die woche in berlin
: die woche in berlin

Der Regierungschef lässt einen Gesetz­entwurf zu einer Privatisierungsbremse für Landeseigentum erarbeiten, im Deutschen Historischen Museum eröffnet eine Ausstellung über die Humboldt-Brüder, die die beiden nicht nur verherrlichen will, und im Berliner Verlag haben die neuen Verleger nicht nur aufgrund von Stasi-Vorwürfen für Unruhe gesorgt

Seltsame Szenarien zum Schutz

Regierungschef Müller will eine Privatisierungsbremse

Noch eine also: Erst Mietpreisbremse, dann Schuldenbremse, und nun eine Privatisierungsbremse? Die Linkspartei will das schon länger, SPD-Fraktionschef Raed Saleh hat Ähnliches auch schon mal vorgeschlagen, und nun hat also zu Wochenbeginn Regierungschef Michael Müller (SPD) höhere Hürden für den Verkauf von Landeseigentum gefordert. Das macht sich immer gut, das klingt nach Schutz und Bewahren. Und überhaupt ist ja bei jeder Mietendiskussion zu hören, welch großer Fehler es gewesen sei, dass die damals rot-rote Koalition 2004 die Wohnungsbaugesellschaft GSW verkauft hat.

Die Sache ist bloß: Die SPDler und Linken, die die GSW 2004 verkauft haben – die haben das nicht gemacht, weil sie nichts mit Schutz und Bewahren im Sinn hatten, sondern weil das Land, soweit das bei einem Bundesland geht, kurz vor der Pleite stand und Geld brauchte.

Das ist ja das Schlimme an diesen Rückblicken, auch gern „Ex-Post-Betrachtungen“ genannt: Sie lassen oft die jeweiligen Umstände außer Acht. Und die waren damals so, dass Berlin bereits hoch verschuldet war, deutlich weniger einnahm als ausgab und ohnehin schon – so das Diktum des damaligen Regierungschefs Klaus Wowereit – sparte, bis es quietscht. Klar, man hätte auch einen Kredit aufnehmen können. Aber das wäre nicht gerade ein Vorbild guten Haushaltens gewesen – vor allem, weil Kredite damals noch immens teuer waren.

Nun wollen also jene Parteien, die damals verkauften, sich offenbar samt grünem Anhang selbst vor der Versuchung schützen, rückfällig zu werden und es in Zeiten erneut leerer Kassen wieder zu tun. Das erinnert an Odysseus, der sich am Mast seines Schiffs festbinden ließ, um nicht den Gesängen der Sirenen zu erliegen.

Es ist ein komisches Selbstverständnis, das sich da offenbart: als ob Abgeordnete vor ihren eigenen Entscheidungen geschützt werden müssten. Im Krisen­szenario sind es natürlich irgendwelche Neoliberalen, Knechte einer eiskalten Immobilienlobby, die irgendwann mal Berlin regieren könnten und daran gehindert werden sollen, dann eine „Alles muss raus“-Aktion zu starten. Stattdessen soll jeweils ein Volksentscheid über einen Verkauf entscheiden oder eine Zweidrittelmehrheit im Parlament – wobei Letztere beim GSW-Verkauf von 2004 gar keine Hürde gewesen wäre, weil der auch in der Opposition viel Unterstützung fand. Aber wer hätte denn in einem solchen Fall diese so bösen Liberalen an die Regierung gebracht, wenn nicht eben dieses Volk, das so viel klüger sein soll als seine gewählten Vertreter im Parlament? So gut eine Mietpreisbremse sein mag – eine Bremse, mit der das Abgeordnetenhaus seine eigene Entscheidungsfreiheit einschränkt, ist eine schlechte Idee für die parlamentarische Demokratie. Stefan Alberti

Das erinnert an Odysseus, der sich am Mast seines Schiffs festbinden ließ, um nicht den Gesängen der Sirenen zu erliegen

Stefan Alberti über Michael Müllers Pläne für eine Privatisierungsbremse

Die Helden dürfen mal dämmern

„Wilhelm und Alexander Humboldt“-Schau im DHM

Was für ein Knaller zum Abschluss! Nach einem Jahr voller Lobhudeleien und Feierlichkeiten anlässlich des 250. Geburtstags Alexander von Humboldts – zwei Jahre zuvor war sein Bruder Wilhelm ausführlich gewürdigt worden – schien eigentlich alles gesagt zu sein. Nun zeigt das Deutsche Historische Museum (DHM) mit seiner am Donnerstag eröffneten Ausstellung „Wilhelm und Alexander Humboldt“ die Brüder in einem etwas anderen Licht. Nicht wie so oft als idealisierte Helden, die zu Vorreitern und -bildern für alles Mögliche stilisiert werden, was uns heute bewegt. Sondern als Menschen ihrer Zeit, mit all ihren Widersprüchen. Die Großartiges taten, aber auch manches, was heute mindestens Unbehagen bereitet – zum Beispiel Schädel rauben für anthropologische Forschungen.

Wie anders die Zeit war, in der diese erste Generation der Aufklärung aufwuchs, mit welchen Hilfsmitteln man kommunizierte, dachte, reiste, forschte und wie sich der Drang nach Wissen und Weltverstehen sogleich mit deren Ausbeutung verband, wird den BesucherInnen anhand zahlreicher Objekte beinahe körperlich erfahrbar gemacht. Teils spielerisch, etwa wenn man in einer „Geruchsecke“ mit der Nase erforschen kann, wie es in Höhlen und Bergstollen riecht, in denen sich Alexander gern getummelt hat (dezent muffig), oder auf Vulkanen, die er bestieg (nach Asche mit Blume). Teils künstlerisch-visuell, etwa wenn man in den Details des Berlin-Panoramas von Eduard Gaertner versinkt und – als ob man selbst auf dem Dach der Friedrichswerderschen Kirche stünde – den Blick über die Stadt um 1830 schweifen lässt.

