Kinoempfehlung für Berlin: Von Malle bis Godard

Das Kino Arsenal würdigt die Filme von Gaumont, der ältesten Filmgesellschaft der Welt: Sie sind mal bizarr, mal traurig, oft witzig.

Still aus „Die Schönen der Nacht“ von René Clair aus dem Jahr 1952 Foto: Gaumont Studios

Noch bevor die Glocken läuten, gleitet ein Kahn den Kanal entlang und setzt den Ton des Films. Väterchen Jules treibt den Schiffsjungen zur Kirche. Jean und Juliette heiraten. Dann treibt Väterchen Jules den Schiffsjungen zurück über die Dünen, um die beiden am Kahn zu erwarten, der ihrer aller Zuhause sein wird.

Beim Abschied blickt Juliette drein wie bei einem Begräbnis – und weit davon entfernt ist das Leben auf dem Kahn bisweilen nicht. Obwohl sich die junge Frau redlich müht, bringt sie das Leben an Bord immer wieder an ihre Grenzen.

„L’Atalante“, der abendfüllende Film des jung verstorbenen Regisseurs Jean Vigo, zeigt das Leben auf den französischen Kanälen in seiner ganzen Härte. Doch Vigos Film hat auch Gegengewichte dazu: Gemeinsam mit Bildgestalter Boris Kaufman hat er Bilder geschaffen, die das Leben auf dem Kahn zeitlos erscheinen lassen.

Figuren tauchen auf dem Nebel auf und werden wieder verschluckt, morgendliche Sonne gleißt. Der Schauspielstar Michel Simon spielt den ältlichen Maat Väterchen Jules mit einer Präsenz, die den Film schon tragen würde.

Filmreihe „Gaumont: Seit es das Kino gibt“: Kino Arsenal, 28. 11. bis 4. 12. Mehr Infos unter www.arsenal-berlin.de

„L’Atalante“ eröffnet am Donnerstag im Berliner Kino Arsenal begleitend zu einer Ausstellung im Institut français die Filmreihe „Gaumont: Seit es das Kino gibt“ mit einer Auswahl an Filmen der legendären französischen Produktionsfirma Gaumont. Seit der Gründung 1895 hat sie unzählige Klassiker des Kinos mitproduziert – und das moderne französische Kino entscheidend mitgeprägt.

Die Reihe legt ein besonderes Augenmerk auf die Komödien, die Gaumont produziert hat, und bietet die schöne Gelegenheit, eine Reihe von Klassikern wieder zu sehen – etwa die Hälfte davon sogar von zunehmend selteneren 35-mm-Kopien.

Gezeigt werden Klassiker mit einem Schwerpunkt auf der Moderne der 1950er und 1960er Jahre, ergänzt um zwei aktuellere Produktionen von Mathieu Amalric („Barbara“) und Noémie Lvovsky („Demain et tous les autres jours“), deren Film die einzige Regiearbeit einer Frau ist.

Während einige der Filme ihr Alter schwer verbergen können, hat sich Louis Malles „Zazie dans la metro“ gut gehalten. Die zehnjährige Zazie wird auf einem Paris-Besuch bei ihrem Onkel Gabriel geparkt, weil ihre Mutter die zwei Tage in der Stadt mit ihrem Liebhaber verbringen möchte. Alles, was Zazie möchte, ist mit der Metro fahren, aber die wird bestreikt. Also erkundet Zazie die Stadt im Alleingang und wirbelt die Erwachsenen um sie herum ordentlich durcheinander.

Malles Adaption des Romans von Raymond Queneau kombiniert die Absurdität der Handlung mit einem überspitzten Zeitbild des Paris der Entstehungszeit und Slapstick-Elementen. In Deutschland lief der Film zunächst in einer peinlich um das erbärmliche „sittliche Empfinden“ der Zeit bemühten Zensurfassung der FSK, die den Film entstellte.

Auch wenn der Film seit einiger Zeit gelegentlich in der Originalfassung läuft, ist er immer wieder aufs Neue eine Entdeckung – nicht zuletzt wegen der jungen Catherine Demongeot als Zazie und Philippe Noiret als deren Onkel.

Online statt Print: Weil die Kulturbeilage taz plan in der gedruckten Ausgabe wegen des Corona-Shutdowns gerade pausiert, erscheint hier nun jeden Donnerstag ein Text vom „taz plan im exil“. Zuletzt: 2. 4. Stephanie Grimm/Musik: „Jeder Tag ist wie Sonntag“ & 9.4. Esther Slevogt/Theater: „Der Bildschirm als Bühne

Deutlich getragener geht es in Robert Bressons „Lancelot du lac“ zu, der die Ritter von Arthurs Tafelrunde nach der gescheiterten Suche nach dem Gral zeigt. Die scheppernden Rüstungen der Ritter scheinen zwischenzeitlich das Einzige zu sein, was diese noch aufrecht hält. Bresson hat in seinem Film das Mittelalter als Kunstwelt voller Zwänge und ohne Handlungsfähigkeit rekreiert.

Das Gros der Filme der klassischen Moderne ist jedoch heiter: Max Ophüls wählt ein wanderndes Paar Ohrringe als Grundstruktur seiner Kostümkomödie „Madame de …“. Die adelige Frau eines Generals verkauft ihre Ohrringe an einen Juwelier. Immer wieder wechseln sie die Hände, bis sie schließlich als Geschenk eines Verehrers zurück zur ursprünglichen Besitzerin finden.

Im Film „Les Belles de nuit“ lässt der Regisseur René Clair seinen Protagonisten – einen erfolglosen Komponisten aus der Gegenwart – träumend durch die Zeiten reisen. Mal ist er ein gefeierter Opernkomponist, mal findet er sich in den Revolutionswirren von 1789 wieder. Selbst der sonst eher ernste Nouvelle-Vague-Regisseur Jean-Luc Godard ist mit „Bande à part“ in der Reihe als beinahe humorvoll zu erleben. Im Kino lacht es sich noch immer am besten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.