Recycling in der Ukraine: Im Kampf gegen den Müll

Viele ukrainische Städte haben ein Müllproblem. Statt nur auf die Politik zu warten, packt eine AktivistInnen-Gruppe das Problem selbst an.

Im Vordergrund sieht man eine Müllhalde. Im Hintergrund fliegen Vögel

Müllberge sind nicht nur in der Ukraine, sondern auf der ganzen Welt ein Problem Foto: imago images

CHARKIW taz | Dass viele ukrainische Großstädte im Müll versinken, kann man inzwischen in jeder Zeitung des Landes nachlesen. Doch kaum jemand versucht, einen Zusammenhang herzustellen zwischen dieser Umweltkatastrophe und dem eigenen Konsumverhalten. Anders die Journalistin Anna Prokajewa aus Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine: Sie stellt sich seit Jahren entschlossen der zunehmenden Vermüllung ihres Landes entgegen.

Als Erstes hatte sie sich auf die Suche nach einem Recycling-Unternehmen gemacht. Dann rief sie gemeinsam mit FreundInnen in Charkiw dazu auf, Müll zu sammeln und ihn an einem bestimmten Tag zu einer Abgabestelle zu bringen. Die Recycling-Firma fand das Projekt interessant und stellte einen Lkw mit Fahrer kostenlos zur Verfügung, der die Ware einsammelte.

Vom Erfolg und der großen Akzeptanz ermutigt, entschloss sich die Anti-Müll-Gruppe um Prokajewa, einen Keller anzumieten. In diesen kann man alles bringen, was man nicht mehr braucht. Und hier kann man sich auch von diesen Gebrauchsgegenständen zu einem symbolischen Preis mitnehmen, was man vielleicht doch noch braucht: Schallplatten, Rasierapparate, Druckerpatronen, nicht rezeptpflichtige Medikamente, Klamotten, Geschirr und Besteck, sogar Süßwaren.

Wer im Keller mitarbeitet, darf sich kostenlos mitnehmen, was er oder sie braucht. „Wir haben Rentner, die keine hundert Euro Rente im Monat erhalten“ berichtet Prokajewa. Die wären schon lange nicht mehr aus dem Haus gegangen und hätten beim Sortieren im Öko-Hub nicht nur eine neue, sinnvolle Aufgabe gefunden, sondern auch wieder Kontakt mit anderen Menschen.

Benefizkonzerte und Crowdfunding gegen den Müll

Viele TeilnehmerInnen machen in ihrer Verwandtschaft Werbung für die inzwischen als „Zero Waste Charkiw“ bekannte Initiative. Sie ist somit Teil einer seit 2016 existierenden landesweiten Bewegung. Finanzieren kann sie sich vor allem durch Crowdfunding, Spenden und Benefizkonzerte. Gemeinsam mit FreundInnen hat Anna Prokajewa in Charkiw weitere Räumlichkeiten angemietet, in denen sie alles sammelt, was die Bürger von Charkiw nicht mehr brauchen.

Inzwischen gibt es vier dieser „Öko-Hubs“ von „Zero Waste Charkiw“. Es soll aber nicht nur darum gehen, Müll zu sammeln, trennen und wiederzuverwerten. „Irgendwann, als ich die zufriedenen Gesichter von Menschen gesehen habe, die bei uns ihren Plastikmüll loswurden, habe ich mir gedacht: Irgendwas machen wir falsch“, meint Prokajewa. Denn eigentlich gehe es darum, überhaupt die Produktion von zukünftigem Müll zu vermeiden, auf Mehrweg umzusteigen. Seitdem darf jede Person nur noch eine begrenzte Menge an Plastikmüll im „Öko-Hub“ abgeben.

Seit Jahren trägt Prokajewa selbst nur noch gebrauchte Kleidung – man sieht es ihr nicht an. Und sie reist viel durch ukrainische Städte, spricht in Schulen, Universitäten, auf Pressekonferenzen. Und sie verhandelt mit Restaurants und Firmen – ein paar hätten ihr schon zugesagt, auf umweltfreundlichere Verpackung umzusteigen, berichtet sie stolz. Besonders wichtig sei Bewusstseinsarbeit in den Dörfern, meint sie. Da werde so vieles einfach in den Wald geworfen, Plastikmüll in den Hausöfen entsorgt. „Viele wissen gar nicht, wie krebserregend dieser Rauch dann ist.“

Nach Angaben von Alexander Tschistjakow, Chef des Nationalen Ökologischen Rates der Ukraine, gibt es neben 6.000 offiziellen Müllkippen noch 35.000 illegale. Dort lagerten derzeit 12,5 Milliarden Tonnen Müll, von dem gerade einmal 3 Prozent recycelt würden. Anna Prokajewa gibt sich jedoch optimistisch, dass ein verändertes Konsumverhalten etwas bewirken kann: „Wir müssen bei uns selber anfangen. Nur eine Zero-Waste-Kultur kann den Müll verhindern.“

„Unser Glück endet nicht an der Wohnungstür“

Zu lange habe man blind den Regierenden vertraut, meint sie. „Und was haben wir davon? Müll, der unsere Gesundheit bedroht.“ Wer sich ein ukrainisches Hochhaus ansehe, begreife, was sich in der Gesellschaft ändere. Fassaden und Treppenhäuser seien häufig sehr heruntergekommen, doch dahinter seien liebevoll eingerichtete Wohnungen.

„Wir müssen begreifen, dass unser Glück nicht an der Wohnungstür oder im eigenen Auto endet. Glück ist auch, wenn sich Stadtverwaltungen entscheiden, umweltfreundliche Technologien einzusetzen, die Kinder saubere Luft atmen, die Städte fahrradfreundlich sind. Wir müssen mit der Welt umgehen wie mit unseren Wohnungen.“

Anna Prokajewa versteht es, anderen ihre Hoffnung zu vermitteln. Sie habe gelesen, dass den UkrainerInnen die eigenen Kinder besonders wichtig seien. Daher gelte es, diesen eine gute Zukunft ohne krank machende Müllberge zu hinterlassen.

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