Niedersachsen holt Bomben aus der Erde: Der Kampfstoff geht weiter

In der Lüneburger Heide liegen zahllose Sprengkörper, auch solche mit Giftgas. Lange galt das als unproblematisch. Jetzt wird aufwändig saniert.

Hier trainieren Einsatzkräfte schon die Versorgung eines mit Giftgas kontaminierten Mitarbeiters Foto: Philipp Schulze/dpa

BREMEN taz | Der mit Giftgas und Granaten verseuchte Dethlinger Teich bei Munster in der Lüneburger Heide „muss komplett saniert werden“. Das sagte der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies gestern dem zuständigen Landtagsausschuss. „Wir können nicht einfach einen Deckel drauf machen und hoffen, dass nichts passiert“, so der SPD-Politiker. Das jedoch war seit 1952 herrschende Politik in Niedersachsen. Laut einer gestern vorgestellten „Machbarkeitsstudie“ werden die Kosten der mindestens drei Jahre dauernden Sanierung auf 50 Millionen Euro geschätzt – diese Zahl kursiert in Fachkreisen bereits seit Jahren.

Im Dethlinger Teich wurden ab 1942 Kampf- und Sprengmittel in Bomben und Fässern versenkt – was und wie viel genau, ist aber bis heute unklar. 1952 wurde die ehemalige Kieselgurgrube mit Bunkerschrott aufgeschüttet und mit Erde zugedeckt, nachdem Anwohner*innen die Metalle dort zu Geld machen wollten. Die Altlasten sind zum großen Teil Hinterlassenschaften der Wehrmacht, die im nahe gelegenen Oerrel chemische Waffen produzierte und lagerte. Nach 1945 kippten aber auch die Briten Kampfstoffe in den Teich, weil sie sie für nicht mehr transportfähig hielten.

Der Heidekreis vermutet dort unter anderem 100.000 Zündladungen, 3.800 Kampfstoffgranaten, 200 bis 300 entschärfte und in den Teich entleerte Bomben mit dem Giftgas Phosgen und 15 bis 20 entleerte 500 Kilo-Bomben mit Lost, besser bekannt als Senfgas (siehe Kasten). Seit 1957 gibt es dort eine Messstelle für das Grundwasser, seit 1971 auch eine für Arsen.

1984 teilte der damalige CDU-Innenminister auf eine Anfrage der SPD mit, „dass nach heutigem Erkenntnisstand eine Beeinträchtigung des Grundwasservorkommens nicht zu befürchten ist“. 2014 erklärte der grüne Umweltminister Stefan Wenzel dann auf Anfrage der CDU, dass man davon ausgehe, dass der Dethlinger Teich „im Wesentlichen nur oberflächennah Schadstoffe an das benachbarte Grundwasser abgebe“. Zwar gebe es ein „großes Schadstoffpotenzial“, so Wenzel, aber auch „erhebliche Unsicherheiten bei der Bewertung des Umweltrisikos“.

In Munster wurden schon im Ersten Weltkrieg chemische Waffen wie Giftgas produziert. Bei einer Explosion wurden 1919 weite Bereiche verseucht, später aber durch den Bund saniert.

Der Lungenkampfstoff Phosgen war für den Großteil der etwa 90.000 Gastoten des Ersten Weltkriegs verantwortlich. Der Tod tritt meist durch Ersticken ein – bei vollem Bewusstsein. Hohe Dosen können binnen Sekunden zum Tod führen.

Der Hautkampfstoff Senfgas gehört zur Gruppe der Loste und wurde 1886 in Deutschland entwickelt. Die Substanz dringt innerhalb von Minuten durch Kleidung und Haut in den Körper ein, zerstört die Zellen und verursacht Schäden an Nerven und am Herzkreislauf-System, die tödlich sein können.

2017 änderte sich diese Einschätzung dann: „Wir haben deutlich mehr gefunden als erwartet“, sagte seinerzeit ein Sprecher der Unteren Wasserbehörde des Heidekreises. „Der Teich dürfte durchlässiger sein als erhofft.“ Bei Abbauprodukten von Lost wurden – dank neuer Messstellen – seinerzeit bis zu 2.183 Mikrogramm pro Liter nachgewiesen, wie der Kreis mitteilte, bei Arsen waren es bis zu 120 Mikrogramm. Doch während die Höchstgehalte bei Arsen bis 2009 noch rund 500 Mikrogramm betrugen, waren es bei den Lost-Abbauprodukten seinerzeit nur etwa 250 Mikrogramm pro Liter.

Zudem seien die teilweise sehr niedrigen pH-Werte ein Indiz für den Kontakt des Wassers mit Kampfstoffen, sagte die Wasserbehörde 2017. „Das könnte eine der größten Altlasten chemischer Kampfstoffe in Deutschland sein“, sagte ein Umwelttechniker des Heidekreises schon damals über den Dethlinger Teich.

Zunächst einmal ist die betroffene Kommune für derartige Funde zuständig. „Wenn eine Gefahr für Leib und Leben nachgewiesen werden kann, muss der Bund als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches die Kosten tragen“, hieß es von der Unteren Wasserbehörde schon vor Jahren. Umweltminister Lies ist da zurückhaltender: Er sei sich „sicher, dass wir mit dem Bund zu einer guten und tragfähigen Lösung kommen“. Der Umgang mit diesem Kampfmittelfund einzigartiger Dimension dürfe nicht am Geld scheitern.

Schon 1984 dachte die niedersächsische Landesregierung über eine Bergung der Kampfstoffe nach – damals war man aber der Ansicht, dass die damit verbundene Gefahr wegen der im Teich liegenden Sprengmittel zu groß sei.

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