Wer sich die Mühe macht und tiefer in die Bedeutung der Objekte einsteigt, kann dabei originelle Bezüge finden. So illustriert ein Pferdekopf der Quadriga vom Brandenburger Tor zunächst die „Franzosenzeit“, steht aber auch, wie Kuratorin Bénédicte Savoy erklärt, für „die erste große Restitutionsdebatte“ – den Streit über die Rückgabe von unter Napoleon in ganz Europa geraubten Kunstschätzen. Und die sollte man kennen, so die Kunsthistorikerin, wenn man in der aktuellen Debatte über die Rückgabe von geraubten außereuropäischen Kulturgütern nicht wieder „bei null anfangen will“.

Zu der insgesamt gelungenen Schau kann man also nur gratulieren – und damit vor allem zu der Wahl Savoys, der wohl exponiertesten Kritikerin des Humboldt Forums im Schloss schräg gegenüber, als Kuratorin, neben dem Kunsthistoriker und Humboldt-Forscher David Blankenstein. Das ist für eine staatstragende Institution wie das DHM nicht selbstverständlich. Aber es hat sich gelohnt. Susanne Memarnia

Ein Schatz an sensiblen Daten

Die Käufer des Berliner Verlags haben sich verzockt

Der Philosoph Andreas Brehme sagte mal: „Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß.“ Diese Weisheit hätte vergangene Woche gut im Berliner Verlag fallen können. Denn die schlechten Nachrichten für das mit Software reichgewordene Ehepaar Silke und Holger Friedrich rissen nicht ab. Und nun umweht die Käufer des Medienhauses, das die Berliner Zeitung, den Berliner Kurier und in einer privat-öffentlichen Partnerschaft das Stadtportal berlin.de betreibt, kein frischer Silicon-Valley-Wind, sondern es riecht eher, nun ja, nach Scheiße am Schuh.

Kurze Zusammenfassung der Nachrichtenlage: Holger Friedrichs Spitzeltätigkeit für die Stasi kam raus, wiederum rein in die Berliner Zeitung kam unkritische Berichterstattung über ein Unternehmen, in dem der Friedrich zufällig im Aufsichtsrat sitzt. Und dann kristallisierte sich noch heraus, dass sich die Friedrichs bei ihrer Investition wohl verspekuliert haben. Wie sonst sind die Aussagen der Friedrichs zu erklären, die sie in einem NZZ-Interview tätigten? Denn dort sagten sie, das Stadtportal berlin.de sei der „wahre Schatz“ beim Kauf des Verlags. Die reichweitenstarke Website sei der entscheidende Hebel, um ihre Inhalte künftig zu platzieren.

Besonders pikant wegen der öffentlich gewordenen Spitzeltätigkeit waren dabei Holger Friedrichs Aussagen zum Umgang mit Personendaten bei Aktionen, die auf dem öffentlichen Teil von berlin.de beim digitalen Behördengang künftig stattfinden sollen: „Man lädt sich die App der Stadt herunter, scannt seinen Ausweis ein, dann wird in wenigen Sekunden verifiziert, ob das Dokument valide ist oder irgendetwas juristisch vorliegt. Als Nächstes wird die Steueridentifikationsnummer abgeglichen, auch die Rückmeldung erfolgt binnen Sekunden. Fertig.“ Toll. Und noch toller: Direkt daneben sollten sich News, Werbung und was nicht alles der Verlagsgruppe befinden, so wohl die Zukunftsvision.

Kein Wunder also, dass der Senat den Friedrichs schneller widersprach, als diese „Dekonspiration“ sagen konnten: Der Vertrag mit dem Berliner Verlag sei bereits seit 2018 gekündigt, heißt es genervt in einer Pressemitteilung auf, natürlich, berlin.de. Man wolle selber wieder mehr Einfluss auf das Angebote dort haben. Sabine Smentek, SPD- und IT-Staatssekretärin, sagte: „Wir sind weit davon entfernt, einem privaten Unternehmen tiefere Einblicke in die sensiblen Daten zu gewähren.“ Kommerzielle Interessen dürften dort keine Rolle spielen. Dass sie es natürlich noch bis Ende des Vertrags am 31. Dezember 2021 weiter tun, erwähnte sie nicht. Denn wirklich unterscheidbar sind die Behördeninhalte und die redaktionell-kommer­ziel­len Teile auf berlin.de schon jetzt nicht: Nur ein zarter blauer Balken trennt diese.

Der wird dann Ende 2021 zusammen mit den Ambitionen der Friedrichs für das Stadtportal verschwinden. Peinlich dabei: Vom gekündigten Vertrag hatten die Friedrichs wohl noch nichts gewusst. Ebenso kennen können hätten sie juristische Renditehindernisse für das Stadtportal. Nach jüngsten Urteilen in Präzedenzfällen untersagten Gerichte nämliche die Durchmischung von öffentlichen Aufgaben und Journalismus.

Gegen Ende der Woche reagierten auch die Journalist:innen der Berliner Zeitung und des Kuriers auf den neuen Interessen-Mix: Sie wollen einen Redaktionsbeirat gründen und ein Statut einführen, um Verlag und Redaktion stärker abzugrenzen. Gareth Joswig

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