Drei Jahre nach dem Terror

Wie andere Angehörige der Opfer des Attentats am Breitscheidplatz kämpft Petr Cizmar mit den Folgen

Die Kerze vor der Gedächtniskirche hat nun schon Tradition. Eine traurige. Zum dritten Mal wollen Petr Cizmar und sein Sohn David an diesem Donnerstag ein Licht anzünden – am Gedenkort für die Opfer des Terroranschlags vom 19. Dezember 2016. David hat an jenem Abend seine Mutter verloren, da war er fünf Jahre alt. Petr Cizmar verlor seine Frau Nada, die nach der Trennung eine gute Freundin geblieben war. „Ich will nicht mein ganzes Leben diesem Anschlag opfern“, sagt er. „Ich will auch nicht ständig daran denken. Aber ich muss mit den Konsequenzen leben.“

Petr Cizmar stammt aus Tschechien. Er ist Physiker und hat einige Jahre in den USA gearbeitet, bevor er mit seiner Familie nach Deutschland zog. Er spricht drei Sprachen fließend. Ratschläge hat er als alleinerziehender Vater in den vergangenen Jahren viele bekommen. Dazu zählte auch, dass er doch seine Arbeitszeit reduzieren solle. „Ich möchte das aber nicht“, sagt er. Vater und Sohn haben nun eine Haushaltshilfe. Als Anfang Dezember ein Mann im Warteraum einer tschechischen Klinik sechs Menschen erschoss, hat sich Petr Cizmar gefragt, ob man diese Tat hätte verhindern können. Er kam zu dem Ergebnis, dass sich ein vermutlich psychisch kranker Täter kaum hätte aufhalten lassen. Dann sagt er: „Bei Anis Amri war das anders. Die Behörden kannten ihn.“ Der Attentäter von Berlin sei nicht aus dem Nichts gekommen. Das sei der Unterschied.

Zwölf Menschen hat Anis Amri getötet, als er mit einem gestohlenen Lastwagen in den gut besuchten Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche raste. Rund hundert Besucher verletzte er. Ein Mensch müsse noch immer rund um die Uhr gepflegt werden, sagt Edgar Franke, Opferbeauftragter der Bundesregierung. Mindestens ein Dutzend Menschen erhielten seit dem Anschlag Pflegeleistungen. Er allein kenne 20 Betroffene, die nach wie vor unter den psychischen Folgen dieser schrecklichen Tat litten, ergänzt Franke. „Von ebenso vielen weiß ich, dass sie bislang ihrer Arbeit nicht wie vor dem Anschlag nachgehen können.“ Das Bedürfnis nach Gesprächen sei noch immer groß. Vor allem gehe es um finanzielle Entschädigung, Erwerbsminderungsrenten oder den Wiedereinstieg in den Beruf. Bisher seien 4,3 Millionen Euro an die Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlags geflossen.

Petr Cizmar treibt noch etwas anderes um, wenn er an den Anschlag denkt. „Es ist peinlich, dass nach drei Jahren immer noch niemand sagt, wer verantwortlich ist“, sagt er. „Obwohl es so viel Versagen in den Behörden gab und so viele Fehler auch schon bekannt geworden sind.“ Er verstehe, dass sich Zeugen nicht belasteten, sagt Cizmar. Er verstehe auch, dass das Bundeskriminalamt 2016 überlastet war. „Aber ich empfinde diese zähe Aufklärung als unschön und auch als ungerecht den Betroffenen gegenüber.“ Für die Verantwortlichen sei es nichts Persönliches. „Bei mir ist das anders. Sie haben mein Leben und vor allem das meines Kinder beschädigt.“ Cizmar möchte jetzt Akteneinsicht nehmen, lesen, was die Behörden zum Tod seiner Frau ermittelt haben. Eines weiß er aus dem Leichenschau-Protokoll, das ihm der tschechische Bestatter nach der Beerdigung aushändigte. „Da habe ich verstanden, dass Nada auf der Stelle tot war. Sie hat nicht gelitten, weil es so schnell ging.“ Es klinge vielleicht seltsam, aber es habe ihm gutgetan, das zu wissen. „Rational finde ich, dass es besser ist, sofort tot zu sein. Und nicht stundenlang um das Leben zu kämpfen, um dann doch zu verlieren.“ (dpa)