kommt und man zahlt, man trinkt ihn in einem Schluck oder in zweien, verabschiedet sich und geht.“ Was in Deutschland kaum denkbar wäre: Hier geht man auch zu Besprechungen ins Café oder zur Arbeitspause, denn in Italien gebe es keine Kaffeepause wie in deutschen Büros, wo man diesen schrecklichen, giftigen, viel zu heißen Kaffee nicht in einem Zug trinken kann.“ Es ist deutlich hörbar, dass Heinichen das Land, das er verlassen hat, nicht vermisst.

Das Caffè Torinese steht unter Denkmalschutz innerhalb einer Kette von Bars, die unter dem Label „Locale Storico“ zusammengefasst sind. Mindestens einhundert Jahre müssen die Geschäfte im Betrieb sein, um diesen Ehrentitel und den dazugehörigen Schutz zu erlangen. Heinichen sieht es als einen kulturellen Beitrag, mit dem sich die Stadt der „Benettonisierung der Welt“ entgegenstellt.

Veit Heinichen feierte mit seinen Triest-Romanen um den Commissario Proteo Laurenti internationale Erfolge. Natürlich ist auch Laurenti ein eifriger Cafégänger (eigentlich müsste man sagen: -durchläufer), der in penibel recherchierten Romanen Verbrecher und politische Netzwerke zur Strecke bringt.

Der Autor ist in seiner Heimatstadt ein bunter Hund. Auf dem Weg zum nächsten Café muss er immer wieder stehen bleiben, um Leute zu begrüßen, dann folgt ein kurzes Gespräch und ein Abschied mit nachdrücklicher Sympathiebekundung.

Die Gran Malabar ist eigentlich klein und braucht als zusätzlichen Gastraum die dreieckige Piazza San Giovanni, die auf zwei Seiten von stark frequentierten Durchfahrtsstraßen umschlossen wird. Wir sitzen im wohlwollenden Schatten des großen Standbilds von Giuseppe Verdi, das dem Platz seine Würde gibt, wenngleich eine Büste des tauben Beethoven wohl angemessener wäre. Je nach Tageszeit pendelt der Verkehrslärm zwischen den Marken unerträglich oder ganz unerträglich.

Nach Triest kommt der Schriftsteller Veit Heinichen zum ersten Mal 1980. Die „Stadt der Winde“ ist heute der Ort, mit dem er in seinem Leben am längsten verbunden ist. Zuerst als Pendler, ab 1997 schließlich als Einwohner. Die multiethnische, nördlichste Hafenstadt des Mittelmeerraums steht auch im Mittelpunkt der Romane von Veit Heinichen.

Heinichen beschreibt das Gran Malabar als eine Instanz, einen „Schnittpunkt in der Stadt, wo sich das Publikum mit der Uhrzeit ändert“, alle kommen mal vorbei und bleiben kurz hängen. Neben uns sitzen Handwerker in schmutziger Arbeitskleidung und eine Dame – „gehobener Mittelstand mit Schoßhund“ –, die aus einem hochstieligen Glas trinkt. Heinichen erwähnt rühmend die „fantastische Enothek“ des Gran Malabar und die Sitte, dass Alkohol gestattet sei, wenn die Uhr zwei Ziffern anzeige. Zum Wein oder Cocktail reicht der Kellner gleich ein Gedeck mit Schinkenscheiben, Röstbrot und Kartoffelchips. Veit Heinichen, den der Wiener Standard in einem Satz als „Fellini des Kriminalromans“ und auch als „seinen Jamie Oliver“ bezeichnet hat, hat viele Freunde hier.

Dann möchte er noch ein Stille-Erlebnis in seiner Stadt bescheren. Hinter der Synagoge liegt die Bar San Marco. Sie ist wie ein „L“ geformt, der eine Flügel ist das Café, der andere Flügel beherbergt eine renommierte Buchhandlung. Nahezu täglich finden hier literarische Veranstaltungen statt.Die Wände des Cafés sind mit riesigen Spiegeln ausgekleidet, die Lederpolster schwarz wie venezianische Gondeln, die Tische aus hellem Holz. Entlang der Friese und unter der Decke ziehen sich Bilder und Porträts, die auf die Wiener Sezession hindeuten. Natürlich ist auch das San Marco denkmalgeschützt nach einer langen Geschichte. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach und Triest noch zu Österreich-Ungarn gehörte, trafen sich hier junge Männer, die von Passfälschern italienische Dokumente kauften, um nicht für Wien in den Krieg ziehen zu müssen. Ein Jahr später dann mussten sie für Rom in den Krieg. Bis dahin hatten allerdings österreichische Nationalisten das Café schon abgefackelt. Nach dem Krieg wurde es wiedereröffnet.

„Es gibt viele literarische Dokumente“, sagt Heinichen, „in denen das Café verewigt ist.“ Wenngleich er die Anekdote, James Jocye sei hier gewesen, nicht glaubt. „Aber ganz klar war Italo Svevo hier, ganz klar war Umberto Saba hier, ganz klar war Eduardo Weis hier, der Vertreter der freudschen Psychoanalyse in Italien.“ Wir sitzen an der Stirnseite der Bar auf dem Platz, auf dem bis vor wenigen Jahren niemand sitzen durfte, denn es war der Stammplatz von Claudio Magris, dem Schriftsteller und Professor für deutschsprachige Literatur. „Er exponierte sich mit Stapeln an Papier, sagte, er müsse im Kaffeehaus schreiben“, bemerkt Heinichen ein wenig sarkastisch und räumt ein: „Literatur und Café hängen extrem zusammen.“

Er selbst, sagt der Deutsche in Triest, sei nicht in der Lage, in Cafés zu schreiben. Mit seiner neuen Protagonistin, Commissario Xenia Zannier, hat er eine Geschichte erzählt über Schmuggel und Korruption entlang der Küste zwischen Grado und Triest. „Ich brauche meine Abgeschiedenheit, keine Ablenkung, Konzentration. Aber ich habe eine sehr gute Kaffeemaschine zu Hause und Espresso mit der richtigen Röstung.“