Handball-WM der Frauen: Radikale Geduld

Die deutschen Handballerinnen wollen bei der WM in Japan ihren Aufwärtstrend fortsetzen. Am Samstag starten sie gegen Brasilien.

Eine Handballerin in einem weißen Trikot beim Wurf

Wird als Supertalent gepriesen: Emily Bölk (r.) beim Vorbereitungsspiel gegen Montenegro Foto: Thomas Kienzle/dpa

Als die deutschen Handballerinnen letzten Freitag in den Flieger Richtung Japan stiegen, hatten sie eine Menge Vorfreude auf die vor ihnen liegende Weltmeisterschaft. Schier unbändige Lust, eine neue Kultur kennenzulernen, aber auch eine Niederlage mit im Gepäck – mit 29:33 hatten sie ihren letzten WM-Test gegen Montenegro am Abend zuvor in Stuttgart schließlich verloren.

Ihre prinzipiell gute Laune wollten sich die DHB-Frauen davon allerdings nicht trüben lassen, auch Henk Groener, ihr Trainer, half kräftig mit, die Stimmung oben zu halten. „Wenn wir schon alles könnten, wären wir bereits Weltmeister“, sagte der 59-Jährige, um sogleich anzufügen: „Das Ergebnis stand nicht im Vordergrund. Wir haben über weite Strecken vieles richtig gemacht und auf einem guten Level performt.“

Henk Groener, das machen nicht nur diese Worte deutlich, ist ein ziemlich geradliniger, aber auch gelassener Mensch. Einer, der die Dinge gern entdramatisiert und einfach so sieht, wie sie sind. Vor allem ist er einer, der die Gabe besitzt, eine Mannschaft zu entwickeln und dabei weder die Ruhe noch die Geduld zu verlieren.

Mit den Handballerinnen der Niederlande, seines Heimatlands, hat Groener das eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Bevor er 2009 Holland als Trainer übernahm, waren die bei Großereignissen meist zum Zuschauen verdammt. Als er den Job kurz nach den Olympischen Spielen 2016 in Rio an den Nagel hing, schlugen eine Vizeweltmeisterschaft (2015) sowie ein vierter Platz bei Olympia (2016) zu Buche.

Erfolgreich nur in der Vergangenheit

In etwa so hatten sich das auch die hohen Herren beim Deutschen Handballbund (DHB) vorgestellt, als sie Groener vor knapp zwei Jahren als Bundestrainer engagierten. Zwar hat Frauenhandball in Deutschland eine lange und durchaus erfolgreiche Tradition, wie die vier WM-Titel unter Beweis stellen, die die DDR (1971, 1975 und 1978) und die wiedervereinigte BRD (1993) zusammen gewonnen haben.

Die letzte Medaille freilich, eine bronzene, gab es vor zwölf Jahren bei der WM in Frankreich.Seitdem ging es bergab, auch weil der Verband der Männersparte deutlich mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung schenkte, während er die Frauen eher, nun ja, stiefmütterlich behandelte.

Noch immer ist es ein blutjunges Team, erneut eines der jüngsten bei der Weltmeisterschaft

Die Verpflichtung des allseits anerkannten und umworbenen Frauenhandball-Fachmanns Groener sollte da auch ein Zeichen sein, dass diese Zeiten vorüber sind. Der Niederländer machte sich umgehend und ziemlich radikal an die Arbeit. Nach der Heim-WM 2017, die mit Platz zwölf sogar noch mehr als enttäuschend endete, krempelte er, gezwungen durch die Rücktritte mehrerer etablierter Spielerinnen, aber auch von ihm gewollt, mehr oder weniger das ganze Team um.

Bei der EM im Vorjahr schickte der DHB die zweitjüngste Mannschaft auf das Spielfeld – und obwohl es auch in Frankreich letztlich nur für einen zehnten Platz reichte, wurde das Ergebnis bei drei Siegen, unter anderem gegen Großmacht Norwegen, keineswegs als Enttäuschung empfunden, sondern als hoffnungsvoller Start in die Zukunft.

Schon in der Vorrunde warten die Hochkaräter

Genau diesen Weg sollen und wollen Spielerinnen wie Amelie Berger, 20, Alicia Stolle, 23, Alina Grijseels, 23, und allen voran die bereits als Supertalent gefeierte Emily Bölk, 21, nun bei der WM in Japan weitergehen. Noch immer ist es ein blutjunges Team, erneut eines der jüngsten im Turnier. Und noch immer fehlt es ihm folglich hier und da an Erfahrung und vielleicht auch ein bisschen – Spielführerin Kim Naidzinavicius, 28, einmal ausgenommen – an absoluter individueller Weltklasse. Wie sollte es auch anders sein?

Henk Groener weiß das bestens einzuordnen. Er weiß, dass es immer noch eine Mannschaft am Anfang ist. Ein Team, dem es, zumindest auf höchstem Niveau, hin und wieder an Konstanz fehlt, dem bisweilen individuelle Fehler unterlaufen, das phasenweise in der Abwehr zu brüchig agiert und im Sturm zu fahrlässig und überhastet. Aber er sieht das nicht als Problem, sondern als Aufgabe. „Die Entwicklung ist gut vorangegangen. Ich bin guten Mutes. Die EM hat gezeigt, dass wir mithalten können. Das wird auch bei der WM so sein“, sagt er dazu passend und im Rückblick auf das zurückliegende Jahr.

Dass es die deutsche Mannschaft dort schon in der Vorrunde mit Hochkarätern wie Titelverteidiger Frankreich, Asienmeister Südkorea, Dänemark (WM-Dritter 2013) und Südamerikameister Brasilien zu tun bekommt – lediglich in die Partie gegen Australien gehen die DHB-Frauen als Favorit –, kann Groener dabei nicht schrecken. „Das ist eine WM“, sagt er stattdessen schulterzuckend. „Da ist es völlig normal, dass man auf Mannschaften stößt, die zur Weltspitze gehören. Das wollen wir ja auch sein.“ Und schnell fügt er an. „Die werden sich auch vor uns fürchten.“

Zu was das am Ende reicht, lässt sich vorab nur schwer einschätzen. Das Ziel der deutschen Frauen indes ist klar definiert – und es ist ein großes. Mindestens WM-Platz sieben soll es werden. Der berechtigt zur Teilnahme an einem der drei Qualifikationsturniere für Olympia nächsten Sommer in Tokio. „Das ist im Hinterkopf immer drin“, sagt Groener. „Wir wollen in acht Monaten noch mal nach Japan reisen. Das haben wir so besprochen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.