Krasse Kontraste

Dortmund weiß in einem magischen Fußballspiel gegen Leipzig zu begeistern. So will keiner dem Team das durch fatale Fehler begünstigte Remis verübeln

Spaß am temporeichen Spiel: Julian Brandt lässt Diego Demme mit Freude hinter sich Foto: reuters

Aus Dortmund Daniel Theweleit

Manchmal tritt die Magie des Fußballsports mit einer Macht in Erscheinung, für die es keine Worte und keine Erklärungen mehr gibt. Das Spiel wird unter anderem so sehr geliebt, weil es von einem Moment auf den anderen kippen kann. Um sich kurz darauf wieder zurückzudrehen. So wie beim atemberaubenden 3:3 von Borussia Dortmund gegen RB Leipzig. Am Ende blickten die Beteiligten zwar fasziniert auf eine großartige Show zurück, zugleich wirkten sie aber ziemlich ratlos. „Jeder weiß, dass man solche Dinge nicht richtig erklären kann“, sagte Sebastian Kehl, der Leiter der Lizenzspielerabteilung des BVB, zu den absurden Szenen, die das Spiel geprägt hatten.

Eigentlich war Borussia Dortmund auf dem besten Weg gewesen, das eigene Weltbild rechtzeitig zu Weihnachten wieder entsprechend den eigenen Vorstellungen zu sortieren. Der Parvenü aus Leipzig war zunächst demontiert worden. „Wir hatten fußballerisch in der ersten Halbzeit keine Chance“, stellte Julian Nagelsmann fest; der Trainer der Sachsen war derart ratlos, dass ihm in der Pause nichts anderes eingefallen war, als sein Team aufzufordern, etwas mehr „über die Emotionen zu kommen“. Eine andere Richtung erhielt die Partie aber nicht durch Impulse der Gäste, sondern durch diese unerklärlichen Kräfte.

2:0 hatte der BVB geführt, nach einer hochklassigen und temporeichen ersten Halbzeit mit perfekter Balance zwischen Offensive und Defensive. Und einem Weltklassetor von Julian Brandt zum 2:0. „Es war ein sehr, sehr gutes Spiel. Wir haben gut gespielt mit viel Geduld und Intelligenz“, sagte Trainer Lucien Favre. Auf die beiden Aktionen in der 47. und 53. Minute, über die später alle rätselten, traf das allerdings nicht zu. Torhüter Roman Bürki und Mittelfeldspieler Julian Brandt legten dem Leipziger Timo Werner den Ball jeweils exakt so in den Fuß, dass der Nationalspieler seinen 17. und 18. Saisontreffer erzielen konnte. „Das sind so krasse Fehler, die dürfen uns nicht unterlaufen“, sagte Sportdirektor Michael Zorc. Es waren Momente, die in krassem Kontrast zu diesem hinreißenden Fußball standen, den der BVB in vielen Phasen der Partie gespielt hatte.

„Wir hatten in der ersten Halbzeit fußballerisch keine Chance“

Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann

Irgendwann wurde Favre gefragt, ob er sich diese Fehler, einen katastrophalen Rückpass Brandts und einen verirrten Ausflug des Keepers Bürki samt missglückter Kopfballaktion, erklären könne. Seine klare Antwort: „Nein.“ Taucht hier das Fehlertrauma der Vorsaison wieder auf, wo der BVB aufgrund von leichtfertigen Missgeschicken den Meistertitel verlor? Oder hatte das Schicksal diesen Abend auserkoren, um Timo Werner zum besten deutschen Hinrundentorjäger seit Gerd Müller zu machen? Werner wunderte sich selbst. „Bis zum ersten Tor war das mit das schlechteste Spiel, das ich für RB gemacht habe. Hundert Prozent Fehlpässe.“

Nach dieser bizarren Wendung hätte das Spiel nun endgültig kippen können, doch der BVB blieb überlegen und schoss sogar das 3:2. Selbst Favre staunte: „Wenn du zwei solche Tore kriegst, und gehst wieder in Führung, sage ich: Chapeau.“ Allerdings unterlief Raphael Guerreiro noch ein weiterer Fehler – nicht so krass wie die anderen beiden, aber ebenfalls unnötig. Diesmal profitierte Patrik Schick, der zum 3:3 traf. Am Ende ärgerten die Dortmunder sich schon, die Mannschaft habe „3:3 verloren“, sagte Kehl, aber viele Angehörige des Revierklubs waren noch viel zu verzaubert von der Magie dieses riesengroßen Fußballspiels, um den Frust wirklich spüren zu können. Die Mannschaft wurde von den Anhängern gefeiert, und Favre sagte: „Es ist schwer zu akzeptieren, aber ich sehe die positiven Seiten dieses Spiels.“