Konzertempfehlung für Berlin: Klingendes Wunderwerk

Der Multiinstrumentalist Hermeto Pascoal ist ein Klangzauberer. Jetzt spielt der 83-jährige Brasilianer beim „Right the Right“-Festival im HKW.

Hermeto Pascoal und seine Bandkollegen Foto: Gabriel Quintão

Eine zeitlebens genauso altersweise wie kindsköpfige, kapriziöse wie visionäre Erscheinung ist Hermeto Pascoal. Mit Paco de Lucía einst freundschaftlich und in gegenseitiger Bewunderung verbandelt, kam es vor lauter Ehrfurcht jedoch nie zum gemeinsamen Musizieren. Mit Miles Davis dagegen schon, um 1970 herum. Der pries den Tausendsassa aus Brasilien als einen der weltweit bedeutendsten Musiker.

Fast ein halbes Jahrhundert Lebenszeit später treibt Pascoal, der auch gerade in politisch schwierigen Zeiten auf die Musik als ein starkes Bollwerk schwört, weiterhin unbeirrt sein stilistisch flirrendes, weitschweifiges Unwesen. Ein Ende scheint für den 83-Jährigen und seine Fans unvorstellbar oder zumindest nicht in Sicht zu sein.

Und er war wieder nicht da in Las Vegas. Als man ihn, heute vor einer Woche, bei den 20. Latin Grammys mit einer Trophäe versah, war Hermeto Pascoal samt Band schon irgendwo zwischen Zürich und Bologna unterwegs. Und wer weiß, vielleicht pinselte er just im feierlichen Moment eins dieser großen Blätter mit einer neuen Partitur voll, um sie mit seinen Mitmusikern tags darauf, im nächsten Konzert bereits in die Tat umzusetzen?

Freude über den Grammy

Ein paar dieser allein optisch sehr lebhaft anmutenden Überraschungswerke finden sich in den Facebook-Posts zur bisherigen Tour. Dort liest man auch von der kollektiven Freude über die neuerliche Latin-Grammy-Auszeichnung. Nachdem 2018 ein Album mit Big Band den Latin-Jazz-Preis erhielt, wurde nun „Hermeto Pascoal e sua Visão Original do Forró“ in der Kategorie „ Bestes portugiesischsprachiges Roots-Album“ prämiert.

In dieser – warum auch immer – erst fast 20 Jahre nach Entstehen veröffentlichten Aufnahme durchforstet Pascoal in vergleichsweise orthodoxer Gangart die vitale Tradition von Forró und Frevo: Zwei der potentesten, längst auch international bekannteren Musik- und Tanzstile aus dem Nordosten Brasiliens.

Von dort, aus dem Bundesstaat Alagoas stammt auch der so ziemlich alles – vor allem Akkordeon, Blas- und Tasteninstrumente – versiert und einfallsreich spielende Autodidakt. Zudem umgibt sich der eher intuitiv vorgehende Multiinstrumentalist, der sich erst in seinen Vierzigern musiktheoretisch beschlug, auf der Konzertbühne und im Studio mit allerlei selbst gebautem Schlagwerk, klangspendenem Natur- und Alltagsobjekten – zum Beispiel einem kleinen Plastikschwein. Für den „Mago dos sons“, diesen konsequent eklektizistischen „Klangzauberer“, ist alles Musik, alles Klang; gibt es nichts Hie­rarchisches in deren Beschaffenheit und Entstehung.

Hermeto Pascoal spielt beim „Right the Right“-Festival im Haus der Kulturen der Welt (21. 11., 20 Uhr, 13/10 €). Neben Talks und Lectures gibt es eine Reihe von Konzerten. Außer Hermeto Pascoal spielen u. a. die polnische Big-Band Mitch & Mitch zusammen mit dem Brasilianer Kassin (22. 11., 20 Uhr), während die Chicks on Speed eine „Copycacophony Performance“ darbieten (24. 11., 20 Uhr). Right the Right: HKW: John-Foster-Dulles-Allee 10, 21.–24. 11., Programm unter: www.hkw.de

Als „universale Musik“ bezeichnet Pascoal, was er in diversen Bandkonstellationen zelebriert oder mitunter auch mal im Alleingang (wie auf dem von Sohn Fábio produzierten Album „Eu e Eles“ von 1999): „Eine Mischung aus Musikern der ganzen Welt, mit den unvorstellbarsten Einflüssen, die Sie sich nur denken können. Bei mir sind das vor allem meine Einflüsse, aber wir haben alle verschiedene. Ich selber sage, dass ich als Person Brasilianer, als Musiker aber universal bin“, so fasst Pascoal im Booklet des aktuellen Albums seine Maxime zusammen, der er sein Künstlerleben lang folgt und mit ihm seine nicht minder freiheitsliebenden Musiker.

Vorneweg sein langjährigstes Bandmitglied, der Bassist Itiberê Zwarg. Der bestreitet samt seines Schlagzeug spielenden Sohns Ajurinã und drei weiteren Musikern, darunter der exzellente Pianist André Marques, auch die aktuelle Tour. Ajurinã Zwarg und Schwester Mariana, eine ebenso lustvoll zwischen Jazz und brasilianischen Traditionen vermittelnde Flötistin, sind durch ihren Vater durch und durch „hermetoisiert“, weil von klein auf in Tuchfühlung mit Pascoals so allumfassenden wie eigenwilligen Musikwelten.

Band als Family Affair

Und auch der 57-jährige Sohn Fábio Pascoal ist längst Teil dieser musikalisch agilen, nachhaltigen Family Affair. Der Perkussionist war ebenfalls 2015 in Ludwigsburg und Berlin mit dabei, als aus dem üppigen, inzwischen wohl schon um die 10.000 Kompositionen umfassenden Werk seines Vaters ein klitzekleiner Ausschnitt vom Andromeda Mega Express Orchestra beackert wurde.

Laut Hermeto Pascoal spielte er bei jenen Gemeinschaftskonzerten mit dem 18-köpfigen, musikalisch seelenverwandten Berliner Klangkörper seine eigene Musik erstmals von anderen arrangiert. Während der stets farbenfroh gewandete und strohbehütete Mann mit dem weißen Rauschebart diese damals neue Erfahrung offenbar vollends genoss, gab er sich bei einer anderen Premiere zehn Jahre zuvor, 2005 beim Berliner Jazzfest als mürrischer Divo zu erkennen:

Im Zusammenspiel, der allerersten Begegnung überhaupt mit dem renommierten niederländischen Schlagzeuger Han Bennink warf der kleine, stämmige Temperamentsbolzen urplötzlich und kaum, dass es begonnen hatte, das Handtuch. Der Kollege spielte allein weiter, und Pascoal ließ sich erst mit seiner eigenen Band später wieder auf der Bühne blicken. Wer musikalisch außerordentlich, im besten, kreativsten Sinne verrückt ist, der kommt womöglich auch nicht ganz ohne solche Verschrobenheiten aus.

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